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INTERVIEW/104: Wohnstube Meer - Messies, Müll und Therapien ... Kai Kaschinski im Gespräch (SB)


"Ein anderes Meer ist möglich!"

Zur Konferenz "über die Grenzen des Blauen Wachstums und die Zukunft der Meere" eines breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses vom 15. - 17. Mai 2014 im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen

Kai Kaschinski über den Zusammenschluß von NGOs, die sich mit Meerespolitik befassen, um die drohenden Folgen des von der Europäischen Union ausgerufenen "Blauen Wachstums" abzuwenden



Das Meer, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2200. Dies sind die Abenteuer des Tauchboots Enterprise, das mit seiner vier Mann starken Besatzung viele Tage lang unterwegs ist, um irgendein Leben zu entdecken. In den lichtlosen Tiefen, weit von der Oberfläche der Erde entfernt, dringt die Enterprise in Regionen vor, die wegen der Sedimentwolken groß wie Galaxien nie ein Mensch gesehen hat ...

Um zu verhindern, daß diese Dystopie auch nur annäherungsweise eintritt, hat sich ein Bündnis aus 20 Nichtregierungsorganisationen zusammengeschlossen und ein gemeinsames Papier zur zukünftigen Meerespolitik verabschiedet. [1] Ein anderes Meer soll es sein als das hier beschriebene, in dem die Fische abgefangen oder durch sauerstoffarme Zonen verdrängt wurden und dem Leben durch die zu Beginn des Meeresbodenbergbaus vereinzelten, dann aber vermutlich mehr und mehr auswachsenden und schließlich planetaren Sedimentwolken der Rest gegeben wurde.

Bei der Eröffnungsrede - Foto: © 2014 by Schattenblick

"Die Ozeane sind zu einem durch und durch politischen Raum geworden." (Kai Kaschinski, 15. Mai 2014, Bremen)
Foto: © 2014 by Schattenblick

Eine dreitägige Konferenz, zu der Fair Oceans, Brot für die Welt und das Forum Umwelt und Entwicklung vom 15. bis 17. Mai nach Bremen eingeladen hatten und die unter dem Motto "Ein anderes Meer ist möglich!" stand, war dem intensiven Bemühen um eine Gegenposition zu einer Politik gewidmet, wie sie die Europäische Union in ihrem programmatischen Entwurf des "Blue growth", des Blauen Wachstums, propagiert.

In seiner Eröffnungsrede zur Konferenz brachte Kai Kaschinski von der Organisation Fair Oceans in Erinnerung, wie weitreichend die Meere bereits genutzt werden: "Der weltweit wachsende Nahrungs-, Energie- und Rohstoffbedarf hat die Offshore-Aktivitäten drastisch ansteigen lassen. Mehr als ein Drittel des Erdöls wird im Meer gefördert, über 40 Prozent der vermarkteten Fische und Meeresfrüchte stammen aus Aquakultur, und mehr und mehr Fördergebiete werden beansprucht, um in nächster Zukunft auch den Unterwasser-Bergbau großflächig betreiben zu können."

Die Europäische Union will diese Entwicklung offensichtlich weitertreiben. In einer Zeit globaler Krisen, in der das Finanzsystem seine immanente Destruktivität offenbart, fossile Energieträger und andere Rohstoffe knapper werden, sich die Erdatmosphäre aufheizt und die Meere innerhalb weniger Jahre von gewaltigen Katastrophen heimgesucht wurden (Ölkatastrophe in der Karibik nach der Havarie der Ölplattform Deepwater Horizon am 20. April 2010, radioaktive Dauerverstrahlung des Pazifischen Ozeans seit dem Mehrfach-GAU im japanischen Akw Fukushima Daiichi im März 2011) und abgesehen davon, daß der Mensch seine Wohnstube Meer durch Erdöl, Plastikpartikel, Nitrate und vieles mehr zumüllt, singt die EU unbeirrbar das Lied vom Blauen Wachstum.

Das Meer wird "zur letzten Kolonie", sagt Kai Kaschinski und kritisiert, daß von der EU Fakten geschaffen werden, ohne daß die Gelegenheit bestand, eine Antwort auf die Frage zu geben: "Welches andere Meer wollen wir?" In der Abschlußerklärung des Bündnisses wird versucht, den Kurs der Meerespolitik umzulenken und Antworten für eine maritime Gesamtstrategie zu geben. Im Anschluß an die Konferenz stellte sich Kai Kaschinski dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.

Haufenweise Müll am Strand - Foto: NOAA

"Welches Verhältnis zum Meer soll unsere Zeit am Ende kennzeichnen?"
Strand von Kanapou Bay der Hawaii-Insel Kaho'olawe, 10. September 2006
Foto: NOAA

Schattenblick (SB): Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis der Konferenz?

Kai Kaschinski (KK): Ja, ich bin mit dem Ergebnis der Konferenz sehr zufrieden, denn es wurden sehr angeregte und interessante Diskussionen geführt. Besonders zufrieden bin ich darüber, daß wir bei dieser Veranstaltung ein breites Bündnis zustandegebracht und sich alle mit ihren Themen eingebracht haben. Dadurch konnten wir über eine ganze Palette an meerespolitischen Fragen debattieren, was mich persönlich, und ich spreche da sicherlich auch für meine Kolleginnen und Kollegen von Fair Oceans, wirklich begeistert hat. Gewünscht hätte ich mir, daß noch mehr Gäste gekommen wären. Ich glaube allerdings auch, daß wir unser Ziel, in den Medien mit unseren Forderungen gegen das "blaue Wachstum" der Europäischen Union und unserer Suche nach alternativen Wegen in der Meerespolitik präsent zu sein, erreicht haben.

SB: Vermag das Ergebnis die verschiedenen Interessen der an dem breiten Bündnis beteiligten NGOs in Richtung Meerespolitik zu bündeln?

KK: Ich glaube, das war ein erster Schritt dahin. An der Abschlußerklärung fand ich bemerkenswert, daß alle bereit waren, mitzugehen und die Forderungen von allen zu integrieren und die Erklärung damit als gemeinsamen Katalog zu begreifen. Für eine intensive Zusammenarbeit war es, wie gesagt, nur ein erster Schritt. Da muß noch einiges gemacht werden.

SB: Um manche Formulierungen in dem gemeinsamen Papier wurde heiß debattiert.

KK: Ja, das ist klar, solche Punkte gibt es immer. Ich kann mir aber gut vorstellen, daß jetzt alle verstehen, daß die Kampagne der itf [2] gegen Billigflaggen und andere Fragen, die von den Seeleuten aus der Schiffahrt, von ver.di und auch der Seemannsmission aufgegriffen werden, eine zentrale Bedeutung haben - genauso, wie es mittlerweile allen klar ist, daß die Ausweisung von Meeresschutzgebieten wichtig ist. Und es wird auch auf die Frage der Ernährungssicherheit, für die wir aus der Entwicklungspolitik stehen, geachtet. Da hat sich in den letzten Jahren schon einiges bewegt. Aber bislang fand die Zusammenarbeit nur mit einzelnen Organisationen statt. Nun in einen Prozeß reinzukommen, in dem wir Kampagnen gemeinsam gestalten und wirklich intensiv zusammenarbeiten, daran müssen wir noch arbeiten.

SB: Sehen Sie da Fair Oceans als Schnittstelle, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, das zu bündeln?

KK: Ja, als Aufgabe, so würde ich das nennen. So weit wir das eben können. Mit dieser Veranstaltung haben wir einen Versuch in diese Richtung unternommen und sind deshalb froh darüber, daß das so gut geklappt hat. Letztendlich müssen alle selber die Entscheidung treffen, ob sie daran mitarbeiten. Die Konferenz ist dazu eine Initiative gewesen, ein Ansatz, und es ist klasse, daß sich erst einmal alle darauf eingelassen haben. Daran werden wir sicher noch weiter arbeiten.

SB: Die Abschlußerklärung soll der EU-Kommissarin für Fischerei übergeben werden.

KK: Ja, am Montag.

SB: Was erwarten Sie davon? Soll Frau Damanaki die Forderungen als Beitrag der Zivilgesellschaft in die eigene Fischereipolitik einfließen lassen?

KK: Nein, das würde ich jetzt nicht annehmen. Wir haben diese Konferenz absichtlich im Vorfeld des Europäischen Tags des Meeres in Bremen initiiert, weil wir denken, daß das eine Gelegenheit ist, um unsere zivilgesellschaftlichen Positionen besser in die Öffentlichkeit bringen zu können. Und viel mehr erwarte ich auch nicht von der Übergabe des Positionspapiers an Frau Damanaki, außer zu verdeutlichen: Wir sind da, wir sprechen hier mit einer Stimme. Denn man muß bedenken, daß die Organisationen, die zu der Konferenz eingeladen hatten, und die Breite der Debatte, die dann von denen geführt wurde, die das Papier verabschiedet haben, ja auch für etwas stehen. Es gibt eine Menge Menschen, die sich mit der Politik dieser NGOs identifizieren, und in dem Sinne ist das Papier Ausdruck davon, daß es in der Öffentlichkeit viele Menschen gibt, die die Meere nicht als Ort des blauen Wachstums ansehen, sondern andere Prioritäten setzen.

Das zu verdeutlichen und damit auch ein Stück weit Politik zu machen, also Gegenmacht zu erzeugen, das ist uns wichtig. Wenn Frau Damanaki dann darauf eingeht, kann das nur ein Ergebnis ihrer Einschätzung sein, daß es wichtig ist, uns als Part in diesem politischen Prozeß zu sehen. So würde ich es eher definieren.

Wenn wir stark genug sind, dann erhalten wir auch eine Resonanz, daran müssen wir arbeiten. So, wie wir das zur Fischereipolitik gemacht haben. Da haben wir NGOs ja auch zusammengearbeitet, und das hat dafür gesorgt, daß sich die letzte Fischereireform in eine wesentlich bessere Richtung bewegt hat als die davor. Das war nicht ideal, klar, wir haben daran noch immer eine Menge Kritikpunkte, aber wir haben es geschafft, gemeinsam Druck in eine Richtung zu erzeugen. Und das müssen wir hier auch machen. Ein Thema dabei wird wahrscheinlich die Tiefsee sein, von der wir sagen: "Halt! Blue growth? So einfach geht das nicht mit uns!"

SB: Für die einzelnen NGOs besteht ja keine Verpflichtung, sich an das zu halten, was jetzt verabschiedet wurde. Wie schätzen Sie das ein, werden die NGOs die Forderungen zur Meerespolitik in ihrer weiteren Arbeit berücksichtigen?

KK: Ja, davon gehe ich aus, und dafür werden wir uns auch einsetzen. Wir haben heute die Erklärung des Forums Umwelt und Entwicklung als Grundlage des Positionspapiers genommen, und zwar den Teil daran, der von der AG Meere in die Diskussion über die Ziele der nachhaltigen Entwicklung, der SDGs [3], eingebracht worden ist. Darum habe ich ja auch am Schluß des Plenums nochmal alle herzlich dazu eingeladen, sich weiter an den Diskussionen zu beteiligen.

Wir haben jetzt das aus den AGs heraus im letzten Jahr entwickelte Hintergrundpapier [4] um die Forderungen zur Flucht über See und Forderungen aus dem Schiffahrts- sowie dem Klimabereich ergänzt und dieses Hintergrundpapier werden wir in die nächste Sitzung unserer AG einbringen. Dann werden wir dort diskutieren, ob die Organisationen, die sich da zusammenfinden, das gemeinsam tragen, ob wir das ergänzen und ob wir es dann sowohl weiter in die internationale Debatte über die SDGs einbringen, als auch hier in Deutschland als gemeinsame Grundlage nehmen, auf der wir aufbauen können. Das ist auf jeden Fall in unserem Interesse, und ich denke, daß die anderen allein schon aufgrund ihrer Erfahrungen aus dem letzten Jahr da sicherlich mitgehen werden.

SB: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Meeresschildkröte von einem blauen Fischernetz umhüllt - Foto: NOAA PIFSC

Gefangen im Netz des "Blauen Wachstums"
Foto: NOAA PIFSC


Fußnoten:

[1] Die Namen der 20 NGOs und auch die Abschlußerklärung können im Einführungsbeitrag zur Konferenz nachgelesen werden:
UMWELT → REPORT → BERICHT
BERICHT/073: Wohnstube Meer - verletzt man nicht ... (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0073.html

[2] itf - International Transport Workers' Federation (Branchenumfassende und -übergreifende Gewerkschaft des gesamten Verkehrs- und Transportbereichs einschließlich der Seefahrt)

[3] SDG - Sustainable Development Goals (Nachhaltige Entwicklungsziele)

[4] http://www.forumue.de/fileadmin/_temp_/Forum_Umwelt_und_Entwicklung_Post-2015-Ziele_Hintergrundpapier.pdf

22. Mai 2014