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BERICHT/148: Klimawandel - klagen und wagen ... (SB)



Porträt, im Hintergrund ihr Strandhotel - Foto: People's Climate Case (https://peoplesclimatecase.caneurope.org)

Maike und Michael Recktenwald Foto: People's Climate Case (https://peoplesclimatecase.caneurope.org)

Wie bewegt man die Politik dazu, daß sie die von der Wissenschaft dringend empfohlenen Maßnahmen gegen die globale Erwärmung ergreift? Selber einen Lebensstil zu führen, dessen ökologischer Fußabdruck so gering ist, daß er sich mit dem vom Klimaschutzübereinkommen von Paris beschlossenen Ziel, die Erderwärmung auf zwei, möglichst 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, deckt, genügt sicherlich nicht. Ebensowenig wie, in Brüssel oder anderen europäischen Städten für einen entschiedeneren Klimaschutz zu demonstrieren. Waren nicht im vergangenen Jahr anläßlich der Weltklimakonferenz COP23 in Bonn 25.000 Menschen auf die Straße gegangen und haben sich für mehr Klimaschutz ausgesprochen? Was ist dabei herausgekommen? Alle vier Jahre ein Kreuzchen auf den Wahlzettel machen und darauf hoffen, daß sich die Partei durchsetzt, deren Klimaschutzpolitik man gutheißt, und daß darüber hinaus deren Vertreterinnen und Vertreter nach der Wahl einhalten, was sie vorher versprochen haben?

Auch das ist nur eine vage Aussicht, auf die allein niemand setzen wird, dem die Folgen des Klimawandels allmählich auf den Leib rücken. So zum Beispiel den Bewohnerinnen und Bewohnern flacher Inseln wie Langeoog. Maike und Michael Recktenwald haben sich der Bewegung People's Climate Case angeschlossen und im Mai dieses Jahres vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) Klage eingereicht. Unterstützt werden sie dabei von der Organisation Germanwatch. Zu Beginn der Konferenz "Jedes Zehntelgrad zählt", die am 23. Oktober 2018 von der Klima-Allianz Deutschland und VENRO - Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V. in Berlin veranstaltet worden war, wurden die Recktenwalds und ihr Fall in einem kurzen Film mit dem Titel "KlägerInnen für den Klimaschutz" vorgestellt.

Sie Hotelfachfrau, er Gastronom finden "keinen anderen Weg", um irgendwas zu bewirken, als zu klagen. Ihre größte Sorge besteht darin, daß ihre Kinder auf Langeoog keine Zukunft haben, sollte die Nordsee die als Schutzwall dienende Dünenkette durchbrechen und die Süßwasserlinse im Kern der Insel mit Meerwasser kontaminieren. Sollte das geschehen, hätte Langeoog von einem Tag auf den anderen kein Trinkwasser, die Restaurants müßten schließen, der Tourismus käme vermutlich weitgehend zum Erliegen.

Normalerweise setzt die Sturmflutsaison Mitte Oktober ein, berichteten die Recktenwalds. Im vergangenen Jahr zog schon Anfang September der erste Sturm auf. War das ein erstes Wetterleuchten vor dem Heraufziehen eines viel heftigeren Unwetters? Den Berechnungen der Klimaforschung zufolge läßt die globale Erwärmung den Meeresspiegel weiter steigen und sie wird auch schwerere Stürme und Sturmfluten auslösen.

Die Europäische Union spielt sich gern als weltweiter Vorreiter in Sachen Klimaschutz aus, doch genügen die von ihr beschlossenen Maßnahmen - so sie überhaupt eingehalten würden - nicht, um das im Klimaschutzübereinkommen von Paris angestrebte 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. In einem offenen Brief der KlägerInnen des People's Climate Case, fordern die UnterzeichnerInnen:

"Wir appellieren an die EU-EntscheidungsträgerInnen, auf die Stimme der Wissenschaft zu hören und die EU-Klimaziele für das Jahr 2030 auf einen Pfad zu bringen, der mit dem 1,5°-Ziel vereinbar ist." [1]

Abgesehen von den Recktenwalds wurde der offene Brief unterzeichnet von:

- Sanna Vannar, Präsidentin von Sáminuorra, Schweden. Die Sami sorgen sich um ihre Rentiere und den Fortbestand der samischen Tradition.
- Maurice und Renaud Feschet, Landwirte, Frankreich. Der Süden des Landes wird wiederholt von Dürren heimgesucht. Innerhalb der letzten sechs Jahre gingen die Einnahmen aus dem Lavendelanbau um 44 Prozent zurück.
- Vlad Petru, Landwirt und Schäfer, Rumänien. Er muß sein Vieh inzwischen immer höher den Berg hinauf treiben, um an ausreichend Wasser und Weidegrund zu gelangen.
- Armando Carvalho, Waldbesitzer, Portugal. Das Land erlebt immer häufiger Dürren, davon ist Carvalhos Biohof bedroht.
- Alfredo Sendim, Landwirt, Portugal, sieht ebenfalls seine Existenz durch die Trockenheit gefährdet.
- Ildebrando Conceição, Bienenzüchter, Portugal. Veränderungen in der Blütezeit der Pflanzen und das heiße Wetter haben zum empfindlichen Verlust von Bienenstöcken geführt.
- Joaquim Caixeiro, Landwirt, Portugal - auch sein Hof ist dürregefährdet.
- Giorgio Elter, Landwirt und Hotelier, Italien. Bislang hat sein kleines Hotel vom Eisklettern gelebt. Der Gletscherschwund könnte ihm einen Strich durch die Rechnung machen.

Die Klimapolitik der Europäischen Union sieht vor, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 zu verringern. Das aber ist laut Klageschrift des People's Climate Case unzureichend. Gefordert wird eine Reduktion um 50 bis 60 Prozent [2].

EU-Klimakommissar Miguel Arias Cañete hat seinen Vorstoß, die EU auf eine Treibhausgasverringerung von 45 Prozent statt 40 Prozent bis 2030 zu verpflichten, wieder zurückgezogen. Unter anderem hatte sich Deutschland geweigert, hier nachzulegen. Aber nicht einmal eine Reduktion von 45 Prozent hätte ausgereicht, das im Übereinkommen von Paris beschlossene Mindestziel von zwei Grad Celsius globaler Erwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit einzuhalten. Dazu müßte die EU schon auf 55 Prozent gehen, sagte Klaus Röhrig vom Climate Action Network gegenüber dpa [3].

Dann wäre aber noch immer nicht das 1,5°-Ziel erreicht! Das heißt, die Europäische Union ist weit, weit davon entfernt, eine Klimaschutzpolitik zu betreiben, durch die Menschen beispielsweise in flachen Küstengebieten sowie auf flachen Inseln wie Langeoog in der Nordsee oder Tuvalu im Pazifischen Ozean davor geschützt wären, aufgrund des Meeresspiegelanstiegs ihre Heimat zu verlieren. Eine solche Sicherheit gäbe es nicht einmal beim 1,5°-Ziel, aber dann wäre zumindest die Wahrscheinlichkeit dieses Verlustes geringer.

Inzwischen hat sich in Europa, den USA und darüber hinaus eine wachsende Bewegung von Menschen gebildet, die Klimaschutzklagen anstrengen und versuchen, mit Rechtsmitteln Druck auf die Regierungen auszuüben. Weltweit werden inzwischen Hunderte ähnlich lautende Klagen angestrengt.

Am bekanntesten ist sicherlich der Fall des peruanischen Bergbauern Saúl Luciano Lliuya, der vor dem Oberlandesgericht Hamm gegen den Energiekonzern RWE klagt, weil seinem Haus in der Stadt Huaraz unterhalb des Gletschersees Laguna Palcacocha aufgrund der Gletscherschmelze eine Flutkatastrophe droht. Durch seine Kohlendioxidemissionen trage RWE zu 0,47 Prozent zur globalen Erwärmung bei und solle einen Kostenanteil in Höhe von 23.384 Euro für Schutzmaßnahmen übernehmen, fordert der Peruaner, der ebenfalls von Germanwatch unterstützt wird.

Hinter all diesen Klagen steht die Erwartung, daß "Gewaltenteilung" nicht bedeutet, daß Exekutive, Legislative und Judikative eine gegen die einzelnen Menschen gerichtete Gewalt untereinander aufteilen, indem sie alle drei an einem Strang ziehen und das vorherrschende System dadurch unanfechtbar machen, sondern daß die dritte Gewalt durchaus die erste und die zweite Gewalt in die Schranken weisen kann. Die Verfahren sowohl von Saúl Luciano Lliuya als auch den Recktenwalds sind noch anhängig.


Flacher Strand, dahinter Wall aus steilwandigen Dünen - Foto: Whgler, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/]

Langeoog, nördlicher Strand. Unbefestigter Schutz gegen Sturmfluten.
Foto: Whgler, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/]


Fußnoten:


[1] tinyurl.com/ybfol3b6

[2] https://peoplesclimatecase.caneurope.org/wp-content/uploads/2018/10/hauptziel-der-klage-16.10.2018.pdf

[3] https://www.wiwo.de/politik/europa/bis-2030-eu-will-internationales-klimaziel-hochschrauben/22933682.html


Bisher im Schattenblick zur Konferenz "Jedes Zehntelgrad zählt" am 23. Oktober 2018 in Berlin im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/146: Klimawandel - Schaden genug ... (SB)
BERICHT/147: Klimawandel - Zertifikationshandel befördert Emissionen ... (SB)
INTERVIEW/285: Klimawandel - entfesselte Gefährlichkeit ...    Dr. Werner Würtele im Gespräch (SB)
INTERVIEW/286: Klimawandel - Überlebensnot und Nahrungsmangel ...    Sabine Minninger im Gespräch (SB)


2. November 2018


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