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INTERVIEW/003: Klima, Aerosole - Brian Toon, Atmosphären- und Meeresforscher (SB)


Owen Brian Toon beim Vortrag - Foto: © 2011 by Schattenblick

Owen Brian Toon

Interview mit Prof. Dr. Brian Toon von der Universität von Colorado in Boulder am 12. August 2011 in Hamburg

Die mit der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise sowie den weltpolitischen Umbrüchen einhergehende Not vieler Menschen läßt allzu sehr in Vergessenheit geraten, daß in der sogenannten Natur bedrohliche Vorgänge weiterlaufen beziehungsweise neu initiiert werden, die üblicherweise unter dem Titel Klimawandel beschrieben werden. Welche Konflikte auch immer die Menschen untereinander austragen, die wechselwirkenden Prozesse in der Natur enden nicht einfach, nur weil sie aus dem Fokus der Berichterstattung gerückt sind. Um so mehr Beachtung verdient deshalb jede Bemühung, bei der auf die Gefahren natürlicher wie auch menschlich induzierter Vorgänge aufmerksam gemacht und vor ihren Folgen gewarnt wird.

So kamen am 11./12. August auf Einladung des Carl Friedrich von Weizsäcker Zentrums für Naturwissenschaft und Friedensforschung (ZNF), das mit dem Max-Planck-Institut für Meteorologie und der Forschungsgruppe Klimawandel und Sicherheit (CLISEC) des KlimaCampus Hamburg sowie der King Abdullah University of Science and Technology (KAUST) in Saudiarabien zusammengearbeitet hat, internationale Wissenschaftler zu einer Fachkonferenz mit dem Titel "Severe Atmospheric Aerosol Events" (Größer Aerosol-Ereignisse in der Atmosphäre) zusammen.

Mit Prof. Dr. Owen Brian Toon von der Universität von Colorado in Boulder wurde einer der weltweit profiliertesten Atmosphären- und Meeresforscher, die zu den klimatischen Folgen eines Schlagabtauschs mit Kernwaffen geforscht haben und auch heute noch forschen, eingeladen. Toon gehörte zu der Arbeitsgruppe, die 1983 im Wissenschaftsmagazin "Science" [1] das Szenario eines "nuklearen Winters" entwarf und gewarnt hatte, daß bei einem Atomkrieg zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion so viele Rauch- und Staubpartikel in die Atmosphäre gelangen, daß sich die Erde dramatisch abkühlen würde. Im Jahr 2007 schrieben Toon und sein Kollege Alan Robock im gleichen Wissenschaftsmagazin [2], daß ein regionaler Nuklearkrieg zwischen Indien und Pakistan ebenfalls eine globale Katastrophe ähnlich jenem nuklearen Winter auslösen würde, nicht zuletzt weil die Ozonschicht massiv gestört würde.

Auf die Ergebnisse der Forschungen zu diesem Thema kam Toon auch in seinem rund einstündigen öffentlichen Vortrag "Aerosols along the Spiral of Geologic Time" (Aerosole entlang der geologischen Zeitspirale) am 11. August 2011 im Hörsaal B des Hauptgebäudes der Universität Hamburg zu sprechen. Seine umfangreiche Powerpoint-Präsentation zu gravierenden Aerosol-Einträgen in erdgeschichtlicher Urzeit lieferte ein eindrückliches Bild von den wahrscheinlich globalen Konsequenzen, die von Menschenhand bewirkte Aerosol-Einträge in die Atmosphäre haben werden. Im Anschluß an den Vortrag bot sich dem Schattenblick die Möglichkeit, mit einer Frage nachzufassen. Daran knüpften Owen Brian Toon und das SB-Redaktionsteam tags darauf in einem Gespräch am Rande der Konferenz nahtlos an.

Owen Brian Toon erläutert Schaubild - Foto: © 2011 by Schattenblick

Globale Folgen eines regionalen
Atomkriegs
Foto: © 2011 by Schattenblick
Schattenblick: Sie erwähnten vorhin Indien. Was sagen Sie zu der neuen Nuklearpartnerschaft zwischen den Vereinigten Staaten und Indien?

Owen Brian Toon: Indien und Pakistan stehen bekanntlich miteinander im Streit. Dennoch haben sich vor einiger Zeit die Vereinigten Staaten vertraglich verpflichtet, Indien beim Ausbau seiner nuklearen Infrastruktur zu unterstützen. Ich bin der Meinung, daß die USA damit gegen ihre Verpflichtungen nach dem Atomwaffensperrvertrag verstoßen. Indien, das zwar Tritium hat, aber über kein eigenes Uran verfügt, ist sehr bevölkerungsreich und benötigt daher viel Energie. Möglicherweise bestand eines der Motive Washingtons für die Zusammenarbeit darin, den Indern dabei zu helfen, genügend Energie zur Versorgung ihrer Bevölkerung bereitzustellen. Es wird in diesem Zusammenhang die Frage diskutiert, ob sich die USA solange hätten weigern sollen, Nukleartechnologie an Indien zu liefern, bis Neu-Delhi dem Atomwaffensperrvertrag beitritt, oder ob es richtig war, ohne diesen Schritt die Zusammenarbeit aufzunehmen. Schließlich sind es hier die USA, die gegen die Bestimmungen des Nicht-Verbreitungvertrages verstoßen, und nicht Indien, denn Neu-Delhi hat das Abkommen niemals unterzeichnet.

Tritt ein Land dem Atomwaffensperrvertrag bei, so sind die anderen Mitgliedsländer dazu angehalten, einem beim Auf- bzw. Ausbau der Kernenergie zu helfen. Auf die Weise sind die Nordkoreaner und die Iraner in den Besitz von Technologie gelangt, mit der erstere Atomwaffen entwickelt haben und letztere entwickeln könnten. Das Paradox bei dem Nicht-Verbreitungsabkommen ist, daß es jedem Land erlaubt, zivile Kernkraftwerke zu bauen und zu betreiben, was es gleichzeitig in den Stand, Atomwaffen entwickeln zu können, versetzt. Solange der betreffende Staat Unterzeichnerstaat des Abkommens bleibt, ist das kein Problem, denn die Nuklearanlagen werden regelmäßig von Inspekteuren der IAEA kontrolliert. Doch sobald ein Land den kompletten nuklearen Kreislauf beherrscht, gibt es nichts, was es daran hindert, wie Nordkorea unter Verweis auf sein Recht auf Selbstverteidigung aus dem Abkommen wieder auszusteigen und Atomwaffen zu bauen. Das wirft die Frage auf, wie man der Menschheit helfen kann, ohne diesen nuklearen Alptraum weiter zu fördern.

SB: Was macht das nukleare Wettrüsten Indiens und Pakistans so gefährlich?

OBT: Die Behauptung, daß von den Nuklearwaffen Indiens und Pakistans nur eine geringe Gefahr für die Menschen außerhalb dieser beiden Staaten ausgeht, trifft nicht zu. Ihre Arsenale sind gegenwärtig so groß wie die der USA und Rußlands in den 1950er Jahren. Wenn sie diese Waffen losschicken, bedrohen sie jeden auf in der Welt. Die Inder könnten mit ihren Langstreckenraketen Nuklearwaffen bereits weltweit einsetzen, wenn sie wollten. Liest man die relevante Literatur aus Indien über die Atomwaffenentwicklung, stellt man fest, daß der Hauptgrund, warum sich Indien zur Entwicklung einer eigenen Nuklearwaffenfähigkeit entschieden hat, ist, daß die Menschen dort es nicht mögen, vom Westen, darunter die alte Kolonialmacht Großbritannien, bevormundet zu werden. Indien will als Großmacht anerkannt sein, damit es von niemandem gesagt bekommt, was es zu tun oder zu lassen hat.

Für Indien mit seiner großen muslimischen Minderheit von mehr als einhundert Millionen Menschen war die Intervention der EU und der USA im Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien auf der Seite der bosnischen Muslime ein warnendes Beispiel, aus der Neu-Delhi die naheliegenden Konsequenzen gezogen hat. Das ist das erste, was man wissen muß: Indien und Pakistan sind Weltmächte, die praktisch jeden mit Nuklearwaffen treffen können, den sie wollen. Der zweite Punkt ist: Wir können nicht das Konfliktpotential zwischen diesen beiden Ländern einfach ignorieren, denn gerieten sie in einen richtigen Krieg miteinander, so wäre jeder auf der Welt davon betroffen.

SB: Wie Sie in Ihrem Vortrag schilderten, wären die Folgen eines Nuklearkrieges, selbst eines begrenzten Atomwaffenabtausches zwischen Indien und Pakistan, verheerend und beschränkten sich nicht auf die unmittelbare Region. Warum reagieren die Politiker nicht auf die Warnungen von Ihnen und Ihren Kollegen? Diese Bedrohung müßte doch mindestens den gleichen Stellenwert für den Klimaschutz haben wie zum Beispiel das Kyoto-Protokoll.

OBT: Zum Teil liegt es daran, daß es nicht in die politische Landschaft paßt. Seit einiger Zeit bemühen sich die Politiker auf der internationalen Ebene um eine Lösung für das große und schwierige Problem des Klimawandels und sind wenig geneigt, sich über mehr als eine Sache zur gleichen Zeit Gedanken zu machen. Das ist ein Aspekt. Ein anderer besteht darin, daß bestimmte Interessengruppen mit der Behauptung, das Szenario eines nuklearen Winters werde nur aufgebauscht, erfolgreich dafür gesorgt haben, daß die Gefahr als solche nicht erkannt wird. Seitens der Wissenschaftsgemeinde gibt es auch gewisse Abneigungen, sich mit dem Thema zu befassen. Das kann ich auch gut nachvollziehen, denn solche Szenarien auszuarbeiten und durchzurechnen ist wirklich deprimierend. Außerdem glauben viele Leute, daß es zu keinem Nuklearkrieg kommen wird. Dann gibt es in den USA viele christliche Fundamentalisten, die glauben, daß der Erde nichts Schlechtes zustoßen wird, weil Gott sie beschützt. Das sind auch diejenigen, die den globalen Klimawandel nicht wahrnehmen wollen.

SB: Handelt es sich hierbei um die gleichen Leute, die der neuen republikanischen Bewegung, der rechtskonservativen Tea Party, angehören?

OBT: Es wurden Umfragen durchgeführt, denen zufolge 46 Prozent der Amerikaner glauben, daß die Erde 5000 Jahre alt ist. Fast die Hälfte der Bevölkerung glaubt das! Der gleichen Bevölkerung wird von ihren religiösen Anführern oder prominenten Konservativen wie dem einflußreichen Radiomoderator Rush Limbaugh erzählt, Gott werde die Erde retten, nichts könne ihr geschehen. Deshalb passen solche Dinge wie der Klimawandel oder der nukleare Winter nicht in ihr Weltbild. Von ihrem religiösen Standpunkt aus sind sie überzeugt, daß die Erde von Gott geschützt wird. Als die Republikaner bei den Zwischenwahlen 2010 die Mehrheit im Repräsentantenhaus zurückeroberten, hat einer ihrer energiepolitischen Sprecher öffentlich erklärt, niemand brauche sich Sorgen wegen der globalen Erwärmung zu machen, denn in der Bibel stehe geschrieben, Gott werde verhindern, daß es dazu komme. Es ist erschreckend, wieviele Leute solche Ansichten teilen.

Owen Brian Toon beim Interview - Foto: © 2011 by Schattenblick

Debatte um wichtige Fragen auch außerhalb des Programms
Foto: © 2011 by Schattenblick

SB: Einige Kommentatoren sehen die USA bereits in einen Gottesstaat ähnlich dem Iran abgleiten.

OBT: Das ist nicht so weit hergeholt, wie man vielleicht denken mag.

SB: Zu Beginn seiner Amtszeit als Präsident hat Barack Obama einige aufsehenerregende Abrüstungsinitiativen angekündigt. Ist ihm auf dem Feld der Nuklearwaffen tatsächlich ein echter Wandel von der Politik George W. Bushs gelungen?

OBT: Leider nur an der Oberfläche. Obama würde viel mehr ändern, wenn er könnte, aber er wird von der republikanischen Opposition im Kongreß daran gehindert. Die Politik der USA wird gegenwärtig von einer Minderheit bestimmt. Im Senat nutzen die Republikaner ihre Sperrminorität um die Verabschiedung sämtlicher Gesetzesvorlagen der Obama-Regierung zu blockieren. Das Land wird also von einem Drittel der Senatoren in Geiselhaft genommen! So etwas hat es historisch noch nicht gegeben. Dahinter stecken die gleichen Kräfte, die schon während der Vorgängeradministration von Bush jun. an den Schalthebeln saßen. Deshalb sind Obama faktisch die Hände gebunden.

SB: Auf ihn wird derzeit von allen Seiten geschossen. Haben Sie den Eindruck, daß die Menschen, die Obama gewählt haben, inzwischen ihre in ihn gesetzten Hoffnungen aufgegeben haben? Werden sich diese Wähler nun jemandem vom eher linken Lager bei den Demokraten zuwenden oder geht es generell in den USA in die entgegengesetzte Richtung?

OBT: Nun, ich kann nicht sagen, wer die nächsten Präsidentenwahlen gewinnen wird. Aber es ist unbestreitbar, daß jene, die 2008 Obama ihre Stimme gegeben oder sich für ihn eingesetzt haben, wegen seiner Unfähigkeit, irgend etwas zu verändern, ziemlich frustriert sind. Ganz berechtigt ist die Kritik jener Kreise an Obama nicht, denn er hat in den ersten beiden Amtsjahren, als er sich noch auf eine Mehrheit der Demokraten im Repräsentantenhaus und Senat stützen konnte, einiges bewegt. Insgesamt sind derzeit die einfachen Leute von der Politik Washingtons sehr enttäuscht. Sie wissen nicht, wer für die wirtschaftliche Misere verantwortlich ist. Deshalb schieben sie allen und jedem die Schuld zu.

Dazu kommt, daß sich der politische Diskurs immer stärker emotionalisiert und auf eine affektheischende Art geführt wird. Früher gab es Fakten, welche die Leute in der Zeitung lesen konnten und worüber Politiker und Bürger öffentlich diskutierten. Es gab nicht die großen Meinungsmachemaschinen wie heute Rupert Murdochs Nachrichtensender Fox News, der statt Fakten nur Propaganda verbreitet. In der Öffentlichkeit diskutieren die Menschen nicht über die Fakten, sondern über die Reizthemen, die sich Fox News und Leute wie Rush Limbaugh ausdenken. Durch die Erfindung von Geschichte und Fakten, die nicht wahr sind oder die Wirklichkeit verzerrt darstellen, geraten die Millionen von Konsumenten solcher Nachrichtenquellen durcheinander. Sie können nicht mehr Fakten von Meinungsmache unterscheiden. Deswegen ist es auch schwierig vorherzusagen, wie sich die Mehrheit der Bürger bei der nächsten Präsidentenwahl entscheiden wird. In den USA kennen viele den klassischen Spruch des berühmten Zirkusdirektors P. T. Barnum, der einmal gesagt haben soll: 'Keiner ist jemals daran pleite gegangen, daß er die Intelligenz des amerikanischen Volkes unterschätzt hat.' Ich denke, der Leitsatz trifft heute mehr denn je zu.

SB: In Ihrem gestrigen Vortrag brachten Sie die Hoffnung zum Ausdruck, daß sich die Menschheit als erfindungsreich genug erweisen würde, um eine technische Lösung für das Problem des Klimawandels zu entwickeln. Haben Sie eine Vorstellung, wie eine solche Lösung aus dem Bereich des Geo-Engineerings aussehen könnte?

OBT: Das ist eine schwierige Frage, vor allem wenn man bedenkt, wie aufwendig die Gestaltung der Umweltpolitik vonstatten geht. Nehmen wir einmal das Beispiel des von Fluorchlorkohlenwasserstoffen verursachten Ozonlochs. Da hat vor einigen Jahrzehnten die Wissenschaft das Problem erkannt und Lösungsansätze präsentiert, doch die Industrie stellte sich quer, weshalb nichts dagegen unternommen wurde. Irgendwann bemerkte der US-Chemieriese DuPont, daß seine Patente bald abliefen und daß aus der Verteidigung des Status quo kein Geld mehr zu erwarten war. Statt dessen waren Gelder durch ein Verbot der FCKWs und durch die entsprechende Umrüstung aller Produkte, bei denen sie bis dahin zur Anwendung kamen, zu verdienen. Und damit war auf einmal das Problem mit dem Ozonloch gelöst.

Für mich sieht es so aus, als sei die Wirtschaft und nicht die Wissenschaft die treibende Kraft hinter dem damaligen Montrealer Protokoll und den anderen späteren Umweltabkommen gewesen. Heute befinden wir uns in derselben Situation. Ich glaube nicht, daß die Obama-Administration Rücksicht auf das nimmt, was die Wissenschaftler sagen, denn sie glaubt nicht, daß die etwas bewirken können. Statt dessen investiert die US-Regierung in die Technologieforschung und den Aufbau einer Infrastruktur an regenerativen Energiequellen, um sich gegen die Interessen der Kohle- und Ölindustrie in den USA durchsetzen zu können. Wenn, dann wird sich das Problem des Klimawandels auf diese Weise lösen lassen.

Häufig wird in diesem Zusammenhang den Vertretern der Wissenschaft vorgeworfen, sie hätten ihre Erkenntnisse nicht verständlich gemacht; es mangele ihnen an kommunikativen Fähigkeiten einschließlich einer verständlichen Sprache. Für mich ist das totaler Blödsinn. Die Wissenschaftsgemeinde hat klar und deutlich auf die drohende Gefahr hingewiesen und brauchbare Lösungsansätze präsentiert. Das hat aber bei denjenigen, deren Geschäfte oder Gewinne durch eine radikale Veränderung in der Energiepolitik tangiert werden könnten, eine heftige Gegenreaktion ausgelöst. Diese Kräfte versuchen mit billiger, aber wirkungsvoller Propaganda die Wissenschaftler im Klimabereich zu diskreditieren. Von daher muß man das bessere wirtschaftliche Argument bringen, indem man in Alternativen wie Sonnen- und Windenergie sowie CO2-Sequestration investiert. Ich denke, daß wir das Problem durch wirtschaftliche Anreize lösen könnten. Um die Energiewende kommen wir sowieso nicht herum, die weltweiten Reserven an Erdöl sind nicht unbegrenzt. Wann genau wir den Moment des Peak Oil erreichen, ist nicht klar. Möglicherweise haben wir es bereits. Fest steht, daß sich das Öl in den kommenden Jahren wegen nachlassender Reserven deutlich verteuern wird.

Nun es gibt auf der Welt immer noch viel Kohle, die deshalb eine Weile erschwinglich bleiben wird. Man muß daher technologische Alternativen finden, die es ökonomisch mit Kohle aufnehmen können. Wenn wir das schaffen, wird sich das Problem der Erderwärmung aus wirtschaftlichen Gründen von allein lösen. Aber sollte das nicht gelingen bzw. die Kohleindustrie es verhindern, dann sitzen wir ganz tief in der Tinte, weil der Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre drastisch ansteigen wird.

SB: Wie schätzen Sie die Gefahr ein, daß durch den Einsatz sogenannter regenerativen Energiequellen der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben wird?

OBT: Ich halte die Gefahren, die von der Wind- oder der Solarenergie ausgehen, für gering. Bei der Kohlenstoffsequestrierung dagegen sehen die Dinge anders aus. Da fallen riesige Mengen CO2 an, die im Untergrund begraben und dann dort für hunderttausend Jahre eingeschlossen werden sollen. Die Wahrscheinlichkeit, daß das Gas freigesetzt wird und an die Luft gelangt, ist riesig. Man hätte also das Problem des CO2-Ausstoßes nicht wirklich gelöst.

Viele Leute wissen nicht, daß, wenn man heute Kohlendioxid in die Atmosphäre entläßt, davon rund 20 Prozent für Zehntausende von Jahren verbleiben. Also haben wir es das erste Mal damit zu tun, daß die Menschen den Planeten über einen geologischen Zeitraum verändern. Das Problem der Fluorchlorkohlenwasserstoffe besteht für hundert Jahre, Kohlendioxid dagegen betrifft geologische Zeitalter. Wenn man also CO2 unter der Erde begraben will, kann man sich kein Leck leisten, nicht einmal von einem Zehntel eines Prozents. Andernfalls wird es in den nächsten 1000 Jahren geradewegs zurück in die Atmosphäre gelangen. Das ist ein wirklich sehr schwieriges Problem, das möglicherweise unerwartete Folgen zu einem späteren Zeitpunkt nach sich ziehen wird.

SB: Müßte man nicht eine andere Gesellschaftsform entwickeln, in der die Menschen anders zusammenleben und nicht all diese Dinge produzieren, die solche Schäden bewirken?

OBT: Wir befinden uns gerade in einer Phase eines rasanten Anwachsens der Weltbevölkerung. Ich gehe davon aus, daß sie von heute an gerechnet innerhalb der nächsten hundert Jahre wieder abnehmen wird. Ich glaube nicht, daß die Erde die gegenwärtige Bevölkerungszahl langfristig ertragen kann, denn wir beanspruchen zu viele Ressourcen. Derzeit verbraucht die Menschheit jedes Jahr die Hälfte der biologischen Produktion der Erde. Fliegt man über Deutschland, als Beispiel für ein europäisches Land, hinweg und blickt nach unten, sieht man, daß sich praktisch die ganze Fläche außerhalb der Siedlungen in landwirtschaftlichem Gebrauch befindet. Es ist nur ganz wenig der Natur überlassen worden. In Asien ist der Nutzungsgrad der Natur durch die Menschen um einiges intensiver wegen der höheren Bevölkerungszahlen dort. Ähnliches gilt für Wasser. Gegenwärtig verbraucht die Menschheit die Hälfte des Süßwassers auf dem Planeten.

Wenn man bereits von allem die Hälfte verbraucht, kann man sich nicht weiter ausdehnen. Man hat die Grenzen des Machbaren bzw. des Möglichen erreicht. Deshalb meine ich, daß in den kommenden hundert Jahren das Bevölkerungswachstum seinen Zenit überschreiten und es zu einem Rückgang kommen wird. Bereits heute gehen die Einwohnerzahlen in den wohlhabenden Ländern wie Japan und in Europa auf natürlichem Wege zurück. In Afrika und dem Nahen Osten sind einige Staaten bereits überbevölkert. In Staaten wie Somalia zum Beispiel leben die Menschen teilweise an Orten, an denen die natürlichen Ressourcen übernutzt werden. Die Situation ist inzwischen untragbar geworden. Allein bei der jetzigen Bevölkerungszahl ist die natürliche Umgebung dieser Menschen überlastet. Wenn die Bevölkerungszahl weltweit ihr Maximum erreicht und anfängt, wieder zurückzugehen, wird die Überbeanspruchung des Planeten nachlassen und es wird sich einiges leichter regeln lassen. Ich nehme an und hoffe auch, daß das eintreten wird, denn wenn nicht, stecken wir ganz schön in der Klemme.

Sie können sich ausrechnen: Vor 1000 Jahren war die Bevölkerungszahl sehr niedrig. In 1000 Jahren von heute an gerechnet wird beim gegenwärtigen Wachstum jeder Mensch auf diesem Planeten so nahe neben jemanden stehen, wie Sie und ich momentan. Ich halte das nicht für nachhaltig. (lacht)

SB: Nein. (lacht)

OBT: Man sollte also nicht tausend Jahre warten, bis alle Menschen so dicht zusammenstehen wie wir und in dieser Weise die ganze Oberfläche bedecken, bevor irgend etwas unternommen wird.

SB: Herr Toon, wir bedanken uns recht herzlich für das Gespräch.

Owen Brian Toon und SB-Team - Foto: © 2011 by Schattenblick

Owen Brian Toon im Gespräch mit dem SB-Redaktionsteam
Foto: © 2011 by Schattenblick


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Fußnoten:

[1] "Nuclear Winter: Global Consequences of Multple Nuclear Explosions", R. P. Turco, O. B. Toon, T. P. Ackerman, J. B. Pollack und Carl Sagan, Science, Vol. 222, Seiten 1283-1292. 23. Dezember 1983.

[2] "Consequences of Regional-Scale Nuclear Conflicts", Owen B. Toon, Alan Robock, Richard P. Turco, Charles Bardeen, Luke Oman und Georgiy L. Stenchikov, Science, Vol. 315, Seiten 1224-1225, 2. März 2007.


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Zur Konferenz "Severe Atmospheric Aerosol Events" sind bisher erschienen:

UMWELT -> REPORT -> BERICHT:
BERICHT/004: Klima, Aerosole - Schadensträger im Fadenkreuz, Teil 1 (SB)

19. August 2011