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BERICHT/111: Klima, Flucht und Politik - ein Glied in der Kette ... (SB)


Flucht, Migration und Sicherheit - Welche Rolle spielt der Klimawandel?

Pressefrühstück des Deutschen Klima-Konsortiums am 11. Februar 2016 im Wissenschaftsforum in Berlin

Einige Anmerkungen zur Entstehung des (Bürger-)Kriegs in Syrien, zur Bedeutung der dürrebedingten Mangellage für die Konfliktentwicklung sowie zu den offenen und verdeckten Interventionen fremdnütziger Interessen in diesem vorgeschwächten Staat


Zwischen 1961 und 2009 hat Syrien durchschnittlich fast jedes zweite Jahr eine Dürre erlebt. [1] Somit waren die Syrer einiges gewohnt, als sie zwischen 2006 und 2011 in fünf aufeinanderfolgenden Jahren eine, wie sie es ausdrückten, "Jahrhundertdürre" erlitten. Dennoch, den Berechnungen des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen zufolge sind im Zuge der anhaltenden Trockenheit etwa 1,5 Millionen Einwohner aus den besonders betroffenen nördlichen Landesteilen in den klimatisch weniger benachteiligten Süden migriert. Eben dort nahm im Jahr 2011 der Aufstand gegen die Regierung ihren Anfang. Hat somit die Dürre den Bürgerkrieg ausgelöst, wie unter anderem der britische Thronfolger Prinz Charles in einem Interview mit Sky News im November vergangenen Jahres behauptete [2] und es eine im vergangenen Jahr in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" veröffentlichte und von den internationalen Medien weithin rezipierte US-amerikanische Studie nahelegt? [3]

Nein, berichteten Dr. Christiane Fröhlich, Forscherin am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH), und Dr. Paul Becker, Vizepräsident des Deutschen Wetterdienstes (DWD), bei einem Pressefrühstück am 11. Februar 2016 in Berlin. Zu der Veranstaltung hatte das Deutsche Klima-Konsortium (DKK) eingeladen und sich mit dem Thema "Flucht, Migration und Sicherheit - Welche Rolle spielt der Klimawandel?" erklärtermaßen im Vorfeld der 52. Münchner Sicherheitskonferenz (12. - 14.2.2016) positioniert. Der globale Klimawandel wird zunehmend als Sicherheitsrisiko wahrgenommen, da er Migrationsbewegungen auslösen und zur Destabilisierung von Gesellschaften führen kann, lautet die Vorstellung mancher Analysten. Dieser Frage wollte das DKK mit seinem Pressefrühstück nachgehen.


Beim Vortrag - Foto: © 2016 by Schattenblick

Dr. Christiane Fröhlich
Foto: © 2016 by Schattenblick

Die Dürre in Syrien war nur einer von mehreren Faktoren, die den Konflikt begünstigt hätten, so Fröhlich. "Soziale, politische, demographische und vor allen Dingen wirtschaftliche Faktoren spielten neben ökologischen Faktoren für die Migrationsentscheidung eine wesentliche Rolle." Sie hält die Einschätzung mancher Kollegen, daß der Klimawandel zu 200 Millionen oder gar fast einer Milliarde Klimaflüchtlingen bis zum Jahr 2050 führen könne, für nicht haltbar. Ohnehin sei Migration nur eine von drei möglichen Reaktionen auf den globalen Umweltwandel, der das Überleben schwierig mache. Andere mögliche Reaktionen seien, entweder gar nichts zu tun - das gelte für die verletzlichsten Teile der Gesellschaft, die gar nicht mehr in der Lage seien, wegzugehen - oder eben sich innerhalb der Situation anzupassen. "Es ist fast nie möglich, singulär zu sagen: es ist der Klimawandel, der zu einer Migrationsentscheidung geführt hat."

Dr. Paul Becker, der auch stellvertretender Vorsitzender des DKK ist, bekräftigte aus seiner stärker naturwissenschaftlich orientierten Sicht, daß die Datenlage es bislang nicht hergebe zu behaupten, daß es der Klimawandel ist, der das Dürrerisiko erhöht. Das beim DWD ansässige Weltzentrum für Niederschlagsklimatologie (WZN) habe zwar im Rahmen eines globalen Dürre-Monitorings festgestellt, daß die Dürreereignisse im Zeitraum 1952-2013 weltweit zugenommen haben - besonders in Regionen mit einer stark jahreszeitlich schwankenden Niederschlagsverteilung, also mit ausgesprochenen Regen- und Trockenzeiten -, aber der Nachweis, daß der Klimawandel Dürren auslösen wird, sei bis jetzt nicht erbracht worden. "Es ist wirklich schwierig, die zukünftige Dürregefahr belastbar abzuleiten", sagte Becker. Damit deutet er unausgesprochen an, daß auch die Vermutung, der Klimawandel würde Dürren auslösen und dadurch Menschen in großer Zahl zur Flucht treiben, wissenschaftlich bisher weder bestätigt noch widerlegt worden ist.


Beim Vortrag - Foto: © 2016 by Schattenblick

Dr. Paul Becker
Foto: © 2016 by Schattenblick

In ihrer vom Hamburger Klima-Exzellenzcluster CliSAP finanzierten Studie, bei der sie eine Befragung von 30 Haushalten mit jeweils 5 bis 40 Personen, die in Flüchtlingslagern in Jordanien lebten, durchführte, hat Christiane Fröhlich festgestellt, daß es augenscheinlich nicht die Flüchtlinge waren, die den Aufstand gegen die syrische Regierung im Jahr 2011 angezettelt oder sich daran beteiligt hatten. Mit dieser Forschungsarbeit wollte sich Fröhlich der Hypothese "entgegenstellen", daß die mehrjährige Dürre hauptverantwortlich für den Aufstand war.

Sowohl der Meteorologe als auch die Friedensforscherin sehen hinsichtlich der Frage "Flucht, Migration und Sicherheit - Welche Rolle spielt der Klimawandel?" noch erheblichen Forschungsbedarf und betonen, daß es wichtig ist, Daten miteinander zu kombinieren, also einen integrativen Ansatz zu verfolgen. Zum Abschluß der Veranstaltung zog die Moderatorin, die DKK-Geschäftsführerin Marie-Luise Beck, ein ähnliches Resümee: "Die Entwicklung der Dürre-Hotspots oder auch der Fall Syrien zeigen: Nur durch eine integrierte Betrachtung können nachhaltige Lösungen zur Klimaanpassung entstehen. Darin sehen wir auch einen Auftrag an die Forschung, wie wir ihn im DKK-Positionspapier zu den Perspektiven für die Klimaforschung bereits formuliert haben." [4]


Bei der Moderation - Foto: © 2016 by Schattenblick

Marie-Luise Beck
Foto: © 2016 by Schattenblick


Von der Plan- zur Marktwirtschaft - Syrien öffnet sich für die Kräfte der Globalisierung und wird von den absehbaren Folgen eingeholt

Zunächst vorweg: Fröhlich hat in ihrer Studie herausgefunden, daß es nicht die Migranten waren, die den Aufstand gegen die syrische Regierung anzettelten. Aber dieses Ergebnis schließt natürlich nicht die Möglichkeit aus, daß es die Bewohner des Südens waren, die ihren Besitzstand durch den massiven Zustrom an Migranten aus dem Norden bedroht sahen. Somit hätte die Dürre durchaus Auslöser des Aufstands gewesen sein können. Um diese Möglichkeit zu überprüfen, wäre eigentlich eine weitere Befragung erforderlich; diesmal unter denjenigen, die zu Beginn des Aufstands in Regionen lebten, die einen Zustrom an Flüchtlingen aus dem Norden erfuhren. Aus dem Beispiel Syrien könnte man folglich immer noch ableiten, daß der Klimawandel ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellt.

Dessen ungeachtet ist Fröhlich zuzustimmen, daß soziale, politische und wirtschaftliche Faktoren starken Einfluß auf die Aufstandsentwicklung besaßen, da das Überleben für viele immer schwieriger zu bewerkstelligen wurde. Die Steigerung der exportorientierten Landwirtschaft durch künstliche Bewässerung hatte in Syrien zum exzessiven Verbrauch von Grundwasser geführt, dessen Bestand bereits durch einige schwere Dürrejahre in den 1990er Jahren arg strapaziert war. Im Jahr 2005 erließ die Regierung ein Gesetz, wonach das Anlegen von Brunnen fortan einer Genehmigung bedurfte. Daran wurde sich nicht gehalten, die Grundwasserhorizonte sanken weiter dramatisch, und die Regierung hat nicht interveniert. In dieser Lage wurden die Menschen von der Dürre getroffen, was den viel zu hohen Grundwasserverbrauch nochmals gesteigert hat und dennoch bei vielen Bauern zur hoffnungslosen Verarmung (Verlust von Vieh und landwirtschaftlichen Erträgen, vielleicht sogar von Haus und Hof) beitrug.

Eine Arbeitslosigkeit von 30 Prozent, allgemein große Perspektivlosigkeit, schwindende Einnahmen aus dem Erdölexport seit Mitte der neunziger Jahre sind einige der konfliktschürenden Faktoren, die Fröhlich in ihrem Impulsvortrag erwähnt hat. Und auch die Kürzung der Treibstoffsubventionen im Jahr 2008 "quasi über Nacht". Dadurch habe sich der Treibstoffpreis verdreifacht, vielleicht sogar vervierfacht. Um das Grundwasser für die Landwirtschaft heraufzupumpen, sei jedoch Treibstoff erforderlich. Somit habe sich dessen Preisanstieg auf den Wasserpreis und damit auch auf die Preise für Nahrungsmittel übertragen.

"Dürre war ein Migrationstreiber unter vielen: Insbesondere Baschar al-Assads Wirtschaftsreformen erhöhten den Druck", resümierte Fröhlich. Hierauf möchten wir im folgenden etwas ausführlicher eingehen, so daß noch deutlicher wird, warum in einem nach außen hin relativ stabil wirkenden Land wie Syrien ein Aufstand gegen die Regierung heranwachsen konnte.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1990/91, einem bis dahin enorm wichtigen wirtschaftlichen Verbündeten Syriens, hatte sich das Land zunächst unter Staatspräsident Hafiz al-Assad, nach dessen Tod im Jahr 2000 durch seinen Sohn und Nachfolger Baschar al-Assad auf den Weg von der einstigen Planwirtschaft zu einer neoliberalen Wirtschaftsordnung begeben. Dies verstärkte die Trennung zwischen den Eliten, die sich vor allem aus den alten Kadern der regierenden Baath-Partei und den führenden Kräften im Militär- und Geheimdienstapparat zusammensetzte und die in dieser Phase des Übergangs ihren Einfluß und Besitzstand zu sichern wußten, und der übrigen Bevölkerung, insbesondere auf dem Land. Dort besaß die Baath-Partei bis dahin ihren stärksten Rückhalt, der aber im Laufe der Jahre zu bröckeln begann. Die Transformation war mit erheblichen gesellschaftlichen Umbrüchen verbunden, wie sie in ähnlicher Form auch in den sowjetischen Nachfolgestaaten stattfanden und dort nicht selten von militärischen Konflikten begleitet wurden.

Wie tiefgreifend der Wandel vonstatten gehen sollte, verdeutlicht eine vermeintliche Nebensache: Im Jahr 2003 strich die Baath-Partei das Wort "Sozialismus" aus ihrem Parteiprogramm. [5] Die syrische Regierung wurde sogar für ihre Wirtschaftsreformen und die zunehmende Einbindung in den Weltmarkt von westlichen Finanzinstitutionen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) gelobt, wenngleich dieser eine noch höhere Geschwindigkeit der Reformen anmahnte. Es sei wesentlich, die Treibstoffsubventionen weiter zu streichen, eine Mehrwertsteuer einzuführen und die öffentlichen Ausgaben zu kürzen; gleichzeitig solle der Privatsektor über Public-private-partnership-Maßnahmen gestärkt werden, heißt es noch in einem IWF-Landesbericht zu Syrien vom Februar 2009 [6], also zu einem Zeitpunkt, als das Land bereits das dritte Jahr in Folge unter einer schweren Dürre litt.

Das von Baschar al-Assad favorisierte neoliberale Wirtschaftsmodell läuft unter anderem auf einen Rückzug des Staates auf dem Gebiet sozialer Leistungen hinaus. Dahinter steckt die Ideologie, daß es den Kräften eines weitgehend deregulierten Marktes überlassen bleiben soll, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, und sei es über gemeinsame Projekte von Staat und Wirtschaft, wobei erfahrungsgemäß häufig erstere die Kosten tragen und letztere den Profit einstreichen.

Dieses Konzept konnte in Syrien nicht aufgehen, weil bereits mehrere Millionen der damals etwa 18 Millionen Syrer unterhalb der Armutsgrenze lebten, das Land eine halbe Million Palästinenser und seit dem Jahr 2003 eine Million Flüchtlinge aus dem Irak aufgenommen und die mehrjährige schwere Dürre vor allem die Landbevölkerung aus dem Norden - bis dahin eine wichtige Stütze der syrischen Wirtschaft - in die südlichen Landesteile und nach Damaskus getrieben hatte. Im Jahr 2010 hatten Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge einen Anteil von 20 Prozent an der städtischen Bevölkerung. Zudem war die Inflationsrate auf 15 Prozent gestiegen, was die Verarmung ebenfalls verstärkte.


Blick von dem Berg hinunter auf die sich ins Land ausdehnende Metropole Damaskus - Foto: ZCU, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de] via Wikimedia Commons

Damaskus, Januar 2007, Blick vom Dschabal Qasyun. Binnen weniger Jahre nahm die Bevölkerungszahl in Damaskus dramatisch zu. Rund um die syrische Hauptstadt schossen informelle Siedlungen aus dem Boden; die Behörden kamen mit dem Aufbau von Infrastrukturmaßnahmen zur Versorgung der Flüchtlinge kaum hinterher.
Der Berg Qasyun symbolisiert die heutige Konfliktlage in Syrien treffend: Hier soll Kain seinen Bruder Abel erschlagen haben.
Foto: ZCU, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de] via Wikimedia Commons

Flüchtlinge, Binnenflüchtlinge und die wachsende Schicht der verarmten Stadt- und Landbevölkerung verfügten aber gar nicht über die finanziellen Mittel, die zwingend erforderlich gewesen wären, damit sich irgendwelche Investoren nach dem Rückzug des Staates für die Befriedigung der Grundbedürfnisse jener Schichten, die in der Sprache der Ökonomen gar keinen attraktiven Nachfragefaktor darstellen, interessiert hätten. Wenn Christiane Fröhlich sagt, daß die syrische Regierung "praktisch nichts" unternommen habe, um die Folgen der Dürre abzumildern, dann muß man dazu sagen, daß das durchaus den Vorstellungen des nahezu weltweit vorherrschenden, neoliberalen Wirtschaftsmodells entspricht.

Auf diese Weise hat Baschar al-Assad wesentliche Voraussetzungen für den Aufstand gegen ihn und die regierende Baath-Partei, die sich traditionell auf die Landbevölkerung und die Arbeiter gestützt hatte, geschaffen. Dennoch könnte man die Frage aufwerfen, ob die syrische Regierung nicht Maßnahmen gegen die Dürrefolgen ergriffen hätte, wenn es 2011 nicht zum Aufstand gekommen und sie davon nicht vollständig in Anspruch genommen worden wäre. Denn Syriens Präsident hatte in einem Interview mit dem "Wall Street Journal" vom Januar 2011 auf die Frage, was im Rahmen des von ihm initiierten "nationalen Dialogs" am wichtigsten sei, geantwortet: "Wir haben seit fünf Jahren Dürre, und es ist das fünfte Jahr, in dem wir nicht genügend Wasser haben. Deshalb werden wir weniger Weizen ernten. Früher hatten wir jedes Jahr Weizen und Baumwolle exportiert, aber in diesem Jahr wird das schwierig. Wir werden eine Einwanderung erleben. In diesem Jahr werden drei Millionen von 22 Millionen Syrern von der Dürre betroffen sein. Deshalb ist das zur Zeit unsere Priorität." [7]


Repression - Die Antwort des Staates auf den ersten Hauch des Arabischen Frühlings

Wie die jüngere Geschichte gezeigt hat, kam es anders, Baschar al-Assad unternahm nichts gegen die Dürre. Zwei Monate nach diesem Interview malten Jugendliche unter dem noch frischen Eindruck des Arabischen Frühlings in Ländern wie Ägypten und Tunesien in der südsyrischen Stadt Dara'a Parolen an die Wand, die zum Sturz des Präsidenten aufriefen. Kinder und Jugendliche wurden verhaftet und Berichten zufolge schwer gefoltert, auch getötet. Proteste schlossen sich an, die von den Sicherheitskräften brutal niedergeschlagen wurden. Die Zahl der Getöteten stieg. Demonstrationen mit der Parole "Freiheit und Würde" griffen auf andere Städte in der Region über. So wurde ein regelrechter Flächenbrand in Gang gesetzt.

Noch im gleichen Jahr ging die Regierung auf einige der Forderungen der Demonstranten ein, führte weitere Reformen durch und erließ eine Amnestie für mehreren tausend Gefangene. Außerdem wurden einige führende Köpfe, die für die anfänglichen harschen Repressionen verantwortlich waren, abgesetzt. Genutzt hat dieses Entgegenkommen offensichtlich nichts, denn schon bald übernahmen andere oppositionelle Interessengruppen, diesmal bewaffnet, das Ruder, lehnten alle Gesprächsangebote seitens der Regierung ab und ließen die Lage eskalieren.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung ist die Einschätzung Fröhlichs, daß die mehrjährige Dürre in Syrien sicherlich die Spannungen verstärkt habe, aber andere Faktoren bestimmender für den Ausbruch des Aufstands waren, plausibel. Allerdings sei an dieser Stelle eine etwas andere Lesart jener PNAS-Studie, auf die sich die Wissenschaftlerin unter anderem bezogen hat, wiedergegeben. Colin P. Kelley und seine Co-Autoren bezeichneten die Dürre als "Katalysator" und schrieben, ob die Dürre ein primärer oder ein wesentlicher Faktor für die Entstehung des Aufstands war, könne man nicht sagen, "aber sie kann verheerende Folgen nach sich ziehen, wenn sie auf eine bereits bestehende akute Verletzlichkeit, die im Falle Syriens von schlechter Politik und nicht-nachhaltigen Landnutzungspraktiken sowie der langsamen und ineffektiven Antwort des Assad-Regimes erzeugt wurde, trifft."

Und in der Zusammenfassung der Studie heißt es:

"Unsere Analyse des Konflikts in Syrien zeigt einen Einfluß eines extremen Klimaereignisses im Kontext von Regierungsversagen, verschärft durch den einzigartigen Umstand des großen Zustroms irakischer Flüchtlinge."

Das liest sich nicht viel anders als das, was Fröhlich berichtet hat. Jedenfalls ist in diesen beiden Zitaten nicht zu erkennen, daß die US-Studie, wie Fröhlich behauptet, "eine relativ lineare Kausalität herstellt zwischen Dürre und Migration und Beginn der Demonstrationen in Syrien". Wenngleich hier nicht in Abrede gestellt werden soll, daß die Bedeutung der Dürre in der US-Studie etwas mehr bekräftigt wird als bei der Hamburger Konfliktforscherin, die sich im übrigen auch nicht allein auf diese eine Studie bezogen hat.


Schlußbemerkungen I - interventionistische Interessen

Die Transformation von der Plan- zur Marktwirtschaft, der tendenzielle Rückzug des Staates aus der Grundversorgung der Bevölkerung, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, der Zustrom von einer Million irakischer Flüchtlinge binnen weniger Jahre und der nordsyrischen Landbevölkerung sowie die brutale Reaktion der Sicherheitskräfte auf Forderungen aus der Aufbruchstimmung des Arabischen Frühlings heraus bildeten den entscheidenden Hintergrund für den Beginn des Aufstand ...

... wohingegen dessen weiterer Verlauf bis heute von innersyrischen (sozioökonomischen und nicht zuletzt religiösen), regionalen (Iran, Saudi-Arabien und andere Golfmonarchien, Türkei, Israel, Irak und Ägypten verfolgen ihre eigenen Interessen im Syrienkonflikt) und geostrategischen Auseinandersetzungen (USA, EU versus Rußland, das in Tartus an der syrischen Mittelmeerküste seinen einzigen Auslandshafen unterhält) um Einfluß und Vorherrschaft geprägt ist. Wohl keine dieser Interessen macht die Wahrung seiner Ansprüche von Bedingungen, wie sie vom Klima vorgegeben werden, abhängig. Damit soll gesagt werden: es gibt triftige Gründe für die Vermutung, daß der Bürgerkrieg in Syrien auch ohne jene "Jahrhundertdürre" ausgebrochen wäre.

Wer hingegen behauptet oder zumindest durch seine Formulierungen den Eindruck erweckt, daß in Zukunft der Klimawandel der entscheidende Konfliktauslöser sein wird, übersieht, daß durch die absehbaren Folgen des globalen Klimawandels (u.a. Meeresspiegelanstieg, Zunahme von Extremwetterereignissen wie Dürren und Überschwemmungen, Artensterben, Versauerung der Meere, Gletscherschwund und dadurch bedingt Trinkwassermangel) zahlreiche Menschen in existentielle Not geraten werden, aber daß es immer noch die menschlichen Gesellschaften mit den von ihnen bevorzugten politischen Systemen und wirtschaftlichen Produktionsverhältnissen sind, die ihre Mitglieder in Zeiten der Not entweder im Stich lassen oder eben nicht.


Bewaffneter Mann geht durch zerbombte und zerschossene Häuserruinen - Foto: Basma, freigegeben als CC BY-ND 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/] via Flickr

Aleppo, Karm al Jabal, 4. März 2013. Wenn Militärs welcher Fraktion auch immer das Geschehen bestimmen, sieht das Ergebnis fast immer gleich aus.
Foto: Basma, freigegeben als CC BY-ND 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/] via Flickr


Schlußbemerkungen II - militärische Machtansprüche

Wenn sich der Klimawandel in Zukunft verschärft, wird es große Fluchtbewegungen geben, lautet eine schlüssige, wenngleich banale These. Aus dem Syrienkonflikt läßt sich ableiten: Wenn die gesellschaftlichen Bedingungen in Zukunft weiterhin von der Ideologie des "freien" Marktes bestimmt werden, werden die zu erwartenden negativen Folgen des Klimawandels mehr denn je von den wenigen Privilegierten gegen all die Besitzlosen, Im-Stich-Gelassenen und anderen Marginalisierten der Gesellschaft in Stellung gebracht werden. Das ist natürlich keine Schlußfolgerung, die man in dem offiziellen Bericht zur Münchner Sicherheitskonferenz 2016, auf die das DKK abhob, nachlesen könnte. In dem Bericht heißt es zum Thema Klimawandel:

"Für die meisten Gesellschaften stellt er einen Bedrohungsmultiplikator dar: Eine Zunahme an meteorologischen Extremereignissen, Dürren und Landdegradation ebenso wie der Meeresspiegelanstieg kann und wird politische Fragilität und Ressourcenkonflikte verschärfen, wirtschaftliche Not und Massenmigrationen steigern sowie ethnische Spannungen und innere Unruhen verstärken." [8]

Nicht die vielfältigen Interventionen von außen werden in dem Bericht als Konfliktverstärker in Syrien angesehen, sondern genau umgekehrt die - angebliche - Zurückhaltung (hands-off approach) des Westens: "Das hat die Bedingungen sowohl für einen blutigen als auch zunehmend komplexeren Bürgerkrieg und für den heutigen regionalen Flächenbrand, einschließlich der russischen Militärintervention, geschaffen."

Jene "Zurückhaltung" setzt sich zusammen aus Wirtschaftssanktionen der USA und der EU gegen Syrien; aus den Machenschaften des NATO-Mitglieds Türkei, das es oppositionellen Kämpfern des Islamischen Staats (IS) ermöglicht, syrisches Erdöl über seine Grenze zu bringen und zu verkaufen, und verletzte IS-Kämpfer in türkischen Krankenhäusern behandeln läßt. Zu dieser "Zurückhaltung" gehört auch die Rückendeckung der Freien Syrischen Armee (FSA) durch die USA und ihre europäischen Verbündeten sowie die Unterstützung dschihadistisch-sunnitischer Gruppen - darunter mindestens indirekt auch des IS - durch Saudi-Arabien, einem Verbündeten des Westens in dieser Region.

Schlußbemerkungen III - dystopische Deutung

Sinkende Grundwasserspiegel in vielen landwirtschaftlichen Gebieten, starke Bodenverluste durch Erosion, Versalzung, Verkarstung und Verlust der organischen Bodenanteile sowie Umweltverschmutzungen, Begrenztheit der landwirtschaftlich überhaupt noch verfügbar zu machenden Fläche, Flächenkonkurrenz zwischen Nahrungs- und Futtermittelanbau sowie Anbau von Pflanzen für Agrosprit und andere industrielle Interessen und nicht zuletzt Flächenverlust durch Siedlungs- und Infrastrukturausbau sowie den Meeresspiegelanstieg werden in Zukunft zu einem aus heutiger Sicht kaum auslotbaren Mangel an Nahrungsmitteln für die wachsende Menschheit führen.

Die sozioökonomischen Voraussetzungen, wie sie von Fröhlich beschrieben werden, sind gegenwärtig sicherlich von wesentlicher Bedeutung. Wenn aber der Mangel weiter zunimmt, wie es sich bereits in Syrien abgezeichnet hat, da das Land einst Getreide exportieren konnte, aber gegen Ende des vergangenen Jahrzehnts auf einmal nicht mehr, könnte das sehr wohl größere Fluchtbewegungen auslösen, wenngleich stets als ein Glied in der Kette.

Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR haben die Flüchtlingszahlen in den letzten Jahren zugenommen. 2015 befanden sich fast 60 Millionen Menschen auf der Flucht, so viele wie nie zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg. [9] Liegt da die Annahme nicht nahe, daß sich dieser Trend im aktuellen "dritten Weltkrieg" (Papst Franziskus [10]) fortsetzen wird, solange der Mensch der größte Feind des Menschen ist, was er zivilisationsgeschichtlich von jeher war?


Abschlußfoto mit Dr. Paul Becker, Marie-Luise Beck und Dr. Christiane Fröhlich - Foto: © 2016 by Schattenblick

Flucht, Sicherheit und Klimawandel - Erleichterung nach erfolgreichem Manövrieren durch ein vielschichtiges Thema
Foto: © 2016 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] Perrihan Al-Riffai, Clemens Breisinger, Dorte Verner, Tingju Zhu: Droughts in Syria: An Assessment of Impacts and Options for Improving the Resilience of the Poor. Quarterly Journal of International Agriculture 51 (2012), No. 1: 21-49.
http://ageconsearch.umn.edu/bitstream/155471/2/2_Al-Riffai.pdf

[2] http://derstandard.at/2000026264396/Prinz-Charles-Duerre-in-Syrien-ist-eine-Ursache-fuer-Buergerkrieg

[3] Colin P. Kelley, Shahrzad Mohtadi, Mark A. Cane, Richard Seager, and Yochanan Kushnir: Climate change in the Fertile Crescent and implications of the recent Syrian drought". Proceedings of the National Academy of Sciences, March 17, 2015, vol. 112, no. 11, S. 3241-3246, doi:10.1073/pnas.1421533112
http://www.pnas.org/content/112/11/3241.full

[4] http://www.deutsches-klima-konsortium.de/fileadmin/user_upload/pdfs/PE_PM/20160211_PM_DKK-KF_zu_Klimawandel_und_Migration.pdf

[5] Angela Joya: Syria's Transition to a Market Economy & American Power. Relay - A Socialist Project Review, No. 11, Mai/Juni 2006.

[6] https://www.imf.org/external/pubs/ft/scr/2009/cr0955.pdf

[7] http://www.wsj.com/articles/SB10001424052748703833204576114712441122894

[8] Munich Security Report 2016. Borderless Crises, Reckless Spoilers, Helpless Guardians. Herausgegeben von der Munich Security Conference Foundation GmbH, München 2016. ISSN (Internet) 2365-2187
http://report.securityconference.de/

[9] http://www.unhcr.de/home/artikel/f31dce23af754ad07737a7806dfac4fc/weltweit-fast-60-millionen-menschen-auf-der-flucht.html

[10] Messfeier unter Vorsitz von Papst Franziskus bei der militärischen Gedenkstätte Redipuglia zum hundertsten Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs (13. September 2014)
http://w2.vatican.va/content/francesco/de/homilies/2014/documents/papa-francesco_20140913_omelia-sacrario-militare-redipuglia.pdf

15. Februar 2016


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