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INTERVIEW/081: Atommüll ohne Ende - Lockangebote, Hanna Poddig im Gespräch (SB)


Atommüll ohne Ende - Auf der Suche nach einem besseren Umgang

Eine Tagung von Umweltverbänden und Bürgerinitiativen unter der Federführung des Deutschen Naturschutzrings (DNR) am 28./29. März 2014 in Berlin

Interview mit Hanna Poddig



Die Frage, wer Hanna Poddig ist, kann sie am besten selbst beantworten. Vor gut zwei Jahren erklärte sie aus Anlaß der Vorstellung des Films "Taste the Waste" in Hamburg in einem Interview mit dem Schattenblick:

"Immer wenn ich irgendwelche blöden Formulare ausfüllen muß, merke ich, daß mein Leben nicht in Formulare paßt. So ähnlich verhält es sich mit diesen Begriffen. Wenn mich irgendwer fragt, was ich denn bin, dann stehe ich da und denke mir, tja, Vollzeitaktivistin? Klingt auch komisch, denn die Leute glauben dann, ich würde mich den ganzen Tag anketten, was ich aber nicht tue. Sage ich "Berufsrevolutionärin", dann lachen die Leute, bis ich ihnen erkläre, daß ein Richter einmal über Aktivisten behauptet hat, sie seien Berufsrevolutionäre. Nette Beschreibung, aber für mich inhaltlich nicht ganz richtig. Sage ich jedoch Berufsaktivistin, stellt man mir die Frage, wovon ich eigentlich lebe. Ich komme um das Dilemma nicht herum. Was ich damit inhaltlich sagen will, ist, daß ich keine Lohnarbeit habe. Ich bin nicht davon abhängig, irgendwo irgendwelche Blödarbeit zu verrichten, sondern kriege von dem, was ich gerne tue, quasi nebenbei genug Geld, um davon leben zu können. Ich lebe ohnehin weitestgehend ohne Geld. Für eine Veranstaltung bekomme ich ein Honorar, ich mache meinen Büchertisch und kann davon den Druck des nächsten Buches finanzieren. Wenn ich irgendwo als Referentin auftrete, kriege ich auch ein bißchen, und das reicht dann halt." [1]

Beim Interview - Foto: © 2014 by Schattenblick

Hanna Poddig
Foto: © 2014 by Schattenblick

Im Anschluß an eine Podiumsdiskussion am 28. März 2014 auf der Tagung "Atommüll ohne Ende" in Berlin, auf der zahlreiche Umweltverbände und Initiativen über das Angebot der Regierung beraten haben, sie dürften zwei Plätze in einer Kommission zur Suche nach Kriterien für ein atomares Endlager einnehmen, beantwortete Hanna Poddig dem Schattenblick einige Fragen.

Schattenblick (SB): In seinem Eröffnungsvortrag zur heutigen Podiumsdiskussion sagte Herr Vogtmann [2]: "Nur wenn man mitmacht, kann man Veränderungen erzielen." Was sagst du dazu?

Hanna Poddig (HP): Mich hat die Anmoderation ziemlich geärgert, weil ich das Gefühl hatte, daß sie sehr harmoniesüchtig darauf ausgerichtet war zu vermitteln, daß, wenn man keinen Konsens herstellt und sich die Verbände nicht an der Kommission beteiligen, das dann ein Mißerfolg wäre. Ich finde, es gibt genug gute Gründe und Erfahrungen, sich bewußt gegen so einen Mist zu entscheiden und den Entschluß dazu als einen positiven Schritt zu begründen. Bei der Anmoderation wurde jedoch der grundsätzliche Widerspruch gleich in eine Ecke von "Querulantentum aus Prinzip" gesteckt. Das finde ich falsch. Deswegen hat mich an der Stelle Jochens [3] Argumentation sehr gefreut, der etwas in der Art gesagt hat wie: "Wenn der Weg in die falsche Richtung geht, dann schlage ich ihn gar nicht erst ein. Dann stellt sich auch nicht die Frage, ob man ihn nicht in einem höheren Tempo zurücklegen sollte."

SB: Wie bewertest du die Bürgerbeteiligung an dieser Kommission? Glaubst du, das ist eine Chance, Einfluß auszuüben, und wie könnte der dann aussehen?

HP: Ich glaube nicht, daß diese Kommission einen Rahmen darstellt, in dem ernsthafte Beteiligung denkbar ist. Ich glaube aber auch nicht, daß das überhaupt gewollt ist. Es geht ja darum, an dieser einen Stelle eine Beteiligung zu suggerieren und damit Widerstand zu befrieden.

Ich bin ohnehin kein Fan von Parlamenten, die solche Entscheidungen treffen. Da ist grundsätzlich in der Art, wie diese Gesellschaft funktioniert, etwas falsch. Von daher ist es natürlich auch auf diesen konkreten Fall und dieses besonders wichtige Thema Atommüll bezogen falsch.

Nichtsdestotrotz, wenn ich mich schon auf die Frage einlasse, was in diesem miesen gesellschaftlichen Rahmen das beste wäre, dann gäbe es natürlich viel bessere Möglichkeiten, als zwei Sitze einzunehmen, die suggerieren: "Ihr könnt ja alle mitbestimmen." Das war eine Farce, wie heute betont wurde, wir könnten alle mitbestimmen. Wer ist denn dieses "Wir"? Möglicherweise könnten zwei wie auch immer definierte Leute, die grob diesem Kreis der heute Versammelten zuzuordnen sind, eventuell irgendwo mitbestimmen in einem Gremium, wo sie auch noch überstimmbar wären. Also, das ist ja irgendwie schon vollkommen von hinten durch die Brust ins Auge.

SB: Du hast eigene Erfahrungen mit Protestformen, die nicht unbedingt von allen Umweltorganisationen mitgetragen werden. Wie schätzt du das ein, würden beispielsweise Blockaden von Atomtransporten weitergemacht werden, sollten zwei Leute aus der Umweltbewegung an der Kommission teilnehmen und womöglich Entscheidungen zu Atomtransporten mittragen?

HP: Es gibt Dinge, die auf jeden Fall weiter blockiert gehören, weil sie in der Debatte bisher einfach nicht vorkommen. Beispielsweise die Urananreicherungsanlage in Gronau und die Brennelementefabrik in Lingen. Das sind zwei Atomanlagen, die auch den Weltmarkt versorgen und in diesem ganzen Ausstiegsgerede überhaupt nicht enthalten sind. Das heißt, die produzieren einfach weiter und liefern weiter Brennstoff an Atomkraftwerke. Natürlich ist es notwendig, da weiter für eine Stillegung zu kämpfen, auch mit aktivistischen Methoden im allerweitesten Sinne. Deshalb glaube ich auch, daß es das weiterhin geben wird.

Die Frage, wie weit es insgesamt zu einer Schwächung der Bewegung kommt, wenn man sich an der Kommission beteiligt, finde ich schwierig zu beantworten, weil es davon abhängen wird, inwieweit solche Vereinahmungsstrategien gelingen. Es ist ja ein bißchen vergleichbar mit der Situation des rot-grünen Atomausstiegs: Anschließend haben die Grünen gesagt: "Leute, geht nicht mehr ins Wendland auf die Straße und stellt euch dem nicht mehr in den Weg - wir haben doch alles gelöst!"

Das war eine vergleichbare Diskussion und Situation, und man hat gesehen, daß der Widerstand das nicht mit sich machen läßt. Die Leute sind auf der Straße, eigentlich sind sie das bis heute unvermindert. Na klar, man sieht weniger Fahnen der Grünen - aber das ist ja eigentlich auch ganz angenehm. (lacht) Ich finde es gut, wenn die Leute dabei sind, aber die Fahnen, die können sie zu Hause lassen.

Der Widerstand wird sich nicht so sehr über den Tisch ziehen lassen, da habe ich keine Bedenken. Nichtsdestotrotz macht es einen Unterschied für die Bevölkerung, ob eine widerständige Haltung als etwas Skurriles oder Merkwürdiges angesehen wird, weil es ja diesen ach so gemeinsamen Konsens gibt, oder ob total klar gemacht werden kann: Wir werden belogen und haben auch klar benannt, daß wir belogen werden und wir deswegen nicht bei der Kommission mitarbeiten. Dann hat Widerstand natürlich eine ganz andere gesellschaftliche Basis. Diese zwei Stühle in der Kommission sind ein hochsymbolischer Akt, der von allen Seiten aufgeladen ist, egal was die betreffenden Leute dann machen werden oder was nicht.

SB: Du beteiligst dich auch an Protesten in anderen gesellschaftlichen Konfliktfeldern, beispielsweise gegen Militärtransporte. Siehst du die übergreifende gesellschaftliche Frage, die du offensichtlich verfolgst, auf dieser Tagung angemessen berücksichtigt?

HP: Ich fand es sehr angenehm, daß vorhin noch einmal aus dem Publikum auf die Machtfrage aufmerksam gemacht wurde. Das fand ich sehr schön, und auch die Frage nach der Repression: Wen verfolgt der Staat eigentlich? Denn es ist ja der gleiche Staat, dessen Sekretärinnen [4] da vorne auf dem Podium sitzen, die an anderer Stelle Leute vor das Gericht zerren.

Ich werde in wenigen Wochen wegen einer Ankettaktion vor Gericht stehen, weil wir vor zwei Jahren einen Atomtransport aufgehalten haben. Der Zug kam aus der Urananreicherungsanlage in Gronau und war mit Atommüll beladen. Von daher trifft die Frage aus dem Publikum nach der Macht ganz genau meine Realität. Vor wenigen Tagen landete in meinem Briefkasten ein Brief, in dem fünf Verhandlungstermine genannt sind. Die geforderte Strafe sind 120 Tagessätze für die Blockade eines Transports mit Uranhexafluorid, also einem hochgefährlichen Abfallstoff aus der Produktion von angereichertem Uran. Das ist also ganz genau der gleiche Staat, der hier auf dem Podium vertreten ist und der mich verklagt. Natürlich ist es eine Frage von Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit, worum es eigentlich gehen soll, wenn man vom Atomausstieg spricht.

SB: Manche Umweltorganisationen machen auf Sicherheitslücken im Zusammenhang mit Atomenergie aufmerksam, indem sie beispielsweise auf ein Akw klettern und dort Fahnen aufhängen. Wie schätzt du das ein, stärken sie damit den Atomstaat, weil dieser dann sagt: "Oh, wir müssen noch sicherer werden!"?

HP: Ich glaube, es sind weniger die Kletteraktionen an Reaktorgebäuden oder vor Atomtransporten, die dieses unangenehme Verstärken des Sicherheitsapparats, der inneren Aufrüstung, etc. auslösen als vielmehr die Verbände, die darauf immer wieder diskursiv eingehen. Die dann bessere Vernebelungsanlagen, eine strengere Überwachung, etc. fordern. Ich glaube, die Kuppel von einem Akw zu besteigen und zu beweisen, daß es geht, ist nicht falsch. Aber im Grunde muß es weiter darum gehen, daß das, was dort produziert wird, unvertretbar ist. (Lachend an einen Mitstreiter gewandt:) Hast du noch was hinzuzufügen?

Mitstreiter (*) (lacht ebenfalls): Zu vernebeln hilft nichts, als ersten Schritt müssen die Atomkraftwerke abgeschaltet werden, und zwar sofort.

HP: Ja, genau. Das ist auch eine Perspektive, die heute gefehlt hat: Die klare Ansage, daß es eigentlich eine sofortige Stillegung aller Anlagen braucht. Und daß es eine Grundlage gibt, darüber zu reden. Jochen hatte vorhin in der Debatte einmal angeschnitten, daß es gute Gründe für die Forderung nach einer sofortigen Abschaltung gibt. Dann hat er diesen Punkt aber wieder etwas in den Hintergrund gerückt, indem er sagte: "Naja, wir können darüber zunächst einmal hinwegsehen. Obwohl unsere Forderung eigentlich immer noch gilt, haben wir uns trotzdem einmal reingedacht." Das war ja schon ein riesiges Entgegenkommen. Allerdings hatte ich nicht den Eindruck, daß das so gesehen wurde. Weil auf Seiten der Realpolitik überhaupt nicht denkbar ist, tatsächlich erst auszusteigen und dann darüber zu reden. Dabei wäre so ein Schritt naheliegend und nötig.

Mitstreiter: Und das weltweit. Weil der ganze Kram ansonsten auch hier durchkommt. Ob über Gronau, Lingen oder durch den Kanal über Hamburg oder im Transit über Rostock nach Schweden - es bleibt uns erhalten.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.

(*) Name der Redaktion bekannt.

Demonstrantin legt Blumenstrauß in Natodraht, dahinter uniformierte Polizisten - Foto: Nationaal Archief, Suyk Koen / Anefo, freigegeben als CC-BY-SA-3.0-NL via Wikimedia Commons

Die Sache mit dem Vertrauen in die Atomenergie und ihre Lobbyisten in Politik und Wirtschaft hat schon früher nicht so richtig geklappt ... massive Sicherheitsmaßnahmen gegen Demonstration gegen den Bau des Schnellen Brüters Kalkar, 24. September 1977
Foto: Nationaal Archief, Suyk Koen / Anefo, freigegeben als CC-BY-SA-3.0-NL via Wikimedia Commons


Fußnoten:

[1] http://schattenblick.com/infopool/politik/report/prin0079.html

[2] Prof. Dr. Hartmut Vogtmann, Präsident des Deutschen
Naturschutzrings (DNR)

[3] Jochen Stay, Sprecher des bundesweiten Anti-Atombündnisses .ausgestrahlt.

[4] Auf dem Podium saßen: Thomas Breuer (Greenpeace), Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD, Staatssekretärin im Bundesumweltministerium), Jörg Sommer (Vorstandsvorsitzender der Deutschen Umweltstiftung), Jochen Stay (.ausgestrahlt), Dr. Simone Peter (Vorsitzende BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Martin Donat (Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg)


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UMWELT → REPORT → INTERVIEW:

INTERVIEW/080: Atommüll ohne Ende - Stimme der Straße, Uwe Hiksch im Gespräch (SB)
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3. April 2014