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BERICHT/132: Die letzten Reserven - Kette rückwärts ... (SB)


Nachdem die Menschen Luft, Boden und Gewässer weltweit so stark übernutzt und mit Schadstoffen belastet haben, daß ihre eigenen Lebensvoraussetzungen und die ihrer Mitwelt mehr und mehr zerstört werden, schicken sie sich jetzt an, ihr destruktives Werk von unten her fortzusetzen. Meeresbodenbergbau lautet das Zauberwort, mit dem der Rohstoffhunger der Industrie auch dann noch gestillt werden soll, wenn die landgebundenen Lagerstätten allmählich erschöpft werden und die Rohstoffpreise steigen. Ausgerechnet grüne, als "klimafreundlich" geltende Technologien, wie sie beim Umstieg von fossilen auf regenerative Energiesysteme gefordert werden, steigern den Bedarf an Kupfer, Kobalt, Seltenen Erden und vielen weiteren Rohstoffen immens. Noch befinden sich deren Preise im Keller, noch gibt es keinen kommerziell betriebenen Abbau von Lagerstätten in der Tiefsee, aber die Wirtschaft bereitet sich schon intensiv darauf vor, eines vielleicht nicht mehr fernen Tages Manganknollen, Massivsulfide und Kobaltkrusten in bis zu fünf, sechs Kilometern Meerestiefe abzubauen. Das Meer wird auf bislang unerreichte Weise Bestandteil der globalen Ökonomie.


Porträt von Kai Kaschinski - Foto: © 2017 by Schattenblick Dr. Janis Thal auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick Porträt von Jan Pingel - Foto: © 2017 by Schattenblick

Von links: Kai Kaschinski, Dr. Janis Thal, Jan Pingel.
Foto: © 2017 by Schattenblick

Davon und von dem bislang am weitesten fortgeschrittenen Tiefseebergbauvorhaben Solwara 1 des kanadischen Unternehmens Nautilus Minerals in der Bismarcksee vor Papua-Neuguinea handelte am 20. Oktober 2017 die Veranstaltung "Plünderung der Tiefsee. Welthunger nach Rohstoffen" in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg. Auf Einladung von "umdenken - Heinrich-Böll-Stiftung Hamburg" referierten Kai Kaschinski (Fair Oceans), Dr. Janis Thal (MARUM, Universität Bremen) und Jan Pingel (Ozeanien-Dialog) unter der Moderation von Nadja Ziebarth (BUND) zu den rechtlichen, geologischen und soziokulturellen Aspekten des Tiefseebergbaus. Verstärkt durch Fragen und Anmerkungen aus dem teils sachkundigen Publikum ergab sich so ein informativer Abend, bei dem man ausführlich in die Problematik eingeführt wurde. Am Ende wies das Treffen eigentlich nur einen kleinen Mangel auf: es hätte gerne etwas länger dauern können ...

Den Vortragsreigen eröffnete Kai Kaschinski, der sich seit den 1980er Jahren mit dem Thema Meeresschutz und internationale Politik befaßt, seit 1998 im Vorstand des Vereins für Internationalismus und Kommunikation e.V. in Bremen sitzt und sich seit 2009 bei der Nichtregierungsorganisation Fair Oceans für den Meeresschutz im Kontext der Nord-Süd-Problematik und der UN-Nachhaltigkeitsziele einsetzt. Zwei Jahre nach ihrer Gründung wandte sich Fair Oceans auch dem Meeresbodenbergbau in der Tiefsee zu, was zu dem Zeitpunkt noch ein absolutes Außenseiterthema war. Das ist es bis heute weitgehend geblieben - im starken Kontrast zu den potentiellen Gefahren, die davon im globalen Maßstab ausgehen.

Man weiß so gut wie nichts über die lichtlose Sphäre der Tiefsee, auch wenn Forscherinnen und Forscher unter anderem aus Deutschland an einigen Stellen, teils über Jahre hinweg, Untersuchungen über Umweltauswirkungen des Bergbaus vorgenommen haben. Doch allein schon, daß die Fläche des Meeresbodens des Pazifischen Ozeans größer ist als die Oberfläche unseres Nachbarplaneten Mars, wie Kaschinski berichtete, läßt die Dimensionen ahnen, mit denen man es hier zu tun hat. Zumal die Rohstoffe, welche die Begehrlichkeiten der Industrie wecken, in unterschiedlichen Meerestiefen liegen, ein Bergbau mithin mehrere Schichten beträfe und das Meer in einem größeren Volumen beeinflußt würde.

Manganknollen liegen im oder auf dem Meeresboden der großen Ozeanebenen meist zwischen 4000 und 6000 Meter Tiefe, kommen aber auch in flacheren Gebieten beispielsweise vor den Cookinseln vor. Bei einem einzigen Fördervorhaben könnten pro Jahr Manganknollen auf einer Fläche von 130 bis 200 km² abgebaut werden, rechnete Kaschinski vor. Bei einer durchschnittlichen Wirtschaftsdauer von 20 Jahren wäre das eine Fläche von 2.700 bis 4.000 km². Der Referent veranschaulichte die Dimensionen, um die es hier geht, mit einem Vergleich zur größten genehmigten Braunkohletagebaufläche in Deutschland, dem Hambacher Forst, die 85 km² groß ist. Wie der Autor aus eigener Anschauung weiß, reicht jener Tagebau beinahe bis zum Horizont. Würde demnach pro Jahr und Vorhaben die doppelte Fläche am Meeresboden abgegrast und sollten laut Kaschinski irgendwann womöglich mehrere hundert Unternehmen damit befaßt sein, den Tiefseeboden aufzuwühlen, dürften die Folgen für die Meere verheerend ausfallen.

Die Kobaltkrusten finden sich in 1000 bis 2.500 Meter Meerestiefe an den Hängen submariner Höhenzüge, den sogenannten Seamounts oder Seebergen. Die Ablagerungen entstehen über zig Millionen Jahre aus den kalkhaltigen Schutzschilden abgestorbener Algen, die sich auf dem Weg durch die Wassersäule nach unten chemisch umwandeln und dabei Bindungen z. B. mit Mangan, Eisen, Kobalt, Kupfer, Nickel und Platin eingehen.

Der Ursprung der dritten begehrten Rohstoffkategorie, der Massivsulfide, liegt im Erdinnern. Sie stellen eine Hinterlassenschaft vulkanischer Aktivitäten beispielsweise von hydrothermalen Schloten dar und werden auch heute noch gebildet. Aus jenen "Schwarzen Rauchern" (und auch Weißen Rauchern) dringt aufgeheiztes, mit verschiedenen Mineralien angereichertes Meerwasser aus den Ozeanböden ins Meer und kühlt sich schlagartig ab. Rund um die Austrittsstelle werden Elemente wie Schwefel, Zink, Gold, Kupfer, Blei, Eisen, Indium, Germanium, Wismut und Selen ausgefällt.


Hellgelbe Flächen auf verkrustetem Gestein - Foto: New Zealand-American Submarine Ring of Fire 2005 Exploration; NOAA Vents Program, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Eisen- und siliziumhaltige Kamine am Gipfel des Unterwasservulkans Giggenbach sind ein Hinweis auf einstmals heiße Quellen.
Neuseeland, Kermadec Arc, 18. April 2005.
Foto: New Zealand-American Submarine Ring of Fire 2005 Exploration; NOAA Vents Program, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

In den Massivsulfiden des Manus-Beckens vor Papua-Neuguinea kann Gold in einer Konzentration von 57 Gramm pro Tonne vorliegen, was in der Fachwelt als ausgesprochen hoch gilt, erklärte der Vulkanologe Dr. Janis Thal, der nur 1,5 Kilometer von Solwara 1 entfernt von Bord des deutschen Forschungsschiffs "Sonne" aus im Rahmen einer interdisziplinären Untersuchung geologische Kartierungen von Hydrothermalfeldern mit aktiven Rauchern vorgenommen hat. An anderen Stellen dagegen fände man nur 1 Gramm Gold pro Tonne. Er sei sehr gespannt, ob in solchen Quellen wirklich so viel Gold wie manchmal vorausgesagt gefunden wird, meinte Thal.

Bei dem erwähnten Projekt Solwara 1 von Nautilus Minerals geht es genau darum, solche Massivsulfide abzubauen. Die deutsche Regierung läßt im Indischen Ozean ebenfalls Schwefelablagerungen auf ihre Abbauwürdigkeit hin erforschen. Die rechtlichen Voraussetzungen zwischen diesen beiden Projekten sind jedoch grundverschieden. Nautilus Minerals hat sich mit seinem Anliegen direkt an die Regierung Papua-Neuguineas gewandt, da die potentielle Lagerstätte innerhalb der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) des Landes liegt. Papua-Neuguinea ist zu 15 Prozent an dem Vorhaben beteiligt. Die heutige Regierung wollte zwar Abstand davon nehmen, ist aber vertraglich gebunden. Darüber hat ein internationales Schiedsgericht entschieden.

Laut dem Seerechtsübereinkommen von 1982 hat jeder Staat, der über eine eigene Küste verfügt, das Recht, das Meer bis zu 200 Seemeilen (in Sonderfällen bis zu 350 Seemeilen) weit hinaus wirtschaftlich zu nutzen. Wollen andere Staaten das ebenfalls, müssen sie um Erlaubnis bitten. 30 bis 40 Prozent der gesamten Ozeanoberfläche unterliegen so der nationalen Verfügbarkeit. Die größten Ausdehnungen der AWZ gehören zu den USA (11,3 Mio. km²) und Frankreich (11,0 Mio. km²). Dadurch, daß sich Frankreich vor allem im Pazifischen Ozean viele Inseln angeeignet hat, verfügt es bis heute über ein riesiges Gebiet, das es wirtschaftlich nutzen darf.

Auch das ist ein Grund dafür, warum in Papua-Neuguinea und anderen Inselstaaten Widerstand gegen den Meeresbodenbergbau wächst, wußte Jan Pingel in seinem Vortrag zu berichten. Der studierte Politikwissenschaftler und Koordinator der Lobby-und Kampagnenarbeit im Kontext des Ozeanien-Dialogs war im August dieses Jahres für einen Monat in die Region gereist und hat mit den Menschen dort gesprochen. Für sie ist der Kolonialismus kein Thema der Vergangenheit, sondern heutige Realität. 15 der 28 politischen Einheiten im Pazifik sind immer noch Kolonien.

Nachdem der Bergbau an Land für die meisten Menschen auf Papua-Neuguinea nur Umweltzerstörungen, Enteignungen und Armut mit sich gebracht hat - wohingegen sich einige wenige bereichern konnten - erwarten sie vom Bergbau in der Tiefsee nichts anderes. Die Menschen glauben den Beteuerungen von Nautilus Minerals nicht, daß die Umweltschäden durch den Meeresbodenbergbau gering sein werden, und befürchten, daß sie erneut über den Tisch gezogen werden sollen. Der Pazifische Ozean, den sie ihren "flüssigen Kontinent" nennen, dürfe nicht noch einmal zum Testgebiet werden.

Mehrere Jahrzehnte lang, bis in die neunziger Jahre hinein, hatten Frankreich, die USA und Großbritannien im pazifischen Raum Kernwaffentests durchgeführt. Dabei wurden ganze Atolle weggesprengt, andere hochgradig radioaktiv verstrahlt und unbewohnbar gemacht. Diese Geschichte ist bis heute lebendige Erinnerung, die Schäden aus der Zeit der Kernspaltungsexperimente sind noch lange nicht behoben. Pingel sprach von einem "kollektiven Trauma" und daß das Thema Atomtests in kirchlichen und politischen Kreisen noch immer eine große Rolle spielt.


Dutzende Hummer stieben auseinander - Foto: NOAA Photo Library, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Seeberge sind die "Oasen der Meere".
NOAA, Ring of Fire Expedition 2006: Eine Fülle von Hummern am Seamount X, die auseinandertreiben, als sich das Tauchfahrzeug Jason II ROV nähert.
Foto: NOAA Photo Library, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Eine vollkommen andere rechtliche Grundlage hat der Meeresbodenbergbau außerhalb der Ausschließlichen Wirtschaftszonen auf der Hohen See. 60 bis 70 Prozent der Weltmeere sind nicht der nationalen Jurisdiktion unterworfen und werden das "Gebiet" (engl.: area) genannt. Wer dort Meeresbodenbergbau betreiben will, muß sich an die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) wenden, die in Kingston, Jamaika, angesiedelt ist. Sie verwaltet das "gemeinsame Erbe der Menschheit", wie es im Seerechtsübereinkommen heißt.

Die Bundesregierung hat von der ISA zwei Lizenzen zur Untersuchung genehmigt bekommen. Ein Gebiet von 10.000 km² im Indischen Ozean, wo Sulfiderze abgebaut werden sollen, und eines von 75.000 km² im sogenannten Manganknollengürtel, auch Clarion-Clipperton-Zone genannt. Diese erstreckt sich im Pazifischen Ozean nördlich des Äquators über mehrere tausend Kilometer zwischen der Inselgruppe von Hawaii und Mexiko. Die ISA hat schon 1,8 Mio. bis 1,9 Mio. km² an Lizenzgebieten vergeben, insbesondere in dieser Region. Auch wenn es bisher nur um die Erkundung (Exploration) und noch nicht Ausbeutung (Exploitation) geht, sichern sich Staaten und Unternehmen bereits heute Lizenzgebiete. "Die Option auf den Abbau wird in riesigem Umfang gehortet", sagte Kaschinski.

Die ISA will noch in diesem Jahr die Arbeiten an dem Mining Code abschließen, der die Regeln festlegt, nach denen Bergbau in der Tiefsee der "Area" betrieben werden darf. Zwar sind die Rohstoffpreise im allgemeinen derzeit niedrig, so daß die marinen Lagerstätten noch als unattraktiv gelten, aber abgesehen von Nautilus Minerals treiben auch Japan und China die Entwicklung voran. [1]

Zudem läßt eine Meldung der Financial Times aufhorchen, wonach sich der Volkswagenkonzern vergeblich um ein Angebot auf seine Ausschreibung einer gewaltigen Menge Kobalt für die Batterieherstellung zur Elektromobilität bemüht hat. Der Weltmarktpreis für Kobalt sei in diesem Jahr um 80 Prozent gestiegen, die potentiellen Anbieter hätten es nicht nötig, auf das niedrige Angebot von VW einzugehen, hieß es. [2] Kobalt ist jedoch sowohl in Manganknollen als auch, wie der Name schon sagt, Kobaltkrusten enthalten. Womöglich rückt der Meeresbodenbergbau näher.

Darüber hinaus machte Thal in seinem Vortrag darauf aufmerksam, daß nicht nur der Preis eine Rolle spielt. Es gehe nicht allein um die Rohstoffnachfrage, sondern auch um Monopole. Zum Beispiel verfüge China über mehr als 90 Prozent der Seltenen Erden, und Platin werde vor allem in Südafrika abgebaut. "Wir befinden uns in einer sich verändernden geopolitischen Phase. Viele Länder wollen sicherstellen, daß sie auch dann, wenn es Konflikte gibt, trotzdem alle nötigen Ressourcen geliefert bekommen, ohne daß sie erpreßbar werden. Das hört man immer wieder, auch wenn es um Deutschland geht."


Beim Interview - Foto: © 2013 by Schattenblick

"Ein noch so gutes Umweltmanagement kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß durch den Bergbau Veränderungen entstehen, die natürlich einen Einfluß auf das Ökosystem haben werden. Vielleicht kann man einem massiven Schaden die Spitze nehmen, man kann die Auswirkungen reduzieren oder minimieren, aber es bleibt dennoch ein Schaden."
Prof. Cindy Lee Van Dover, Biologische Ozeanographin. Frau der ersten Stunde, absolvierte über 100 Tiefsee-Expeditionen, davon 48 als Pilotin des Tauchboots "Alvin". [3] Foto: © 2013 by Schattenblick

Wenn die Manganknollen von oder aus der obersten Sedimentschicht wie die Kartoffeln vom Acker eingesammelt werden, wird es sich nicht vermeiden lassen, daß Partikelwolken entstehen, die Jahre bis Jahrzehnte brauchen, bis sie sich wieder abgesetzt haben. Starke Strömungen werden die Sedimentwolken verfrachten und damit über die eigentlich zerstörte Meeresbodenfläche hinaus weitere Gebiete beeinträchtigen.

Die Menschen in Papua-Neuguinea befürchten, daß auch beim Abbau der Massivsulfide in 1500 Meter Tiefe Sedimentfahnen entstehen und dadurch die Bestände an Thunfisch, die für sie ein wichtiger Wirtschaftszweig sind, geschädigt werden könnten. Nautilus Minerals behauptet, daß das nicht passieren könne, denn das Meer sei geschichtet, es finde kein vertikaler Austausch statt und die Thunfische hielten sich nur in bis zu 700 Meter Tiefe auf. Eine Erklärung, die auch von Thal geteilt wird, wenngleich er nicht glaubt, daß beim Abbau von Massivsulfiden keine Trübewolken entstehen, wie verschiedentlich behauptet.

Zweifel an der Vorstellung, daß kein vertikaler Austausch stattfindet, äußerte dagegen eine Person aus dem Publikum, die seit Jahrzehnten die potentiellen Folgen von Meeresbodenbergbau auf die marine Umwelt untersucht, Dr. Gerd Schriever vom Biolab Forschungsinstitut in Hohenwestedt. Im Anschluß an die Veranstaltung begründete er im Gespräch mit dem Schattenblick seine Zweifel. Besonders an den Seebergen existierten mitunter überaus kräftige Aufwärtsströmungen. Zudem sei festgestellt worden, daß Meeresplankton jeden Tag bis zu 1200 Meter tief absinkt und anschließend wieder aufsteigt. Selbstverständlich gebe es einen vertikalen Transport.

Was die potentiellen Umweltfolgen einer Manganknollenernte betrifft, so hat Schriever daran schon in den achtziger und neunziger Jahren im Rahmen des Projekts DISCOL geforscht. Später wurden die Folgen der Eingriffe inspiziert. Dazu schreibt er:

"Die folgenden Untersuchungen bis 2015 haben gezeigt, dass die Spuren selbst nach 26 Jahren noch so deutlich zu sehen sind, als wären sie gerade erst erzeugt worden und es in dem gestörten Gebiet zwar Ansätze einer Wiederbesiedlung gibt, die aber noch nicht abgeschlossen ist. Die Knollen fehlen als Lebensraum für die Tiere, die für ihr Überleben ein Hartsubstrat, vergleichbar einem felsigen Untergrund, benötigen. In den Arealen, in denen die oberen Sedimentschichten vollständig beseitigt wurden, sind kaum noch Lebewesen zu finden, nicht einmal Bakterien. Eine beunruhigende Tatsache, da hier offenbar die Nahrungskette unterbrochen wurde und sich auch nach 26 Jahren nicht regenerieren konnte. (...) Werden die obersten sauerstoffreichen Sedimentschichten, in welchen etwa 95 Prozent der Tiere leben, total zerstört und die Sedimente mit der Strömung verdriftet, so wird den Lebewesen dort unten nicht nur der Lebensraum genommen, es wird offenbar auch viele Dekaden dauern, bis sich wieder so viel Sediment und Nahrung von der Oberfläche hier unten gesammelt hat, bis erneutes Leben möglich ist." [4]


Bei ihrem Vortrag auf der Konferenz 'Ein anderes Meer ist möglich' vom 15. - 17. Mai 2014 im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen - Foto: © 2014 by Schattenblick

"Immer mehr Bewohner des Pazifiks erkennen, daß das gegenwärtige Entwicklungsmodell ihrer Staaten, das auf ausländische Investitionen angewiesen ist, um das ökonomische Wachstum anzutreiben, wenig Vorteile für sie und ihre Leute bringt. (...) Wir müssen von einem pazifisch zentrierten Standpunkt aus darüber sprechen, was 'Entwicklung' ist."
Maureen Penjueli, Koordinatorin von PANG, dem pazifischen Netzwerk zur Globalisierung. [5] Foto: © 2014 by Schattenblick

Das Gebiet, in dem Nautilus Minerals weltweit erstmalig Massivsulfide abbauen will, ist im Rahmen der UN-Konvention zur Artenvielfalt geschützt. Dazu Kaschinski: "Dieser erste Test soll in einem der ökologisch sensibelsten Meeresgebiete der Welt stattfinden." Das Unternehmen verspricht, Umweltvorsorge zu betreiben und soziale Aspekte zu berücksichtigen. Aber "allein der Ort" spräche gegen die Behauptung, man sei ökologisch vorausschauend tätig. Und was die sozialen Aspekte betrifft, so wußte Jan Pingel vom Ozeanien-Forum von seinen Eindrücken und Gesprächen mit den Menschen vor Ort zu berichten, daß Nautilus Minerals entgegen seiner Selbstdarstellung die örtliche Bevölkerung nicht in das Projekt eingebunden hat. Die Regel FPIC - free, prior, informed, consent - werde nicht eingehalten, obschon sowohl das Unternehmen als auch die Regierung Papua-Neuguineas verpflichtet sind, die lokalen Gemeinschaften frei entscheiden zu lassen (free), noch vor Beginn eines Projekts zu konsultieren (prior), ausführlich über das Vorhaben zu informieren (informed) und es nur mit ihrer Zustimmung durchzuführen (consent).

Davon könne keine Rede sein, so Pingel. Die vom Westen geförderte "Entwicklung" werde als fremdbestimmt und damit als Bedrohung wahrgenommen. So habe auch der Bergbau an Land, der Papua-Neuguinea jene "Entwicklung" bringen sollte, vor allem Hunger, Bürgerkrieg mit Zehntausenden von Toten, Zerstörung von Natur, Verlust von Lebensräumen und gut bestellbarem Land nach sich gezogen. Das Wirtschaftswachstum, das Papua-Neuguinea verzeichne, komme nur einigen wenigen Leuten zugute.

Die Besonderheiten des Meeresbodenbergbaus wurden in der Gesetzgebung Papua-Neuguineas nicht berücksichtigt. Die Lizenz an das kanadische Bergbauunternehmen wurde auf der Basis der Regeln des Landbergbaus vergeben. Nun fragen die Menschen, was passiert, sollte der Thunfisch plötzlich ausbleiben. Werden sie dann entschädigt? Von wem? Oder wird es so sein wie stets, daß ihnen nur das Negative bleibt, das Positive jedoch weggenommen wird? Man bemüht sich in den pazifischen Inselstaaten auch um weitergehende Fragen, beispielsweise wie ein "gutes Leben" auch ohne Bergbau aussehen könnte, sagte Pingel.

Solwara 1 wird in gut einem Jahr starten. Kaschinski: "Dann wäre es das erste kommerzielle Tiefseebergbauprojekt und hätte damit einen Symbolcharakter. Es würde einen ganz neuen Industriezweig begründen und hätte wahrscheinlich zur Folge, daß dann zehn, zwanzig, möglicherweise Hunderte dieser Projekte in der Tiefsee stattfinden werden. Darum wollen wir an dieser Stelle einschreiten und diese Entwicklung aufhalten."

Zu diesem Zweck arbeitet Fair Oceans auch mit zivilgesellschaftlichen Organisationen vor Ort wie PANG (Pacific Network on Globalisation) und Bismarck Ramu Group zusammen.


Bei ihrem Vortrag auf der Konferenz 'Ein anderes Meer ist möglich' vom 15. - 17. Mai 2014 im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen - Foto: © 2014 by Schattenblick

'"Es gibt bereits eine Bewegung. Was wir tun müssen, ist, ihr einen Namen zu geben; wir müssen die Sprache dafür entwickeln. Die Menschen müssen dauerhaft darauf zurückkommen, weil ihnen der Bergbau nicht hilft. Bergbau schürt nur Konflikte. Darum haben wir zu kämpfen: 'Ihr bekommt viel Geld vom Bergbau? Ich nicht! Also müssen wir kämpfen. Das tut uns der Bergbau an!'
Rosa Koian, Bismarck Ramu Group [6]
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] Näheres zu den aktuellen Aktivitäten Chinas in Bezug auf Meeresbodenbergbau im Schattenblick unter UMWELT → REDAKTION → RESSOURCEN:
RESSOURCEN/205: Raubzug am Meeresgrund (SB)

[2] Siehe UMWELT → REDAKTION → RESSOURCEN:

RESSOURCEN/206: Elektromorbidität (SB)

[3] Siehe UMWELT → REPORT → INTERVIEW:
INTERVIEW/052: Rohstoff maritim - Träne im Knopfloch (SB)

[4] https://www.wissenschaftsjahr.de/2016-17/aktuelles/das-sagen-die-experten/tiefseebergbau-risiken-und-gefahren-fuer-die-umwelt.html

[5] Siehe UMWELT → REPORT → INTERVIEW:
INTERVIEW/115: Wohnstube Meer - Ungebremst' Zerstörungswucht, Menschen bleibt da nur die Flucht ... Maureen Penjueli aus Fidschi im Gespräch (SB)

[6] Siehe UMWELT → REPORT → INTERVIEW:
INTERVIEW/110: Wohnstube Meer - fragen, bitten und nicht nehmen ... Rosa Koian aus Papua-Neuguinea im Gespräch (SB)


24. Oktober 2017


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