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INTERVIEW/008: Klima, Aerosole - Prof. Hartmut Graßl, Max-Planck-Institut für Meteorologie (SB)



Interview mit Prof. Dr. Hartmut Graßl vom Max-Planck-Institut für Meteorologie am 12. August 2011 in Hamburg


Professor Dr. Hartmut Graßl vom Max-Planck-Institut für Meteorologie - Foto: © 2011 by Schattenblick

Professor Dr. Hartmut Graßl vom
Max-Planck-Institut für Meteorologie
Foto: © 2011 by Schattenblick


Zu Recht darf man Hartmut Graßl, als einen Atmosphärenschützer der ersten Stunde bezeichnen. Bereits seit 1986/87 warnt er vor den Folgen zunehmender CO2-Emissionen, ungeachtet des jeweiligen "politischen Klimas". Von 1988 bis 2006 lehrte er als Professor im Meteorologischen Institut der Universität Hamburg. In der gleichen Zeit bekleidete er das Amt des Direktors am Max-Planck-Institut für Meteorologie. Von 1994 bis 1999 war Prof. Graßl als Leiter des Weltklimaforschungsprogramms der World Meteorological Organization (WMO) bei den Vereinten Nationen in Genf tätig. Nach 1992-1994 hatte er von 2001 bis 2004 erneut den Vorsitz des Wissenschaftlichen Beirates Globale Umweltveränderungen (WBGU) der Bundesregierung inne. Seine Forschungsgebiete umfassen die Erdbeobachtung aus dem Weltraum, Aerosol- und Klimaforschung sowie die Fernerkundung der unteren Atmosphäre mit Lidar- und Radarmethoden. Des weiteren machte er sich in den Verhandlungen über das Kyoto Protokoll verdient. Prof. Graßl ist Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gremien sowie Träger hoher Auszeichnungen. Gemeinsam mit seinen Kollegen Prof. Dr. Lennart Bengtsson und Prof. Dr. Klaus Hasselmann vom Max-Planck-Institut für Meteorologie erhielt er 1998 den Deutschen Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Und auch nach seiner Emeritierung ist Graßl als Wissenschaftler und Berater für Klima und Atmosphäre aktiv. Im Anschluß an seinen Vortrag "Aerosol Particles and Politics", den er zu Beginn des vierten Panels der Konferenz "Severe Atmospheric Aerosol Events" hielt, war er freundlicherweise bereit, seine wohlverdiente Kaffeepause für einige Fragen der Schattenblick-Redaktion zu unterbrechen:

Schattenblick: Herr Prof. Graßl, Sie haben vorhin in Bezug auf das Geoengineering eine unserer Ansicht nach sehr treffende Umschreibung verwendet ...

Hartmut Graßl: ... "Manipulation bei Halbwissen".

SB: Könnten Sie das für unsere Leser noch einmal genauer definieren? Geoengineering ist vor dem Hintergrund, daß die globale Durchschnittstemperatur sehr wahrscheinlich die 2-Grad-Grenze überschreiten wird, auf dieser Tagung ein häufig erwähntes Thema. Industrie- und Vermarktungsinteressen scheinen schon in den Startlöchern zu stehen und nur auf den Startschuß zu warten, ...

HG: ... daß sie loslegen können. Ja, das ist normal. Sie müssen immer bedenken, nichts möchte der Mensch lieber, als nicht sein Verhalten zu ändern, sondern mit Technik zuzuschlagen. Diesen Wunsch haben sehr viele und so geht die gesamte Debatte über Klimaänderungen durch den Menschen immer nur darum, "wie kann ich das mit Technik locker beherrschen, ohne daß ich mein Auto verliere". Alle Maßnahmen, die bisher funktioniert haben, waren rein technische Lösungen. Also man baut Autos, die pro bewegtes Kilogramm einfach weniger Sprit brauchen. Das ist den Autobauern gut gelungen. Unsere Autos brauchen jetzt pro Kilo Gewicht höchstens noch die Hälfte des Sprits, den sie vor 30 oder 40 Jahren benötigt haben. Aber dafür haben wir die Autos doppelt so groß gemacht. Also haben wir wieder nichts gewonnen. Und diesen Rebound-Effekt kann man immer feststellen.

Etwas ändern kann man eigentlich nur durch veränderte Gesetzgebung. Und die muß jeweils den Geldbeutel des einzelnen erwischen, sonst geht gar nichts. Wenn es also nicht die Entscheidung in Brüssel gegeben hätte, daß 2015 der Flottenverbrauch [1] für eine Automobilfirma unter 120 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer fallen muß, dann gäbe es überhaupt keine Elektroautoinitiative der Firmen. Die warten so lange, bis so was gesetzlich entschieden wird.

Genauso ist das bei den Debatten, die wir hier führen. Wenn wir nicht die Zivilgesellschaft über ein Jahrzehnt oder zwei oder manchmal sogar drei Jahrzehnte Druck ausüben lassen, gibt es diese Gesetze nicht. Unsere "Energiewende" ist doch auch nur entstanden, weil wir mit den erneuerbaren Energien inzwischen weiter als je geahnt vorangekommen sind, so daß jetzt auch der konservative Bürger, der früher der Kernenergie nachgelaufen ist, an die Möglichkeiten, das mit Sonne und Wind und geschickter Verteilung zu schaffen, glaubt. Das ist jetzt in seinem Kopf verankert, aber es hat mindestens drei Jahrzehnte gebraucht, in denen entsprechende Gruppen das immer wieder propagiert haben, bis dann die ersten Politiker kleine Schräubchen drehen. Mit diesen kleinen Schräubchen ausgestattet, merkt dann auch der Bürger, "Mensch, mit erneuerbaren Energien läßt sich ja sogar Geld verdienen". Und auf einmal wurden darin Milliarden investiert. So läuft dann das System an.

Deswegen habe ich in meinem Vortrag auch so viel Wert auf die Zivilgesellschaft gelegt. Wenn Sie diese für ein Thema nicht hinter sich haben, wird ein Politiker ohnehin nicht reagieren. Der wird nur auf Druck seiner Wählerschaft etwas tun.

Und jetzt hat Frau Merkel gemerkt, daß 70 Prozent der Deutschen rasch aus der Kernenergie aussteigen wollen. Greenpeace und andere Umweltbewegungen haben gezeigt, daß das machbar ist, indem sie Privatinvestitionen von Bürgern z.B. in Windenergieanlagen gesteckt haben. Jeder bayerische Bauer hat inzwischen Photovoltaik auf seiner Scheune und auf einmal wurde der Beweis angetreten, daß es geht.

Angesichts solcher Tatsachen ändern dann endlich auch die konservativen Menschen mal ihre Meinung, die sie 40 Jahre lang vor sich hergetragen haben und an die eigentlich mit Argumenten keiner herankommen konnte. Erst das Faktum, daß in Deutschland bereits 20 Prozent Strom im Netz aus erneuerbaren Energien stammen, konnte sie überzeugen. Auf diesen Stimmungsumschwung hat jetzt Frau Merkel klug reagiert. Aber bis dahin hat sie mit dem Strom geschwommen wie alle anderen auch. Sie hat gerade noch rechtzeitig umgedreht.

Mit 71 Jahren kenne ich inzwischen die Wissenschaftsentwicklung. Vor etwa 50 Jahren schrieb ich meine erste Arbeit, ich bin noch als Student mit Forschungsteams auf den Weltmeeren herumgefahren, also ich habe sehr früh mit der Wissenschaft und auch sehr früh mit der Öffentlichkeitsdebatte begonnen, weil ich der Autor eines Memorandums der Deutschen physikalischen Gesellschaft gemeinsam mit der Deutschen meteorologischen Gesellschaft zum Thema "Globale Klimaänderungen durch den Menschen" war. Und deswegen stecke ich seither in dieser politischen Debatte. Ich kenne die Politiker. Ich habe guten Zugang zu ihnen, also wenn ich mit denen reden will, dann bekomme ich hier in Deutschland auch einen Gesprächstermin. Das ist in den Vereinigten Staaten schwieriger, obwohl die USA ein führendes Wissenschaftsland ist.

Nun, die Bedeutung der Umweltforschung in unserem Land hat inzwischen sicherlich den gleichen Rang erreicht wie in den USA. Auf manchen Gebieten liegt sie sogar noch darüber, aber das ist ein langsamer Prozeß. Wir geben auch etwas mehr als die Amerikaner von unserem Bruttosozialprodukt für die Forschung aus. Und jetzt kommen hier neue Themen wie auf dieser Tagung: Das ist der regionale nukleare Konflikt, die großen Vulkanausbrüche, von denen wir zufällig in den letzten 100 Jahren der industriellen Entwicklung fast nichts abbekommen haben, denn es gab keine wirklich schwerwiegenden Ausbrüche.

Und jetzt kommen die Asteroide auf einmal in den Blick der Gesellschaft, weil die damit verbundenen Risiken inzwischen besser abgeschätzt werden können, und die sind nicht klein. Auch da sind wir in den letzten paar 100 Jahren von einem großen Ereignis verschont geblieben. Es gab bisher keinen Tsunami in Hamburg, weil zufällig keiner dieser Brocken in die Nordsee gedonnert ist. Dabei hätte er nicht mal in die Nordsee donnern müssen. Es hätte völlig gereicht, wenn ein Asteroid da oben explodiert wäre, wie 1908 über dem Tunguska [2] und dann das Nordseewasser in die entsprechenden Flüsse getrieben hätte. Dann würde sich heute jeder Hamburger daran erinnern, denn das hätte ein paar tausend Menschenleben gefordert.

SB: Sie sprechen hier etwas an, was auch schon Thema Ihres Vortrags war. Lassen sich Meteoriteneinschläge denn überhaupt verhindern?

HG: Ja, das läßt sich durchaus abbiegen. Wenn man die Asteroiden, die in Erdnähe sind, alle kennt und den Himmel immer wieder genau abscannt und beobachtet, dann kann man die Bahn eines dieser Brocken sehr genau berechnen, weil physikalische Himmelsmechaniken mit hoher Präzision gerechnet werden können. Dann kann man genau vorhersagen, wann der wiederkommen wird. Und dann muß man allerdings beobachten, ob er beim nächsten Mal seine Bahn leicht verändert hat, weil er in den Einflußbereich eines anderen Planeten geraten ist. Auf diese Weise kann man sogar vorherberechnen, ob er sich von der Erde entfernen oder uns näher rücken oder irgendwann die Erde selbst Teil seiner Bahn werden wird ... und dann wird es gefährlich. Dann muß man natürlich etwas tun.

SB: Für so einen Fall wird darüber diskutiert, daß der stärkste Impuls, um den Asteroiden vom Kollisionskurs mit der Erde abzulenken oder ihn zu zerstören, wieder der Einsatz von Nuklearsprengkraft wäre. Wäre das nicht ein extrem hohes Risiko?

HG: Also von der europäischen Weltraumbehörde (ESA) wurde durchgerechnet, daß für den Apophis nur eine Satellitenmission mit ein paar 100 Kilogramm Gewicht als Impact [= Aufprallimpuls, Anm. d. SB-Red.] ausreichen würden, um ihn aus der Bahn zu bringen: Man geht dabei von zwei komplementären Sonden aus [3]. Eine Raumsonde kreist beobachtend um den Asteroiden, die zweite wird beispielsweise beim Vorbeiflug am Mond oder auf andere Weise bis auf zehn Kilometer pro Sekunde beschleunigt und dann - "zack" - auf den Asteroiden geschossen. Dabei zerfällt dieser entweder in lauter Bruchstücke, dann ist er ohnehin nicht mehr gefährlich, oder wenn es sich um einen kompakten oder metallenen Körper handelt, ändert sich zumindest seine Flugbahn. Und wenn man genau weiß [durch Kommunikation mit der beobachtenden Sonde, Anm. d. SB-Red.], womit man es zu tun hat, dann läßt sich auch die anschließende Flugbahn gezielt korrigieren.

Die Europäische Weltraumbehörde hat solche Studien in Auftrag gegeben. Die Phase A ist beendet. Die Amerikaner haben sogar schon einen Asteroiden ausgesucht, d.h. nicht den Apophis, sie haben einen anderen ausgewählt, bei dem sie einen "Greifer" einsetzen wollen, um da etwas wegzunehmen.

SB: Das Raumschiff mit dem Greifer erinnert mich ehrlich gesagt an eine alte Micky Maus-Ausgabe. Da hatte schon Daniel Düsentrieb so ein Gefährt, um die Erde vor einem Asteroiden zu retten ... Das hört sich so gut, einfach und machbar an, ich erlaube mir trotzdem die etwas ketzerische Frage: Ist das nicht auch alles schon Geoengineering?

HG: Ja sicher, aber das ist Geoengineering mit berechenbarem Ausgang. Gemessen an den Milliarden oder Billionen Schäden, die verursacht werden können, wenn der Asteroid ein großes Stück ist, sind meiner Ansicht nach in diesem Fall ein paar 100 Millionen Euro doch eine gute Investition.

Hartmut Graßl spricht über Klimaerwärmung im Zeitraffertempo - Foto: © 2011 by Schattenblick

Hartmut Graßl spricht über Klimaerwärmung im Zeitraffertempo
Foto: © 2011 by Schattenblick

Climate Engineering ist dagegen nicht berechenbar, wie man dem Diagramm in meinem Vortrag entnehmen konnte. Ich habe das vorhin verglichen: Um wieviel wärmer wird es durch die Veränderung der Sonneneinstrahlung? Und wie strahlt dann die erwärmte Erde oder die gekühlte Erde in den Weltraum zurück? Die beiden Muster sind so total unterschiedlich, haben völlig andere Breiten- und Jahreszeiten-Abhängigkeit. Mit diesem Geoengineering [gemeint ist der Eintrag von SO2 oder Ruß in die Atmosphäre, Anm. d. Red.] provoziere ich erneut Klimaänderungen. Und man kann nicht einmal vorhersehen, ob es dann nicht wirklich in China um zehn Prozent weniger Regen gibt. Doch eine Niederschlagsreduktion von zehn Prozent in China bedeutet eine Hungerkatastrophe für 1,3 Milliarden Menschen. All das ist völlig ungeklärt. In derart unsicherem Milieu möchte ich mich nicht bewegen. Ich bin zwar ganz beruhigt, weil auf diesem Sektor nichts kommen wird, da immer Nationen dagegen sein werden. Diejenigen, die sich als Verlierer wähnen (es müssen nicht einmal die wahren Verlierer sein), werden immer vehement dagegen stimmen, wenn es z.B. bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen um einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag gehen sollte.

SB: Was vielleicht kleinere Staaten oder Länder auch zu Recht befürchten, ist ja, daß die Technologie des Schwefelausbringens oder ähnlicher Geoengineering Methoden, um die Sonnenstrahlung abzuhalten, den Staaten, die darüber die Verfügungsgewalt besitzen, ermöglicht, Länder, die nicht darüber verfügen, nach Belieben unter Druck zu setzen oder auch - hart ausgedrückt - über die Klinge springen zu lassen ...

HG: Ja, aber das machen wir ja mit dem Eintrag von Spurengasen in die Atmosphäre, also mit der Klimaänderung schon lange so. Die Verlierer sind immer diejenigen, die es nicht verursacht haben, die Menschen in den semiariden [= klimatisch überwiegend trockenen, Anm. d. SB-Red.] Gebieten. Diese Ungerechtigkeit ist erkannt.

Aber Sie sprechen jetzt indirekt etwas an, was ich in meinem Vortrag heute selbst nicht gesagt habe und Hauke Schmidt gestern auch nur kurz andeutete: Wenn man aufhört mit dieser Geoengineering-Maßnahme, d.h. wenn die Partikelschicht in der Stratosphäre wieder abnimmt, bewirkt das einen Hitzeschock für die Erde und zwar schon nach wenigen Jahren. Das geht ungeheuer schnell. Dann bekommen wir praktisch eine Temperaturzunahme - mal angenommen, wir hätten das Klima um anderthalb Grad gekühlt - von diesen anderthalb Grad, aber verteilt auf nur drei Jahre. Das wäre der Klimawandel im Zeitraffertempo. Dem entgegenzuhalten ist nur noch der Einschlag eines ganz großen Asteroiden. Das wäre dann ein ähnlich schnelles Ende.

SB: Bei allem Bemühen der Vulkanologen und auch Geowissenschaftler allgemein hat sich auch heute wieder gezeigt, daß die kontroverse Diskussion über die Proxidaten-Interpretation, d.h. mithin auch den eigentlichen Grundlagen, mit denen man Geoengineering-Maßnahmen rechtfertigt, zu keinen konkreten Aussagen führen kann. Da drängt sich doch die Frage auf, welche Technologie auf der Basis solch konträrer Ansichten herauskommen mag?

HG: Ja, deshalb sagte ich schon in meinem Vortrag vorhin, ich wurde bereits von drei oder vier Kollegen darauf angesprochen, wir brauchen jetzt Prozeßstudien, mit denen die wesentlichen, komplexen physikalischen Prozesse komplex einmal wirklich verstanden werden können. Deswegen habe ich sie aufgefordert, doch mal geladene Rußpartikel zu untersuchen. Wie schnell werden sie groß? Fallen sie schneller aus oder ist das sogar ein hemmender Faktor für den Reaktionsmechanismus? Denn die ganze Theorie über den nuklearen regionalen Konflikt und den daraus folgenden Klimaänderungen basiert auf diesem Prozeß. Der Herr Robock behauptet, das Zeug bleibt klein, es klebt nicht zusammen und fällt daher auch nicht schnell aus der Atmosphäre aus. Ja, ob das stimmt, da habe ich so meine Zweifel. Deswegen schlug ich Hans-F. Graf und anderen vor: "Ihr seid noch aktiv - ich darf ja kein Projekt mehr lancieren - bildet doch mal eine Forschergruppe und laßt euch das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder von der Europäischen Union finanzieren, nur zu diesem speziellen Detailprozeß. Das wäre ungeheuer hilfreich. Denn dann hätten wir sowohl zu den Themen "regionale nukleare Konflikte", über große Vulkanausbrüche, bis zu den Asteroideneinschlägen und Vegetationsfeuern endlich mal etwas Solides in der Hand, so daß die Modelle diesen Prozeß konkreter beschreiben können. Alles, was wir bisher haben, sind nur ganz vage Vorstellungen.

SB: Eine Frage noch zum Thema vorher, Sie hatten zur Wahrscheinlichkeit einer Kollision des Apophis mit der Erde die Zahl eins zu 37 angegeben?

HG: Das sagen die Russen.

SB: Wir haben auch schon andere Zahlen gehört. Erst wurde dieser Wert genannt, dann kam eine Entwarnung und es wurde gesagt, wir haben uns verrechnet, die Wahrscheinlichkeit, daß der Apophis vorbeifliegt liege bei ...

HG: ... Eins zu 3.000. Ja, das habe ich natürlich auch gefunden, aber wir wissen ja gar nicht, wer besser rechnet: die Russen oder die NASA. In beiden Ländern gibt es ja gute Wissenschaftler, und die NASA hat ja den Ruf "quick and dirty", sehr schnell viel zu lancieren, aber das tun die Russen auch. Beide Länder haben eine Wissenschafts-Community, die relativ schnell "schießt". Die Europäer sind da etwas zurückhaltender, bedächtiger und prüfen erst alles nochmal genau.

Deswegen setze ich meine Hoffnung auch in die Europäische Weltraumbehörde, die verglichen mit anderen Weltraumbehörden außergewöhnlich seriös arbeitet und einen wunderbaren "Record", wie man im Englischen sagt [Record = Protokoll/Statistik, Anm. d. SB-Red.], aufweisen kann, denen also kurz gesagt fast nie etwas danebengegangen ist. Alle Satellitensensoren sind bisher drei- oder sogar viermal so alt geworden, wie man ursprünglich berechnet hatte. Wenn also die ESA diese Asteroidenmission macht, besteht zumindest eine gute Chance, daß wir hinterher wissen, ob es geht oder nicht. Und da sie in diesem oder im nächsten Jahr entscheiden, ob sie die Pläne umsetzen wollen, könnten wir - wenn sie denn "ja" sagen - Ende dieses Jahrzehnts tatsächlich eine Mission im Weltraum haben, mit zwei oder drei ausgewählten Asteroiden, zu denen man dann tatsächlich auch die Option hat, hinzukommen. Das, denke ich, ist interessant.

Da fällt mir noch ein anderer Punkt zu Geoengineering ein: Ist biologischer Landbau Geoengineering? Ich meine ja. Beim biologischen Landbau gibt es etwas weniger Ertrag, dafür bleibt der Boden gesünder, und mehr Kohlenstoff bleibt im Boden. Alle drei Dinge sind wichtig: Ertrag, Bodenqualität oder Fruchtbarkeit und Kohlenstoffspeicherung. Bisher bekommt der Bauer nur etwas für den Ertrag. Deswegen ist mein Argument: Gebt den Biobauern einen Bonus, wenn sie keinen zusätzlichen Kohlenstoff aus den Böden treiben wie der normale Bauer. Wenn ich das mache, ist das Geoengineering, denn hier fördere ich ein Verhalten, das die Klimaänderungen bremst. In anderen Fällen ist das nicht so leicht zu entscheiden.

SB: Sie sprechen immer wieder gerne über diese Anreize für die Zivilgesellschaft. Wie bekommt man Nicht-Wissenschaftler dazu, auf solche Projekte aufmerksam zu werden? Sie sagten ja in Ihrem Vortrag bereits, das sei sehr wichtig.

HG: Ja, man muß mit den Menschen reden. Man muß viele Vorträge halten. Es muß nicht nur einen, sondern mindestens zehn, fünfzehn hochkarätige Wissenschaftler geben, die auch zum Hausfrauenverein pilgern oder mit den Schülern in den Schulen oder so wie ich im Vatikan mit Bischöfen, Erzbischöfen und Kardinälen, sprechen (die Kardinäle gehören ja auch zur Zivilgesellschaft). Damit sind wir in Deutschland erstaunlich erfolgreich. Wir haben auch unabhängige Beratungsgremien in der Regierung. Ich war lange Zeit der Vorsitzende eines solchen Gremiums, nämlich des wissenschaftlichen Beirats "Globale Umweltveränderungen" Anfang der 90er und dann wieder Anfang des vergangenen Jahrzehnts, also zu Beginn dieses Jahrtausends. Wir konnten unsere Themen für die Gutachten aussuchen, die wir dann der Regierung überreicht haben. Das hat natürlich manchmal drei Monate, manchmal sogar drei Jahre gedauert, bis die Politiker wenigstens teilweise auf unsere Empfehlungen reagiert haben. Aber es ist dennoch ein guter Zustand, wenn Politiker so etwas überhaupt aufnehmen und nicht nur irgendwo in die Ablage tun. Da haben wir ein außergewöhnlich gutes demokratisches Verhalten bei uns. Die freie Diskussion über Probleme, wie wir sie hier gestern und heute thematisiert haben, ist hier weit besser als in den meisten anderen Ländern.

SB: Prof. Graßl, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] Flottenverbrauch bezeichnet den durchschnittlichen
Kraftstoffverbrauch der gesamten Fahrzeuge einer Firma.

[2] 1908 zerstörte eine Asteroidenexplosion, die nur in der Luft stattfand, 80 Millionen Bäume in der Nähe des Podkamennaya Tunguska Flusses in Sibirien.

[3] siehe hierzu auch ESA Veröffentlichung, 12. Oktober 2005, "Don Quijote und die Asteroiden-Abwehr". Die Mission sieht zwei komplementäre Sonden vor: Einen Impactor namens "Hidalgo", der auf dem Zielasteroiden einschlägt, und eine Wissenschaftssonde "Sancho", die den Einschlag beobachtet und den Himmelsbrocken genau unter die Lupe nimmt. URL: www.esa.int/esaCP/SEMU978X9DE_Germany_0.html

1. September 2011