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INTERVIEW/056: Lebensraum Boden - Regeneration unabsehbar, Linderung vielleicht, Prof. Jean Charles Munch im Gespräch (SB)


Bodenökologische Ein- und Ausblicke

Gespräch mit Prof. Jean Charles Munch am 10. September 2013
an der Universität Rostock

über die globale Bodenkrise, Bodenverbesserung, Regeneration und Bodenneubildung



Für die meisten Menschen ist der Dreck unter unseren Füßen noch terra incognita, unbekanntes Land. Angesichts einer weltweiten Verknappung der Ressource Boden durch seine Versiegelung (bzw. sein Zubetonieren mit Wohnraum und Infrastruktur) oder durch seine schleichende Degradation, Desertifikation oder Erosion und durch die sich rasch verändernden globalen Umweltbedingungen rücken durch den drohenden Verlust vor allem seine Funktionen und wie sie sich ersetzen oder ergänzen lassen [1] in den Blick des Bodenkundlers oder Landwirts. Die Frage jedoch, was den Boden eigentlich ausmacht, wird selten gestellt. Die komplexen Zusammenhänge der irdischen Haut, die an jedem Punkt der Erde vollkommen anders sind, wie man an den zahllosen verschiedenen Böden sehen kann, die sie hervorgebracht hat, sind jedoch zu einem großen Teil noch immer nicht vollständig erforscht.

Vor dem Auditorium Maximum in Rostock - Foto: © 2013 by Schattenblick

Prof. Munch mit dem Bohrstock der Bodenkundler
Foto: © 2013 by Schattenblick

Prof. Dr. Jean Charles Munch ist Leiter des Instituts für Bodenökologie am Helmholtz Zentrum München und Ordinarius am Lehrstuhl für Bodenökologie an der TUM (Technische Universität München). Sein Forschungsgebiet in der Bodenökologie ist der Bereich der funktionellen, mikrobiellen Diversität in Böden. Diese extrem vielseitigen Gemeinschaften können erst aufgeschlüsselt werden, seitdem jüngste methodische und analytische Entwicklungen einen Einblick in Genomik und Stoffwechselvorgänge ermöglichen. Ziel dieser Forschung ist das Verständnis der Steuerung ausgewählter mikrobieller Funktionen, um sie verstärkt zu nutzen. [2] Als wissenschaftlicher Leiter des Forschungsbauernhofs Scheyern mit über 150 Hektar in Bayern ist der Bodenökologe nahe an der Praxis, d.h. der Scholle und Lebensgrundlage des Landwirts und somit mit dessen Bedürfnissen vertraut.

Der Schattenblick traf ihn am Rande der alle zwei Jahre stattfindenden Jahrestagung der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft (DBG), die dieses Jahr vom 7. bis 12. September in Rostock stattfand, während der Mitgliederversammlung des DBG am 10. September, auf der ihm als künftigem Gastgeber und Tagungspräsident der Jahrestagung 2015 symbolisch ein Bohrstock verliehen wurde.

Die SB-Redakteure wollten von ihm erfahren, ob es angesichts der hier viel diskutierten "Bodenkrise" aus bodenökologischer Sicht noch Chancen gibt, bereits verloren gegebenen "Boden wieder gutzumachen", um beispielsweise die landwirtschaftliche und Ernährungs-Situation in ärmeren Ländern zu verbessern. Seinen Worten folgend fanden sie sich nach kurzer Zeit in einer phantastischen Mikrowelt mit galaktischen Dimensionen und Auseinandersetzungen wieder, voller unerforschter Kreaturen und Regionen, die nie zuvor ein Mensch gesehen hat ...

Schattenblick (SB): Anläßlich dieser Tagung werden verschiedene Ursachen des teilweise bereits Bodenkrise genannten, weltweiten Verlusts an Ackerboden diskutiert. Bodendegradation und Desertifikation sowie Erosion gehören dazu, auch der durch die zunehmende Klimaerwärmung verursachte Humusabbau. Diese Phänomene stehen offensichtlich in enger Verbindung. Zudem spielt der Boden für viele Ökosysteme eine wichtige Rolle, die von den Veränderungen ebenfalls betroffen werden. Wenn diese hochkomplexen Funktionen und Zusammenhänge beispielsweise durch die Versiegelung von Böden oder Übernutzung zerstört worden sind, läßt sich der Boden dann noch wieder regenerieren oder zurückgewinnen?

Prof. Dr. Jean Charles Munch (JCM): Man muß das in dem Zeitrahmen betrachten, in dem sich ein Boden von Natur aus entwickeln würde. Es bedarf vieler Tausender von Jahren, um aus einem knallharten Gestein dieses lockere, schwammartige Gebilde Boden zu machen und Leben zu der wohl größten Biodiversität überhaupt zu entwickeln. Vor allem in ihrer Mikrobiodiversität ist nichts so hoch und so divers belebt wie Böden.

Guter Boden mit feiner Krumenstruktur und Bestandsabfall (Blätter) - Foto: 2003 by Sten Porse freigegeben via Wikimedia Commons als CC-BY-SA-3.0 Unported Lizenz

'Es bedarf vieler Tausender von Jahren, um aus einem knallharten Gestein dieses lockere, schwammartige Gebilde Boden zu machen.' (Prof. Munch)
Foto: 2003 by Sten Porse freigegeben via Wikimedia Commons als CC-BY-SA-3.0 Unported Lizenz

An einem Standort, an dem der Boden verlorengegangen ist, weil die Römer zum Beispiel vor zweitausend Jahren viel Holz brauchten, um ihre Schiffe zu bauen, da haben wir heute noch kahle Hänge. Boden regeneriert sich nicht in Menschenzeit. Ein Beispiel für Bodenweiterentwicklung wäre in Deutschland auch der Limes [3], da man weiß, wann er ungefähr aufgeschüttet wurde und die Veränderungen kennt, denen er im Laufe von zweitausend Jahren ausgesetzt war. Daran kann man erkennen, wieviel Zeit der Boden braucht, um zu entstehen, und wie langsam er sich weiterentwickelt.

Das heißt, Boden einfach neu entstehen zu lassen, da, wo er degradiert wurde, dauert zu lange. Man müßte dann künstlich nachhelfen, also Material, das vielleicht an einem Standort abgetragen wird, weil dort gebaut wird, an solche Standorte bringen. Das müßte natürlich in einer sinnigen Weise geschehen. Man kann dort nicht einfach etwas abkippen und hoffen, daß es sich entwickelt.

Es gibt ja bereits Beispiele vom Tagebau, wo ganze Landschaften neu aufgeschichtet werden. Wir sind also noch nicht am Nullpunkt unseres Wissens angelangt. Es gibt auch Bemühungen, Industriestandorte wieder zu fruchtbaren oder funktionierenden Böden umzuwandeln, die eine Vegetation tragen. Unternehmungen, die mit sehr viel Technik entsprechendes Material zusammenführen, so daß die Grundlage für eine Bodenbildung gegeben ist, gibt es bereits.

1. Waldschneise mit Postenweg (1. Jahrhundert n. Chr.), 2. Holzturm mit Postenweg (frühes 2. Jahrhundert n. Chr.), 3. Holz-Steinturm mit Militärstraße und Palisade (Mitte 2. Jahrhundert), 4. Steinturm mit Mauer und Militärstraße (Raetien/Britannien, spätes 2. Jahrhundert), 5. Steinturm mit Militärstraße, Erdwall und Graben (2. bis 3. Jahrhundert). - Grafik: 2011 by Veleius, freigegeben via Wikimedia Commons als Public Domain

Historisches Beispiel für Bodenzerstörung, an dem man nun die Weiterentwicklung studieren kann: der Limes.
Grafik: 2011 by Veleius, freigegeben via Wikimedia Commons als Public Domain

Boden ist aber auch Bodenleben. Er braucht laufend Nahrung. Nahrung ist die organische Substanz, die normalerweise Pflanzen liefern, wenn sie absterben. Das können die Erntereste aus der Landwirtschaft sein oder der sogenannte Bestandsabfall von natürlichen Standorten [Holz und Laub, Anm. d. SB-Red.] und so weiter, denn der Boden benötigt Huminstoffe, die er daraus gewinnt. [4] Huminstoffe sind quasi der Zement, der die Bodenpartikel in lockerer Weise zusammenhält, so daß sich die ideale, schwammartige Struktur und somit viele Lebens- und Freiräume ergeben, in denen Wasser gespeichert werden und das Bodenleben existieren kann.

SB: Huminstoffe müssen gebildet werden? Das heißt, sie sind nicht das letzte Produkt in der Stoffwechselkette im Boden, das sich dann anhäuft?

Schnitt durch den Boden zeigt die verschiedenen Schichten - Grafik: by PD-USGov-USDA

Bodenprofil: Je mehr Huminstoffe im Boden sind, umso dunkler ist die oberste Humusschicht.
Grafik: by PD-USGov-USDA

JCM: Huminstoffe müssen laufend gebildet werden können, weil sie auch laufend abgebaut werden. Das ist ganz normal. Mikroorganismen, also Bakterien und Pilze, fressen sie und gewinnen dabei Energie. Dazu kommt, daß Mikroorganismen selber für ihre ganz normalen Leistungen im Boden laufend Energie brauchen, allein, um überhaupt den Bestand zu erhalten. Es genügt also nicht, einfach nur Material in optimaler Form zusammenzutragen, sondern man muß auch für Bodenleben sorgen.

Und auch dafür müssen die Bedingungen stimmen. So hat man gerade an Industriestandorten untersucht, ob sich Bodentiere wieder etablieren lassen, wenn man diese Böden beispielsweise mit Regenwürmern beimpft. Wenn man jedoch den falschen Lebensraum hat, dann bringt das natürlich gar nichts. Das heißt, man muß mit der Materialstruktur, aber auch entsprechender Nahrung für die Bodenbewohner, die Bedingungen und Voraussetzungen schaffen, damit wirklich ein Bodenkörper mit all den Funktionen, die wir kennen, entstehen kann. Und das bedingt immer eine Bodenstruktur, Freiräume, Luft, Wasserhaushalt, Lebensraum und vermutlich noch vieles mehr, was wir noch nicht kennen.

SB: Sie definieren Boden auch, glaube ich, mehr als einen Organismus oder symbiotischen Lebensraum. Diese Einstellung scheinen nicht alle Bodenexperten zu teilen, wenn davon gesprochen wird, man könne mit entsprechenden Düngemitteln oder Kompost den Boden innerhalb einer Generation regenerieren?

JCM: Halt, Sie sprechen von regenerieren ...

SB: Ja.

JCM: Wenn ein Boden gewissermaßen nur kontaminiert ist oder durch Verdichtung Schaden genommen hat, dann kann man innerhalb einer Generation durchaus etwas erreichen, das stimmt. Einen Boden wiederzubeleben, solange er noch da ist, nur in einer total veränderten Form, in der er nicht mehr funktioniert, geht natürlich wesentlich schneller. Aber auch das braucht Generationen, nicht zwei Jahre. - Ich sprach von einem vollkommenen Abtrag des Bodens, wie ...

SB: ... beim Braunkohleabbau?

JCM: Ja genau oder beim Abholzen ganzer Landstriche durch die Römer oder durch die Erfindung der Dampfmaschine. Um die zu betreiben, brauchte man enorme Mengen an Holz. Es wurden rigoros Hänge entwaldet und dann ging der Boden eben den Hang runter, weil kein Schutz mehr da war. Also in diesem Sinne dachte ich an den kompletten Neuaufbau eines Bodens, die Neubodenbildung.

SB: Sie sprachen von der Diversität des Bodenlebens, ich glaube, man spricht von zehntausend oder einer Milliarde verschiedener Bodenmikroorganismen, die in einem Fingerhut gesunden Bodens zu finden sein müssen, da sie alle nebeneinander notwendig sind, damit der Boden funktioniert. Wenn nun der Mensch in irgendeiner Form Chemikalien ergänzt, also Düngemittel oder auch Gülle dazugibt, wird dadurch nicht die Vielfalt in Gefahr gebracht, weil einige Organismen sensibel darauf reagieren und andere nicht? Gülle ist ja letztlich auch schädliche Chemie.

JCM: Chemie ist nicht per se schädlich.

SB: Stört diese Manipulation nicht das Gesamtsystem Boden oder reichen die überlebenden Organismen aus, um ausfallende Funktionen zu ergänzen oder abzupuffern?

JCM: Wir haben eine hohe Redundanz [6] im Boden, gerade auch, was mikrobielle Funktionen oder genetisch fundierte Funktionen betrifft. Das ist notwendig, weil der Boden selber kein homogener Lebenskörper ist, wie man sich vielleicht einen Fermenter vorstellt, in dem überall die gleichen Bedingungen herrschen, sondern er ist sehr heterogen. Das heißt, die Bodenstruktur ist ganz unterschiedlich, es sind Minilebensräume da, die fast nur mit Wasser gefüllt sind, große trockene Lebensräume, oder welche, die auch austrocknen. Die Nahrungsverhältnisse verändern sich über das Jahr. Im Herbst kommen dann haufenweise Bestandsabfälle, da gibt es plötzlich massenhaft zu fressen. Wenn das verbraucht wird, ist kaum noch etwas da. Dann bringen die Jahreszeiten, Winter, Sommer, unterschiedliche Feuchtigkeiten mit sich. Von totaler Trockenheit bis hin zur Wassersättigung muß der Boden so variabel reagieren, daß er sich eine extrem hohe Diversität an Eigenschaften zugelegt hat, damit er in jedem Fall weiterfunktionieren kann. Das heißt, die Redundanz der Funktionen hängt von den jeweils herrschenden ökologischen Bedingungen ab. Wenn es also sehr trocken ist, übernehmen bestimmte Mikroorganismen eine Funktion, die wieder andere übernehmen, wenn der Boden wassergesättigt ist. Das ergibt insgesamt eine extrem hohe Elastizität gegenüber äußeren Bedingungen.

Nun gut, Gülle bringt zwar Nährstoffe rein, wie Ammoniak, aber auch sogenannte Güllekeime, Escherichia Coli und so weiter, die gar nichts im Boden zu suchen haben. Die können im Boden auch kaum überleben, weil sie sich in einem viel zu fremden Lebensraum befinden, in dem schon andere, viel besser angepaßte Mikroorganismen, zuhause sind. Hinzu kommt eine Polizei im Boden, die diese fremden Bakterien vernichtet. Das ist die sogenannte Mesofauna, also Nematoden, Collembolen- und Pseudoskorpiongemeinschaften, aber auch Protozoen und so weiter, und die fressen diese fremden Bakterien einfach weg, verdauen sie und sorgen dafür, daß diese Fremdlinge das System nicht weiter stören. Kurzum: auch der Boden ist in der Lage zu reagieren. Auch viele Fremdstoffe, die nicht in den Boden passen, werden zum Beispiel mit Huminstoffen, die ich vorhin nannte, sorbiert, also gebunden, und sind dann zwar noch vorhanden, aber nicht mehr chemisch aktiv. Auf diese Weise in ihrer Funktion gehindert, können sie über die Zeit abgebaut werden.

Wenn man jetzt drastisch vorgeht und zu viele Funktionen eliminiert, zum Beispiel einen Boden regelrecht vergiftet, dann kann es durchaus eine Weile dauern, bis sich das Ganze regeneriert. Ich denke dabei an Jahrzehnte, denn auch viele genetisch codierte Funktionen werden von einem Organismus auf einen anderen übertragen. Das ist ein ganz üblicher Prozeß.

SB: Denken Sie hier an den Gen-Transfer, mit dem auch z.B. Resistenzen übertragen werden?

JCM: Ja genau, der Austausch von Genen unter anderem dient dazu, daß Funktionen, die mit den Organismen verlorengegangen sind, in noch vorhandene Organismen übertragen werden. Wir können hier eine unglaubliche Elastizität beobachten, ohne die wahrscheinlich Böden gar nicht überleben könnten. Überlegen Sie einmal, welche Hitze sich bei einem Waldbrand entwickelt. Das ist viel schlimmer als ein bißchen ammoniakhaltige Gülle. Und der Boden regeneriert sich wieder.

SB: Was ist mit den Antibiotika und Medikamenten, die ebenfalls in Gülle enthalten sind?

JCM: Antibiotika sind etwas ganz Normales im Boden. Wahrscheinlich sind das mal im Laufe der Evolution Mittel gewesen, die sich bei der Fülle von Mikroorganismen im Boden als günstig erwiesen haben, um die Konkurrenz um dieses bißchen Nahrung auszuschalten. Als die ersten Antibiotika entdeckt wurden, hat man Bodenmikroorganismen von überall gesammelt, um zu untersuchen, ob die ebenfalls Antibiotika herstellen. Im Grunde waren Bodenorganismen die erste Quelle für Antibiotika.

SB: Aber auch die ersten Opfer dieser Form von Konkurrenzbekämpfung?

JCM: Wenn man natürlich zu viel Antibiotika in den Boden bringt, werden bestimmte Organismen davon auch abgetötet. Aber die meisten bilden Resistenzen dagegen aus. Und das wäre dann das eigentliche Problem. Wir können nämlich nicht sagen, welche Bedeutung es für den Boden hat, wenn dieses gegenseitige Bekämpfen im Boden nicht mehr stattfindet, weil zu viele resistente Formen existieren.

SB: Nehmen wir diese resistenten Bodenbakterien nicht auch mit der Nahrung auf?

JCM: Ja, ja, wir haben schon als Kinder mit dem Finger Bodenbakterien aufgenommen und eigentlich ist das "Boden essen", oder wie die Eltern eher sagen, das "Dreck essen", gesund. Viele Gemüse verzehren wir in roher Form und auf diese Weise nehmen wir viele Keime, die wir sonst im Laufe des Lebens ohnehin irgendwann abbekommen würden, bereits als Kleinkind auf und der Körper kann dagegen Widerstandskräfte entwickeln.

Auf der anderen Seite besteht aber auf die gleiche Weise auch für uns Menschen die Gefahr, die gegen neue Antibiotika erzeugten Resistenzen im Boden ebenfalls mit der Nahrung aufzunehmen oder sogar einzuatmen. Staub ist schließlich nichts anderes als Boden, der aufgewirbelt wurde. In Zukunft werden wir viel mehr warme Trockenheitsphasen, also auch viel mehr Staub in der Luft haben, und damit atmen wir dann zum Beispiel resistente Formen ein.

Das heißt, diese zusätzlichen Antibiotika sind ein ganz neues Problem. Genau genommen sind wir mit unserem Fleischkonsum schuld an den vielen Antibiotika, die mit Gülle ausgebracht werden. Wenn wir unseren Fleischkonsum reduzieren würden - und es liegt nur an uns, denn die Industrie verkauft, was wir kaufen wollen -, wenn wir also kein Fleisch mehr konsumieren, würden wir damit einiges für den Boden tun. Dieser Appell kann sich nur an Menschen richten, nicht an ein System oder an die Politiker oder wen man auch immer bezichtigen möchte, sondern wir Menschen allein sind schuld an diesen Zuständen. Und welche Bedeutung diese Antibiotikamengen für den Boden haben, können wir im Moment noch nicht abschätzen. Wenn aber in der Nähe von Massentierhaltung die Böden laufend mit solcher Gülle versorgt werden, sind sie aus meiner Sicht als Bodenmikrobiologe durchaus in Gefahr.

SB: Gibt es da keine gesetzlichen Bestimmungen, die den Gebrauch von Antibiotika in der Tiermast einschränken? Angenommen, ein Maststall hat 10.000 Schweine ...

JCM: Die werden alle prophylaktisch mit Antibiotika versorgt. Was inzwischen verboten wurde, sind Antibiotika als Ergänzung im Mastfutter. Die wurden früher einfach nur Leistungssteigerer genannt und nicht speziell als Antibiotika ausgezeichnet, was inzwischen verboten wurde. Dafür werden jetzt um so mehr Antibiotika gespritzt, zur Vorbeugung gegen Pathogene. [7]

SB: Das gleiche in Grün sozusagen.

JCM: Genau, und auf diese Weise haben wir nach wie vor haufenweise Antibiotika in der Gülle, und auch alles andere, was als Stalldung oder Mist auf die Felder geht, ist beladen mit Antibiotika.

SB: Würden denn, wie manche behaupten, 6 Prozent Humusanteil im Boden, statt der geforderten 1,5 Prozent, bereits ausreichen, daß diese bodensystemische Polizei, von der Sie gerade gesprochen haben, so funktioniert, daß man keine Pflanzenschutzmittel mehr braucht, daß Düngemittel überflüssig werden, weil der Boden genug hergibt, so daß damit die Ackerbodenwelt wieder in Ordnung wäre und gesunde Nahrungsmittel hervorbringen könnte?

JCM: Nun gut, es kommt darauf an, was man mit diesem Boden machen will. Wenn man hier Nahrungspflanzen erzeugen will, klar, dann ist der Humus, also zusammengefaßt die gesamte organische Substanz im Boden, die existentiell notwendige Nahrung für die Bodenmikroorganismen. Die Mikroorganismen setzen daraus wiederum Nährstoffe, die sie selbst nicht benötigen, frei. Und die werden auf diese Weise für die Pflanzen verfügbar, die sie für ihr Wachstum brauchen. Je mehr Mikroorganismen, also je mehr Bodenleben wir haben - wobei es nicht nur um Mikroorganismen, sondern auch um die Mikrofauna und Mesofauna geht -, um so größer ist auch die aktive Abwehr im Boden gegen die Pflanzenpathogene. Sie dürfen nicht vergessen, unsere Kulturpflanze ist an dem Standort, wo wir sie anpflanzen, zumeist fremd. Sie würde dort von sich aus gar nicht wachsen. Deswegen müssen wir sie ja laufend pflegen. Und daher haben auch Schädlinge oder Pathogene hier ein leichtes Spiel, Angriffspunkte zu finden, vor allem auch deshalb, weil Kulturpflanzen meist einen Reinbestand darstellen, d.h. man hat nur Pflanzen einer einzigen Art und keine gewachsenen Pflanzengemeinschaften, wie sie in der Natur über die Zeit entstehen.

Wenn aber die Pflanzenpathogene gewissermaßen die Schlacht im Boden gewinnen und Pflanzen befallen, läßt sich der Boden das offenbar nicht auf lange Sicht gefallen, weil dann wieder ein Ungleichgewicht ins Bodenleben hineinkommt. Bereits nach relativ wenigen, sagen wir mal etwa drei, Pflanzenzyklen entwickelt sich eine bakterielle und pilzliche Population heraus, die wiederum diese Pflanzenschädlinge bekämpft. Offenbar ist das eine Art natürliche Gegenregulation des Bodens, die ihn, wie wir annehmen, wieder in ein Gleichgewicht zurückbringt, so daß dieses Übergewicht an Schädlingen, die durch die Kulturpflanze gefördert werden, nicht das System kaputtmacht. Also für mich ist Boden einfach etwas ganz Wunderbares.

Regenwurm - Foto: 2005 by Luis Miguel Bugallo Sánchez, freigegeben via Wikimedia Commons als CC-BY-SA-3.0 Unported Lizenz

Boden ist auch Leben - in einem gesunden Boden lockt ein Spatenstich etwa 20 Würmer hervor.
Foto: 2005 by Luis Miguel Bugallo Sánchez, freigegeben via Wikimedia Commons als CC-BY-SA-3.0 Unported Lizenz

SB: Ja, das hört sich ein bißchen wie ein Agententhriller im Mikromaßstab an, nach Mikrosaboteuren, Intrigen, Geheimpolizei oder "Bodenkontrolle"... Das funktioniert aber auf diese Weise nur in humusreichen, gesunden Böden?

JCM: Klar, je mehr das Bodenleben gefördert wird, ob das durch mehr Prozent an Humus geschieht oder ob man es anders unterstützt, verbessert man auch die Chance, daß sich diese Antagonisten gegen die Pflanzenpathogene gut entwickeln und daß die sogenannte Biokontrolle, wie man diesen Gegenmechanismus auch nennt, von selbst funktioniert. Es gibt tatsächlich auch schon Produkte auf dem Markt, die diese Biokontrolle fördern, damit die Böden suppressiv gegen diese Pathogene werden, wie es in der Fachsprache heißt. Suppressiv bedeutet zurückdrängen oder unterdrücken, und das geschieht mit den Pathogenen. Es geht also nicht um einen bestimmten Prozentanteil an Humus, sondern um dieses Prinzip. Unsere Kulturpflanzen, die wir mit der Ernte wegfahren, exportieren ja auch Nährstoffe aus dem Boden. Die fehlen dann für die nächste Pflanzengeneration, wenn wir sie dem Boden nicht zurückgeben. Es geht nicht, daß man den Boden immer weiter auslaugt, er kann die Ernte dann nicht mehr bringen, die wir erwarten.

SB: Was wäre denn die beste Nahrung für diese "bodenbildende" Mikrofauna? Gibt es da ein Geheimrezept, wie "nicht so viel Gülle, aber dafür mehr Dung" oder so etwas ähnliches?

JCM: Gülle ist sicher keine ausreichende Nahrung für die Mikroorganismen, das ist einfach zu wenig. Nein, das wichtigste ist eine ausreichende Sauerstoffzufuhr. Der Boden muß so beschaffen sein, daß er Luft holen kann. Leben ist gleichbedeutend mit Sauerstoff. So wie wir Luft für unsere Atmung benötigen, brauchen Mikroorganismen auch Sauerstoff. Und wenn zu viele Mikroorganismen im Bodengrund aktiv sind, kann nicht mehr genügend Sauerstoff in den Boden diffundieren und dann kippt er um, vom aeroben in das sogenannte anaerobe Milieu.

SB: Entstehen dann andere Stoffwechselprodukte, zum Beispiel Methan statt Kohlenstoffdioxid, dem ultimativen Endprodukt des Sauerstoffwechsels?

JCM: Wenn viel organische Substanz da ist, entsteht auch u.a. Methan. Aber auch viele andere reduktive Prozesse laufen dann im Boden ab, Mineralien werden anders angegriffen. Es werden auch eventuell bestimmte Mineralien gebildet, die man nicht wünscht. Natürlich gibt es im Boden auch anaerobe Bereiche, beispielsweise in der Nähe der Wurzel. Es geht einfach um die Verhältnismäßigkeit.

In einem Boden, der locker ist, findet natürlich mehr Luftaustausch statt als in einem verdichteten Boden oder beispielsweise in der Fahrspur von agrarwirtschaftlichen Maschinen. Diese Verdichtung hinterläßt für lange Zeit Spuren.

Darüber hinaus ist es natürlich gut, wenn man einen Boden bewirtschaftet und häufiger im Jahr organische Substanz anreichert als alles auf einmal. Aber das hat auch wieder mit der Nährstoffmobilisierung und mit der Auswaschung von Stickstoff zu tun. Es gibt kein Maximum, nur ein Optimum, wenn von einer guten Sache zu viel in den Boden kommt, dann schließen sich sofort negative Prozesse an.

Foto: © 2013 by Schattenblick

Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Da Sie gerade die Verdichtung des Bodens und die Notwendigkeit der Sauerstoffzufuhr ansprechen, was halten Sie von den sogenannten No-Tillage-Verfahren (ohne Pflug bzw. Direktsaat) oder Low-Tillage-Verfahren (wenig Pflug), bei denen nach der Ernte alles totgespritzt werden soll, und der Boden für die neue Saat nur angeritzt wird?

JCM: Das hängt vom Boden ab. Man kann nicht generell sagen, Pflug ist besser oder Pflug ist schlechter. Manchmal ist sinnvoll, nur noch alle fünf Jahre zu pflügen, also alle paar Jahre auch wieder diese Bodendurchmischung durchzuführen. No-Till repräsentiert im wesentlichen aber auch geringere Erträge. Das muß man in Verbindung mit der Welternährungslage durchaus berücksichtigen. Der Pflug ist natürlich in manchen erosionsgefährdeten Regionen unerwünscht. Ein Mittelding ist die minimale Bodenbearbeitung, bei der nicht mehr komplett gewendet, sondern der Boden nur noch oberflächlich gelockert wird. Das ist ein Kompromiß, der im Moment auf jeden Fall besser zu sein scheint als das häufig auch Stoppelsaat genannte Verfahren, bei dem der Boden gar nicht mehr bearbeitet wird.

Wir betreiben ja seit 1990 in Bayern ein Versuchsgut mit über 150 Hektar Ackerfläche. [8] Dort sind wir schon seit 21 Jahren dabei, Ackerland zu pflügen, überhaupt keine Bodenarbeit und minimale Bodenarbeit zu betreiben und das alles im konventionellen und im Ökolandbau. Darum können wir über die Vor- und Nachteile inzwischen einige Bilanzen ziehen. Wir beobachten die Bodenerosion, da wir dort eine hügelige Landschaft haben. Wir kontrollieren die Wassereffizienz. Das ist wichtig, weil der Boden, je nachdem wie er bearbeitet wird, mehr oder weniger Wasser aufnehmen kann. Wir überwachen, ob der Boden ausreichend Reserven hat und so weiter.

Wir verfolgen auch die Entwicklung der klimarelevanten Spurengase. Bei verdichtetem Boden, der nicht mehr durch Maschinen gelockert wird, haben wir nämlich höhere Emissionen an Lachgas als beim konventionellen Pflug.

Da untersuchen wir und unsere Kollegen in Weihenstephan [9] bereits viele Effekte landwirtschaftlicher Techniken unter Freilandbedingungen, um nicht nur ein oder zwei Aspekte herauszugreifen, sie dann auf globale Verhältnisse zu übertragen und zu sagen, hier, seht mal her, das ist aber falsch.

Zwei zwei Millimeter lange, weiße Würmchen in Großaufnahme - Foto: 2005 by U.Burkhardt, freigegeben via Wikimedia Commons als CC-BY-SA-3.0 Unported Lizenz

Collembolen - Was umweltadäquater ist, Nitrifikationshemmer oder mehr Dünger, wurden die in den Bodenporen lebenden Springschwänze (hier Protophorura armata) nicht gefragt.
Foto: 2005 by U.Burkhardt, freigegeben via Wikimedia Commons als CC-BY-SA-3.0 Unported Lizenz

SB: Sie haben gerade das Lachgas, also Distickstoffoxid erwähnt, dessen Treibhauswirksamkeit bekanntlich 300mal so groß ist wie die von Kohlenstoffdioxid. Vor einiger Zeit haben wir eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der von einem Projekt oder Feldversuch die Rede war, die Lachgasentwicklung auf dem Feld durch Zusätze im Stickstoffdünger zu unterbinden. Wie muß man sich das vorstellen? Was passiert da eigentlich?

JCM: Ich kenne diese Studie nicht, aber ich stelle mir vor, daß die Dünger so formuliert sind, daß der Stickstoff sehr langsam fließt und nicht auf einmal zur Verfügung steht. Sobald Stickstoff im Boden ist, wird er mikrobiell umgesetzt. Es gibt auch je nach den äußeren Bedingungen eine gewisse Konkurrenz zwischen Mikroorganismen und Pflanzen um diesen Nährstoff. Man düngt aber in der Regel, bevor die Pflanzen wachsen, also solange man noch über den Acker fahren kann. Sobald die Wurzeln hochentwickelt sind und Nährstoff saugen, kann man nicht mehr zum Düngen drüber fahren. Also versucht man den Stickstoff so zu formulieren, daß er nur langsam aus den mineralischen Düngekörnern fließt. Der Stickstoff wird so nur allmählich freigesetzt. Aber null Lachgas gibt es nicht. Sobald Stickstoff in den Boden gelangt, wird Lachgas gebildet.

SB: Und ich hatte schon befürchtet, daß mit dem Begriff "Zusätze" Gifte oder andere antiseptische Mittel gemeint sind, mit denen Bodenbakterien an ihrer Arbeit gehindert werden.

JCM: Das sind nicht nur Bakterien, die den Stickstoff umwandeln. Seit man auch Pilze gefunden hat, die das können, spricht man von Bodenmikroorganismen.

Es gibt natürlich auch Hemmstoffe, sogenannte Nitrifikationshemmer, wie Dicyandiamid, die verhindern oder verzögern sollen, daß Ammonium aus der Gülle oder auch aus synthetischem Dünger enzymatisch zu Nitrat umgewandelt wird. Ammonium ist für den Boden eigentlich harmlos. Es wird von den Bodenbestandteilen, der Bodenmatrix absorbiert, so daß es nicht ausgewaschen werden kann. Mikroorganismen transformieren es, sobald sie seiner habhaft werden, zu Nitrat. Nitrat ist dagegen wasserlöslich, wird nicht absorbiert, sondern ausgewaschen und gelangt dann weiter in die umliegenden Gewässer. [10] Oder es wird in den Mikrokompartimenten im Boden, also in kleinen Lebensräumen, in denen nur wenig Sauerstoff ist und wasserlösliches Nitrat rein diffundieren kann, dann von Mikroorganismen unter anderem zu Lachgas umgewandelt. Nitrifikationshemmer können diesen Schritt nicht verhindern.

Dicyandiamid ist zwar nicht verboten, aber man hat Rückstände davon in Pflanzen gefunden. In Finnland wird es nach wie vor gemeinsam mit Gülle in großen Mengen auf Weiden eingesetzt. Aber hierzulande hat man inzwischen ganz andere Stoffe zu diesem Zweck. [11]

SB: Wie schädlich ist denn Dicyandiamid für die Umwelt? Allein schon der Begriff hört sich sehr giftig an. Das erinnert doch an Cyankali?

Foto: 2011 by Hajime Watanabe via PLoS Genetics, March 2011, freigegeben als CC-BY-2.5 Unported Lizenz

Daphnia magna - Der große Wasserfloh reagiert empfindlich, wenn Nitrifikationshemmer in seinen Lebensbereich eindringen.
Foto: 2011 by Hajime Watanabe via PLoS Genetics, March 2011, freigegeben als CC-BY-2.5 Unported Lizenz

JCM: Es kommt immer auf die Menge an. Für den Boden ist es angeblich nicht schädlich. Wenn der Stoff nicht mehr da ist, dann funktioniert der Boden wieder. Nun wird gerade in Weihenstephan ein Versuch beendet, in dem über dreißig Jahre solche Stoffe auf Parzellen gegeben wurden. Da könnte man jetzt nachschauen, was da alles im Boden zerstört worden ist. Ich habe auch schon Kollegen darüber informiert, 'Mensch, der Versuch wird wahrscheinlich beendet, geht doch mal hin zum Kollegen und fragt, ob ihr Boden bekommt.'[12]

SB: Für uns ist der Verlust an Boden eigentlich nicht spürbar. Unsere Kühlschränke sind voll, wir haben reichlich zu essen. Am massivsten geht der Boden in den Ländern verloren, die ohnehin arm sind, wie in der Sahel-Zone in Afrika. Sehen Sie da irgendwelche Möglichkeiten, durch ökologische Gegenregulationen, also die Förderung des Bodenlebens, wie Sie das vorhin geschildert haben, hier etwas für die Menschen zu tun? Oder steht man dort auf verlorenem Posten?

JCM: Sie nehmen Afrika als Beispiel. Afrika ist vom Rest der Welt immer schon ausgebeutet worden. Die sogenannte Entwicklungshilfe war nie eine. Sie hat zumeist dazu beigetragen, daß die Böden noch schneller kaputt gegangen sind. Die Maßnahmen, die man dort empfohlen hat, waren überhaupt nicht standortgemäß, angepaßt an die gegebenen Bedingungen. Man wollte vor allem Agrarmaschinen und andere Technologie nach Afrika verkaufen. Wenn man das alles rückgängig macht und standortbedingt lernt, die Böden dort zu verstehen und entsprechend zu nutzen, kann man sicher auch dort mehr Nahrung erzeugen. Etwas anderes sind die Kriege und Auseinandersetzungen in den afrikanischen Ländern, die beispielsweise die Nomaden an ihrer traditionellen Lebensweise hindern. Nomaden sind früher einfach dem Wasser hinterher gewandert und haben dort gegessen, wo etwas gewachsen ist, um dann weiter zu ziehen. Sie haben sich nur an der Natur und den Regenfällen orientiert. Aber die Landesgrenzen sind heutzutage dicht. Das geht nicht mehr.

SB: Vor einiger Zeit wurde in der Schule noch gelehrt: Tropische Böden sind absolut nährstoffarm. Jetzt gibt es auch in Afrika das Phänomen des Landgrabbings, in dem ausländische Investoren Land pachten, um dort bestimmte Nutzpflanzen anzubauen. Wie schaffen die das eigentlich, die subtropischen und tropischen Böden für ihre Zwecke zu nutzen?

JCM: Nährstoffarm trifft zu, weil in manchen afrikanischen Böden selbst wenig organische Substanz ist, sondern nur über dem Boden liegt, und viele lateritische oder sandige Böden sind natürlich nährstoffarm. [13] Dennoch kann man sagen, das Potential der Agrarböden in Afrika wird nur zu etwa 20 Prozent genutzt. Durch mehr Wissen, durch menschliche Aktivität läßt sich aus ihnen wesentlich mehr herausholen. Und das werden diejenigen, die das Landrabbing betreiben, auch machen. Sie werden die Erträge mit entsprechender Technologie drastisch erhöhen. Man muß sich nur einmal ansehen, welch ein enormes Maschinenpotential dort eingesetzt wird. Es werden natürlich auch die entsprechende Chemie und große Mengen an Dünger zum Einsatz kommen. Die Länder, die dort investieren, haben ja die nötige Kaufkraft, und dann werden sie dort auch sehr hohe Erträge erzielen, die dann allerdings exportiert werden ...

SB: ... so daß die Menschen vor Ort nichts davon haben. Wie könnte denn so ein Boden nach hundert Jahren Pacht aussehen?

Arbeiter beim Abbau von Lateritsteinen, Angadipuram, Indien - Foto: 1982 by Werner Schellmann, freigegeben via Wikimedia Commons als CC-BY-SA-2.5 Generic Lizenz

Unfruchtbar, aber nicht wertlos - an der Luft getrockneter Laterit gilt in manchen Gegenden der Erde als Bauziegel.
Foto: 1982 by Werner Schellmann, freigegeben via Wikimedia Commons als CC-BY-SA-2.5 Generic Lizenz

JCM: Das kommt darauf an, wie er bewirtschaftet wurde. Agrarböden sind nicht per se schlechte Böden. Landwirtschaftliche Bearbeitung kann den Boden durchaus verbessern, allein schon durch die Kalkung, mit der man die Bodenversauerung verhindert. Nur die Mißwirtschaft, die falsche Bewirtschaftung, die Übernutzung, einseitige Monokulturen - wir kennen ja schon diese Geschichten aus den USA - machen die Böden kaputt. Wenn es gut gemacht wird, also bei einer Bewirtschaftung mit ausreichend Fruchtfolgen, bei der immer für eine Rückkehr von organischer Substanz gesorgt wird, was genau genommen überhaupt das wichtigste dabei ist, werden sie auch in hundert Jahren immer noch nennenswerte oder sogar noch höhere Erträge erzielen als heute.

Wenn diese Investoren es allerdings darauf anlegen, nur im Hinblick auf die nächsten zehn Jahre das Maximum an Ertrag aus dem Boden herauszuholen, weil sie davon ausgehen, daß diese Art der Land- oder Pachtvergabe irgendwann zu Protesten in der Bevölkerung führen wird, so daß sie die Böden zurückgeben müssen, dann werden die Böden dort bereits nach zehn Jahren vollkommen kaputt sein. Und allein diese extrem schweren Maschinen, die dort hingekarrt wurden und werden, sprechen nicht gerade dafür, daß dort schonend und bodengerecht mit dem Land umgegangen werden soll.

SB: Vielen Dank, Herr Prof. Munch, für Ihre Zeit und das Gespräch.

Regenüberfluter Fußweg, auf dem Bodenerosion stattfindet - Foto: © 2013 by Schattenblick

Auch vor dem Rostocker Unigelände geht der Boden den Bach runter.
Foto: © 2013 by Schattenblick

Anmerkungen:

[1] Weitere Berichte und Interviews zur Jahrestagung der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft jeweils versehen mit dem kategorischen Titel "Lebensraum Boden" finden Sie unter
INFOPOOL → UMWELT → REPORT → BERICHT
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_bericht.shtml
und
INFOPOOL → UMWELT → REPORT → INTERVIEW
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_interview.shtml

[2] Prof. Dr. Jean Charles Munch (*1949) studierte Biologie, Chemie und Geologie an der Universität Straßburg und Agrarbiologie an der Universität Stuttgart-Hohenheim. Er promovierte 1980 an der Universität Hohenheim und habilitierte dort 1990 in Bodenwissenschaften (venia legendii). Wenig später habilitierte er an der TU Braunschweig im Fach Biologie. 1991 wurde er Leiter des Instituts für Bodenbiologie an der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL) in Braunschweig und Mitglied des Lehrkörpers an der TU Braunschweig. Seit 1996 ist er Ordinarius am Lehrstuhl für Bodenökologie an der TUM und Leiter des Instituts für Bodenökologie am Helmholtz Zentrum München.

[3] Der Obergermanisch-Rätische Limes (der ehemalige Grenzwall der Römer) soll in die Liste des "Weltkulturerbes" der UNESCO aufgenommen werden. Mit 550 km Länge stellt er eines der gewaltigsten Bauwerke der Antike in Mitteleuropa dar, das auch heute noch mit seinen sichtbaren und unsichtbaren Hinterlassenschaften Gegenstand der Forschung ist. Von Neuwied am Rhein über Taunus und den Wetteraubogen verläuft die römische Grenzlinie bis zum Mainknie bei Hanau/Steinheim. Mehr dazu siehe
http://www.archaeologie-online.de/magazin/thema/der-limes/

[4] Huminstoffe: dunkel gefärbte, hochmolekulare, amorphe, relativ stabile, organische Substanzen des Bodens, die bei der Humifizierung (der Zersetzung toter, organischer Materie durch Mikroorganismen) entstehen. Je dunkler ein Boden ist, um so mehr Huminstoffe enthält er. Ackerböden 1-2%, Schwarzboden 2-7%, Wiesen ca. 10% und moorige Böden 10-20%. Huminstoffe haben vielfache Funktionen in der Bodenchemie. Sie steuern und unterstützen die Nährstoffversorgung von Pflanzen, entgiften durch entsprechende Bindung toxische Metalle und sorgen "als Klebstoffe" wesentlich für die zusammenhängende, krumige Bodenstruktur.
http://www.geodz.com/deu/d/Huminstoffe

[5] Huminstoff-abbauende Mikroorganismen sind zum Beispiel Bakterien wie Actinomyceten, Streptomyceten, Pseudomonas und Pilze, wie Ständerpilze oder Penicillium Arten.

[6] Redundanz hier: das mehrfache Vorhandensein funktional gleicher oder vergleichbarer Ressourcen, siehe [5]: verschiedene Mikroorganismen bauen die gleichen Stoffe ab.

[7] Pathogene oder pathogene Keime sind Krankheitserreger, d.h. Bakterien oder Viren. Allerdings wirken Antibiotika nur gegen Bakterien.

[8] Das Helmholtz Zentrum München betreibt mit der Forschungsplattform Scheyern ein Versuchsgut, auf dem vor dem Hintergrund globaler Probleme und den daraus folgenden Erwartungen an die Landwirtschaft effiziente Pflanzenproduktion und nachhaltige Landnutzung erforscht wird. Siehe auch
http://www.helmholtz-muenchen.de/scheyern/

Geschichtliche Hintergründe:
http://www.helmholtz-muenchen.de/scheyern/geschichte/1990-bis-heute/index.html

[9] Die Technische Universität München hat in Weihenstephan ein Wissenschaftszentrum für Ernährung, Landnutzung und Umwelt.

[10] Die Verzögerung bei der Nitratbildung soll die Gefahr der Nitratauswaschung bei einer frühen Gülle- oder Mineraldüngerausbringung noch vor dem Einsetzen der N-Aufnahme durch die Pflanzen vermindern, da Ammonium auf Grund seiner Adsorption an der Bodenmatrix nur wenig verlagert wird. Durch Verhindern dieses Nitrifikations-Prozesses steht der Stickstoff der Pflanze im Wurzelbereich zur Aufnahme zur Verfügung, kann also effizient für deren Wachstum genutzt werden. In der Folge muß der Boden deutlich weniger gedüngt werden, als dies bei herkömmlichen Düngern der Fall ist. Der Landwirt spart dadurch Zeit und Geld.
Die Befürworter dieses Verfahrens sehen auch für die Umwelt positive Effekte. Weil kein Nachdüngen erforderlich ist, entfallen zusätzliche Überfahrten mit dem Traktor - die für das Pflanzenwachstum wichtige Bodenstruktur wird nicht zusätzlich beeinträchtigt. Die Emissionen des Treibhausgases Lachgas (N2O), das beim Prozeß der Nitrifikation automatisch freigesetzt wird und eine 300 Mal stärkere Wirkung als Kohlendioxid (CO2) aufweist, werden durch den Einsatz von ENTEC ® 26 [12] halbiert. Ebenso reduziert der Nitrifikationshemmer die Grundwasserbelastung erkennbar.
http://www.geodz.com/deu/d/Nitrifikationshemmer

[11] ENTEC ® 26 von EuroChem Agro enthält die BASF Chemikalie 3,4-Dimethylpyrazolphosphat (DMPP), weitere Nitrifizierungshemmer sind 4-Chlor-3-Methylpyrazolphosphat (CIMP).
http://de.eurochemagro.com/products/entec/entec-26/

[12] Laut seinem Sicherheitsdatenblatt gilt Dicyandiamid (DCD) als "nicht leicht biologisch abbaubar" und in der Umwelt "persistierend" (bleibend). DCD kann über die Nahrungsmittel aufgenommen werden und wurde in neuseeländischer Milch nachgewiesen:
http://german.china.org.cn/china/2013-01/28/content_27816161.htm

Es ist toxisch (LD50 Kaninchen 2 Gramm/kg durch Hautkontakt, LD 50 Ratte 5 Gramm/kg oral, 0,25 Milligramm/kg eingeatmet). Je nach Konzentration tötet es Bakterien, Wasserflöhe, Fische. Als Wassergefährdungsklasse 1 eingestuft, darf es nicht unverdünnt ins Grundwasser, Gewässer oder die Kanalisation geraten. Nicht schädlich für das Bodenleben?
DCD in hoher Dosierung toxisch für Menschen:
https://www.topagrar.com/forum/milchpolitik/3135-nz-dcd.html

[13] Laterit (von lat. later "Ziegelstein") ist ein in tropischen Gebieten häufig auftretendes Oberflächenprodukt, das durch intensive und lang anhaltende Verwitterung der zugrunde liegenden Gesteine entsteht. An der Luft getrockneter Laterit dient in manchen Gegenden der Erde als Bauziegel. Hier sind mit lateritischen Böden die Böden mit wenig organischer Substanz gemeint, die sich nicht gut als Ackerboden eignen.


22. September 2013