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BERICHT/131: Botanik 2017 - Grenzen der Ertragssicherheit ... (SB)



Welche Auswirkungen wird der Klimawandel auf das Pflanzenwachstum haben? Läßt sich für die Welt von morgen die Produktivität einer Pflanze steigern? Wenn ja, bis zu welcher Höhe? Wodurch kann man den Züchtungsvorgang beschleunigen? Dies zählte mit zu den am häufigsten behandelten Fragen auf der Botanikertagung 2017 in Kiel. Sie wurden auch bei einer öffentlichen Abendveranstaltung mit Vortrag zum Thema "Können wir mit unseren Nutzpflanzen in 20 Jahren noch die Welt ernähren?" und der anschließenden Podiumsdiskussion am 18. September im Audimax der Christian-Albrechts-Universität (CAU) zu Kiel aufgeworfen. Der Referent, Prof. Dr. Andreas Graner, geschäftsführender Direktor und Leiter der Abteilung Genbank am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben, der den rund 50 Minuten langen Vortrag gehalten hat, nahm auch an der anschließenden Podiumsdiskussion teil.


Auf dem Podium sitzend - Foto: © 2017 by Schattenblick

Podiumsgespräch zur zukünftigen Ernährung der Menschheit.
Von links: Prof. Dr. Friedhelm Taube, Prof. Dr. Andreas Graner, Prof. Dr. Karl-Josef Dietz, Prof. Dr. Andreas Weber, Stig Tanzmann, Dr. Frank Wolter
Foto: © 2017 by Schattenblick

Auch dabei wurden das zukünftige Klima und seine Folgen für die Nutzpflanzen problematisiert, wobei seine Mitdiskutanten Prof. Dr. Friedhelm Taube (Institut für Pflanzenbau & Pflanzenzüchtung der CAU), Prof. Dr. Andreas Weber (Institut für Biochemie der Pflanzen an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Sprecher des Exzellenzclusters CEPLAS), Stig Tanzmann (Brot für die Welt), Dr. Frank Wolter (Norddeutsche Pflanzenzucht, NPZ Innovation GmbH, Hohenlieth, Holtsee) und als Moderator Prof. Dr. Karl-Josef Dietz (Präsident der Deutschen Botanischen Gesellschaft) von Anfang an klarstellten, daß der Klimawandel kaum kalkulierbare Folgen auf die Landwirtschaft haben wird, aber die Getreideernten eher schmälern denn vergrößern dürfte.

Eigentlich läßt eine im Durchschnitt wärmere Erde wenigstens regional auch ein vermehrtes Pflanzenwachstum erwarten, beispielsweise in den heute noch kälteren Zonen Osteuropas, zumal in Zukunft die Konzentration an Kohlendioxid (CO2) in der Luft steigt. Pflanzen "lieben" CO2, sie brauchen das Gas, insbesondere den Kohlenstoffanteil, für ihr Wachstum. Dennoch, der Klimawandel wird aller Voraussicht nach keine Ertragssteigerungen bringen. Ganz abgesehen davon, daß sich mit der globalen Erwärmung Vegetationszonen zu den Polen hin verschieben, dabei traditionelle Nutzpflanzensysteme zerstört werden und mit vermehrten Extremwetterereignissen wie Dürren, Überschwemmungen, intensiveren Stürmen zu rechnen ist, läßt auch das Pflanzenwachstum für sich genommen keine höhere Erträge erwarten. Mehr CO2 in der Luft kann nämlich bedeuten, daß sich die Spaltöffnungen der Blätter schließen. "Daraufhin werden Sekundärprozesse verlangsamt oder beschleunigt und unterschiedliche Pflanzenarten reagieren darauf unterschiedlich", sagte Prof. Graner im Interview mit dem Schattenblick [siehe unten].

Es sei schwer vorherzusagen, welche Arten von Nutzpflanzen wir Mitte des Jahrhunderts brauchen, wenn der CO2-Gehalt in der Atmosphäre steigt, machte Prof. Weber beim Podiumsgespräch auf ein prinzipielles Problem der Züchtungsforschung aufmerksam. Eine Pflanze bis zur Marktreife zu bringen dauert 10 - 15 Jahre. Die heute gezüchteten Pflanzen müßten aber ihre hohen Erträge unter einem Klima von morgen, das heißt mit einem deutlich höheren CO2-Anteil an der Atmosphäre, bringen. Das stellt eine besondere Anforderung dar. Damit sei eine Menge Unsicherheit verbunden, sagte Weber. Er sei da etwas pessimistischer als der Referent.

Graner hatte zwar ebenfalls von Unsicherheiten in der Pflanzenzüchtung gesprochen und erklärt, daß eine Ertragssteigerung keineswegs ein Automatismus sei. Doch alles in allem hat er die Aussicht, bis zum Jahre 2050 eine durchschnittliche jährliche Produktivitätssteigerung von einem Prozent zu erzielen, damit die auf 9,5 Milliarden Menschen anwachsende Weltbevölkerung genügend zu essen hat, als machbar dargestellt.


Flache Küste, an der das Meer das Land stellenweise überflutet hat - Foto: IWRM AIO SIDS, CC BY-NC-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/]

Grand Baie, Nordmauritius, 13. Juli 2015: Das Eindringen von Salzwasser in die Grundwasserspeicher und die Kontamination von landwirtschaftlichen Flächen werden für viele Inseln und flache Küstengebiete ein großes Problem sein, da der Meeresspiegel sogar dann noch weiter steigt, wenn die Staaten ihre Klimaschutzziele einhalten. Salzwasserresistenz einzuzüchten ist eine der Aufgaben der Pflanzenforschung.
Foto: IWRM AIO SIDS, CC BY-NC-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/]

Eher in die Stoßrichtung Webers geht eine Ende August in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) [1] erschienene Metastudie, in der die Autorinnen und Autoren genauer wissen wollten, was von einem Anstieg der globalen Temperaturen hinsichtlich der Ernteerträge zu erwarten sei. Dazu haben sie eine Reihe von bereits veröffentlichten Studien ausgewertet. Das Ergebnis fiel ziemlich ernüchternd aus.

Untersucht wurden die Auswirkungen eines Temperaturanstiegs auf Weizen, Reis, Mais und Soja. Über diese vier Getreidearten erhält die Weltbevölkerung zwei Drittel ihrer Kalorienzufuhr. Auf der Basis von vier verschiedenen Analysemethoden voneinander unabhängiger Studien wurde festgestellt, daß sich die höheren Temperaturen im Weltmaßstab in allen Fällen negativ auswirken; unterstützt wurde dieses Ergebnis durch nationale und standortbezogene Untersuchungen. Wenngleich zwischen den Ergebnissen der einzelnen Studien große Unterschiede bestehen und sie somit ein sehr heterogenes Bild bieten, waren die Trends in der Summe eindeutig. Im Durchschnitt würde eine Temperaturzunahme von einem Grad Celsius die globale Erntemenge von Weizen um 6,0 Prozent, Reis 3,2 Prozent, Mais 7,4 Prozent und Soja 3,1 Prozent verringern.

Schreibt man den gegenwärtigen Trend der nationalen Klimaschutzmaßnahmen fort, so steuert die Erde auf einen Temperaturanstieg von drei bis vier Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu. Davon wurde schon rund ein Grad in Anspruch genommen.

Unberücksichtigt blieb in der Studie, daß sich Züchtungsforschung und Landwirtschaft auf das wärmere Klima einstellen können und es in der Vergangenheit auch schon getan haben. Dann fiele das Ergebnis nicht so gravierend aus. Doch ebenso wurde nicht berücksichtigt, daß sich die Niederschlagsmenge und die Art der Niederschläge bei höheren Temperaturen ändern werden. Und wenn der Temperaturanstieg nicht von einer ebenfalls höheren Luftfeuchtigkeit begleitet wird, geraten die Pflanzen in Wasserstreß und ergreifen Schutzmaßnahmen. Beispielsweise können sie eine Notreife einleiten, bei der nur ein Teil der Samen zur vollständigen Reife gebracht wird und die Pflanze alle anderen verdorren läßt.

Auch indirekte Folgen des Temperaturanstiegs, von denen zahlreiche zu nennen wären, wurden in der Studie nicht aufgegriffen. Wenn es wärmer wird, gedeihen Getreidepilze und andere Krankheitserreger besser. Schon heute stellen sie ein großes Problem dar, das vor allem durch den Einsatz von Pestiziden bekämpft wird. Deren Verwendung sorgt zwar für höhere Erträge, aber zugleich können davon Bestäuber wie Bienen geschädigt werden. Was langfristig wiederum die Ernten schmälert. Und auch die Menschen selbst reagieren womöglich viel empfindlicher auf Pestizide, als es bislang bekannt ist ...

Kurzum, auch diese Metastudie vermag lediglich einen Aspekt der möglichen zukünftigen Klimaentwicklung zu beleuchten. Doch dieser Aspekt für sich genommen läßt nichts Gutes erwarten. Und wenn die Pflanzenexperten auf dem Podium "Innovationen" fordern, klingt dabei nicht durch, daß die Menschen eigentlich immer wieder gegenüber negativen Entwicklungen ins Hintertreffen geraten. Ähnlich wie der Klimawandel die sozialen Probleme verschärfen wird, wird er auch auf den verschiedenen Produktionsstufen der Nahrungsherstellung die bestehenden Verhältnisse über den Haufen werfen, das heißt, die Probleme verstärken.


Luftaufnahme von ausgedörrt wirkenden Feldern, die Luft ist trübe vom Staub - Foto: Pete Souza / White House

Extreme Dürre in Kalifornien liefert die Voraussetzungen auch für die aktuellen, verheerenden Waldbrände.
14. Februar 2014: US-Präsident Barack Obama mit dem Hubschrauber auf dem Weg nach Firebaugh, Kalifornien.
Foto: Pete Souza / White House

Wird der Klimawandel die Pflanzenproduktivität erhöhen oder nicht? Es ist nachvollziehbar, warum die Podiumsteilnehmer an dieser Stelle nicht konkreter geworden sind, ja, es nicht werden konnten. Es gibt kein einheitliches Bild dieser komplexen Entwicklung. Wird auch nur an einer "Stellschraube" gedreht, ändert das unter Umständen alles. Ein Beispiel: Als vor einigen Jahren eine Forschergruppe von der University of Illinois in Urbana-Champaign (UIUC) im Labor, im Treibhaus und in einem nach oben offenen Treibhaus überprüft haben, ob Pflanzen schneller wachsen und mehr Erträge liefern, wenn ihre Umgebungsluft mehr CO2 enthält, wurden sie zunächst bestätigt. Doch dann baute die Forschergruppe ein aufwendiges Freilandexperiment auf, bei dem Soja- und Maispflanzen ebenfalls in einer Umgebungsluft mit höherem CO2-Gehalt aufgezogen wurden. Das Ergebnis war verblüffend. Die Pflanzen warfen nur noch halb so viele Erträge ab wie in den vorangegangenen Versuchen. Die Ursache war schnell ausgemacht: Die kräftigen Pflanzen wurden von erheblich mehr Blattläusen und Käfern befallen als Pflanzen unter den heutigen klimatischen Bedingungen. Dem noch nicht genug, lebten die Käfer, die sich von den Blättern der üppig mit CO2 versorgten Sojapflanzen ernährt hatten, länger und legten auch mehr Eier ab. [2]

Die Biochemiker fanden gleichfalls heraus, warum die Samenbildung in der simulierten Klimawandelwelt bescheidener ausfiel. Unter der hohen CO2-Konzentration in der Luft hatten die Pflanzen drei Gene abgeschaltet, die bis dahin dazu beitrugen, eine chemische Verteidigung gegen Insekten aufzubauen. Zu den Verteidigungsmaßnahmen gehörte ein Protein, das im Magen der Käfer bestimmte Enzyme blockiert, die für die Verdauung von Nahrung benötigt werden. Ohne diese mit dem Pflanzenmaterial aufgenommene chemische Bremse in ihrem Verdauungsapparat fingen die Käfer an, ihrem Appetit ungezügelt Lauf zu lassen und sich vorzugsweise von den leckeren Blättern der kräftigen CO2-begasten Pflanzen zu ernähren.

Auch angesichts solcher Studienergebnisse liegt die Idee nahe, der Vielschichtigkeit der ökologischen Wirkzusammenhänge durch die Bewahrung einer größeren Biodiversität zu begegnen, um auf diese Weise gravierende Einbrüche in der Getreideproduktion zu vermeiden, wie Stig Tanzmann es bei der Podiumsdiskussion vorgeschlagen hat. Sicherlich ist seine gegen den enormen Konzentrationstrend in der Agrobranche gerichtete Frage, "wenn die Großen scheitern, was ist dann?", insofern zu einfach, als daß jene großen Saatgutkonzerne nicht nur auf eine einzige Pflanze setzen, sondern große Kapazitäten der Züchtungsforschung akkumuliert haben. Aber zugleich kann die Frage wohl gar nicht einfach genug gestellt werden, haben doch jene "Großen" mit ihrer Unternehmenspolitik entscheidend dazu beigetragen, daß immer mehr Nutzpflanzen vom Speiseplan verschwinden und sie ihre "Erfolgssaaten", oftmals in Monokultur angebaut, weltweit verkaufen.

Nach Berechnungen der FAO müssen die Erträge pro Hektar bis Mitte des Jahrhunderts um 50 Prozent steigen. Nennenswertes Steigerungspotential gibt es jedoch fast nur in Afrika, wohingegen die Äcker Westeuropas und Nordamerikas bereits nahe an ihrem agrarökologischen Optimum bewirtschaftet werden.

Lagen die jährlichen Produktivitätszuwächse bei Nutzpflanzen global zwischen 1960 und 2000 bei 2,8 Prozent, sind sie seitdem auf ein Prozent geschrumpft - trotz der Innovationen in der Pflanzenzüchtung durch die sogenannte Grüne Gentechnik seit etwa Mitte der neunziger Jahre. In der Züchtungsforschung besteht anscheinend große Unsicherheit hinsichtlich der Frage, ob es ihr gelingen wird, regelmäßig neue Pflanzen zu züchten, die auch in einer Welt mit 9,5 Mrd. Menschen im Jahr 2050 deutlich höhere Erträge abwerfen als heute, auch wenn sich die klimatischen Verhältnisse sehr zum Nachteil des landwirtschaftlichen Anbaus entwickeln werden.


Ein Dutzend Personen im Schatten eines Baumes in einer von starken Erosionsfolgen geprägten, sanft hügeligen Landschaft - Foto: © Aaron Minnick, World Resources Institute, CC BY-NC-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/]

Bereits heute ist ein Drittel der Landfläche in irgendeiner Form degradiert, und es leben rund 1,2 Milliarden Menschen auf degradiertem Land.
Teeplantage und degradierte Landschaft in Äthiopien, 4. August 2014.
Foto: © Aaron Minnick, World Resources Institute, CC BY-NC-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/]

Bereits heute ist ein Drittel der Landfläche in irgendeiner Form degradiert; es leben rund 1,2 Milliarden Menschen auf degradiertem Land. In Zukunft muß nicht nur mehr Nahrung unter sehr viel schwierigeren klimatischen Bedingungen als heute produziert werden, sondern es stellen sich auch Fragen, vor welchem gesellschaftlichen Hintergrund die Züchtungsforschung betrieben wird, wer einen Nutzen davon hat und wer nicht. Wenn beispielsweise die Nahrungsproduktion weiterhin und im zunehmenden Maße Privatunternehmen überlassen wird, werden eben auch private und somit profitorientierte Interessen darüber bestimmen, was, in welcher Menge, für wen (und für wen nicht) produziert wird. Das ist alles andere als gleichbedeutend damit, den Hunger zu beenden, wie es laut den UN-Nachhaltigkeitszielen bis 2030 geschehen soll und wozu nicht zuletzt die umstrittenen, da oftmals gescheiterten, öffentlich-privaten Partnerschaften (ppp - public private partnership) eingesetzt werden sollen.


Fußnoten:

[1] http://www.pnas.org/content/114/35/9326

[2] http://www.ucsusa.org/global_warming/science_and_impacts/impacts/Global-warming-insects.html


Bisher zur öffentlichen Abendveranstaltung der Botanikertagung 2017 in Kiel im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/127: Botanik 2017 - Agrarpfründe, Agrarsünde ... (SB)
BERICHT/128: Botanik 2017 - mundgerechtes Zählen ... (SB)
BERICHT/129: Botanik 2017 - Gretchens gefährliche Rechnungen ... (SB)

INTERVIEW/261: Botanik 2017 - Nahrungsquellen nicht grenzenlos ...     Prof. Dr. Andreas Graner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/262: Botanik 2017 - Finanzbedarf und Wissensmängel ...     Prof. Dr. Andreas Weber im Gespräch (SB)

13. Oktober 2017


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