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INTERVIEW/110: Wohnstube Meer - fragen, bitten und nicht nehmen ... Rosa Koian aus Papua-Neuguinea im Gespräch (SB)


"Ein anderes Meer ist möglich!"

Zur Konferenz "über die Grenzen des Blauen Wachstums und die Zukunft der Meere" eines breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses vom 15. - 17. Mai 2014 im Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen

Rosa Koian über den Kampf gegen die Extraktionsindustrie, die Rückbesinnung der Papua auf frühere Lebensweisen und ihre spirituelle Verbindung zum Meer



Die Regierung Papua-Neuguineas und der Bergbaukonzern Nautilus Minerals haben ihren Rechtsstreit über die Höhe des staatlichen Anteils an einem gemeinsamen Projekt zum Abbau von Rohstoffen am Meeresboden der Bismarcksee beigelegt. Am 9. Mai hat der Staat 113 Mio. Dollar auf ein Treuhandkonto überwiesen und mit diesem Schritt den Weg dafür geebnet, einen Anteil von 30 Prozent der Investitionskosten für das Solwara-1 genannte Bergbauprojekt zu übernehmen.

Im kommenden Jahr könnte es beginnen. Dann werden sich voraussichtlich drei mehr als omnibusgroße Maschinen ferngelenkt in rund 1600 Meter Tiefe über den Meeresboden bewegen und Erz abbauen. Das zerkleinerte Gestein soll über ein spezielles Schlauchsystem zu einem Schiff an der Meeresoberfläche gefördert und von dort zur weiteren Verarbeitung nach China gebracht werden. Das Gestein ist vulkanischen Ursprungs und verhältnismäßig reich an Kupfer, Gold und anderen verwertbaren Rohstoffen.

Schon vor Jahren, als der Meeresbodenbergbau vorgeschlagen wurde, haben sich Einwohner Papua-Neuguineas zusammengeschlossen und gegen das Vorhaben protestiert. Sie wollen nicht, daß ihr Land zu einem Experimentierfeld des Bergbaus von Rohstoffen in der Tiefsee wird. Initiativen und Netzwerke wie PNG Group Against Seabed Experimental Mining (PNGGASEM), Pacific Network on Globalisation (PANG) und Bismarck Ramu Group (BGR), um nur einige zu nennen, erinnern daran, daß bereits der Bergbau an Land schwerste Umweltschäden hinterlassen hat und die Einwohner nun auch noch Gefahr laufen, ihre Lebensgrundlage im Meer zu verlieren. Welche Folgen für die Meeresumwelt die Bergbaumaßnahmen in der Tiefsee haben, ist völlig unerforscht.

Im Vorfeld des Europäischen Tags des Meeres am 19./20. Mai 2014 in Bremen fand ebenfalls in der Hansestadt eine von Fair Oceans und Brot für die Welt organisierte und von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis unterstützte Konferenz unter dem Titel "Ein anderes Meer ist möglich!" statt, auf der auch der Meeresbodenbergbau kritisch beleuchtet wurde. Am zweiten Tag der Konferenz berichtete die Koordinatorin der Bismarck Ramu Group und studierte Juristin Rosa Koian aus Papua-Neuguinea über den Meeresbodenbergbau vor der Küste ihres Landes. Dabei betonte sie ihre grundsätzliche Ablehnung des Konzepts der "Entwicklung", da unter diesem Vorwand bereits die Extraktionsindustrie schwerste Umweltschäden an Land angerichtet hat und zudem für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist. Auch hinsichtlich der sogenannten Entwicklungshilfe äußerte sie sich skeptisch, weil auch diese in Richtung einer Entwicklung führt, die sie ablehnt.

Im Anschluß an ihren Vortrag im Rahmen der 4. Session "Wettlauf um den Pazifik und die Schätze der Tiefsee" am 16. Mai stellte sich Frau Koian dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.

Beim Interview - Foto: © 2014 by Schattenblick

Kämpft gegen den Bergbau am Meeresboden vor Papua-Neuguina: Rosa Koian von der Bismarck Ramu Group
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sie sind Koordinatorin der Bismarck Ramu Group. Könnten sie diese Initiative einmal vorstellen?

Rosa Koian (RK): Wir von der Bismarck Ramu Group beraten die Leute vor allem zur Extraktionsindustrie und ihrem Rohstoffabbau. Dazu gehören Bergbau, Waldrodung, industrieller Fischfang und auch Land Grabbing. Das ist im wesentlichen das, was wir machen.

SB: Sie berichteten vorhin, daß rund 80 Prozent der Bevölkerung Papua-Neuguineas Subsistenzwirtschaft betreiben.

RK: Ja.

SB: Eine vielleicht naive Frage, aber da sich die Menschen weitgehend selbst versorgen: Wozu brauchen sie dann noch eine Regierung?

RK: (lacht) Ja, das ist immer die Frage, wenn die Leute tatsächlich von dem Land leben. Warum wir eine Regierung brauchen? Wir leben in einer globalisierten Welt, deswegen brauchen wir eine Regierung. Es gibt noch andere Dinge wie, daß die Leute einen Schutz benötigen, und den zu gewährleisten ist etwas, das die Regierung für uns tun kann.

SB: Meinen Sie damit Schutz gegen die Interessen von außerhalb, also von anderen Staaten oder Unternehmen, die Bergbau betreiben wollen?

RK: Ja.

SB: Würden Sie sagen, daß sich die Einstellung der Regierung Papua-Neuguineas gegenüber dem Unternehmen Nautilus Minerals mit der Zeit gewandelt hat?

RK: Ja, das ist nicht mehr die hundertprozentig feste Verbindung wie einst. Die Regierung überdenkt das gemeinsame Abkommen. Als sie erstmals bekanntgab, daß in Papua-Neuguinea Meeresbodenbergbau betrieben werden soll, haben wir Kampagnen dagegen initiiert. Schließlich hat es die Regierung abgelehnt, einen höheren Anteil an dem Projekt zu übernehmen. Daraufhin hat das Unternehmen die Regierung nach Sydney zu Verhandlungen einbestellt und gesagt, sie hätte zugestimmt, einen Anteil von 30 Prozent zu übernehmen. Und die Regierung hat erwidert: Nein, das werden wir nicht machen.

Da hat das Unternehmen die Verhandlungen abgebrochen, ist aber zwei Monate später zurückgekommen und hat erneut gefordert, die Regierung müsse die 30 Prozent übernehmen. Die ist dem nicht sofort gefolgt, sondern hat sich erst einmal beraten. Jeden Tag gibt es hierzu neue Informationen.

SB: Würden Sie sagen, daß die ablehnende Haltung der Regierung auf das Engagement der Zivilgesellschaft zurückgeht?

RK: Ja, das glauben wir. Das ist wirklich eine neue Erfahrung im pazifischen Raum, daß Papua-Neuguinea das Unternehmen einlädt, seine Tests durchzuführen, und erklärt, wir verfügen über keine eigenen Informationen, weder wissenschaftlich noch rechtlich, geschweige denn darüber, was dabei für den Staat herausspringt. All solche Informationen fehlen. Ja, wir räumen der Regierung zur Zeit Kredit für ihre Haltung ein.

SB: Sie sagten vorhin, daß die Entwicklung das Problem ist?

RK: Ja. Wenn dieses Modell von Entwicklung auf Papua-Neuguinea angewandt wird, dann kommt es jedenfalls uns nicht zugute. Die Menschen gehen wieder einen Schritt zurück und wenden sich ihren traditionellen Gebräuchen zu.

Es gibt etwas, das uns zugute kommt: Man baut die Nahrung im eigenen Garten an und lebt davon. Man fährt selbst aufs Meer, um Fisch zu fangen, und lebt davon. Riesige Löcher in die Landschaft zu graben und Dinge wegzunehmen, den Menschen ihre ganzen Lebenserhaltungssysteme wegzunehmen, kommt ihnen hingegen nicht zugute. Wenn das Versprechen des Geldes nicht hält, wenn die Gesundheit nicht gut ist, wenn die Bildung nicht gut ist, dann funktioniert Entwicklung nicht.

SB: Es gibt in Deutschland und anderen westlichen Staaten Überlegungen, daß Menschen, die weniger als einen Dollar pro Tag zur Verfügung haben, womöglich nicht arm sind, da sie gar nicht am Geldverkehr teilnehmen, aber dennoch zufrieden sind und das essen, was in ihrer Umgebung wächst. Wie sehen Sie das?

RK: Ganz genau. Aus hiesiger, deutscher Sicht kann ich das bestätigen: Es ist kalt, man braucht eine Menge Kleidung, man muß heizen und braucht dafür ein hübsches, warmes Haus. Papua-Neuguinea liegt jedoch in den Tropen, da ist es ständig warm und man schläft draußen. Das ist völlig normal, das ist die Art zu leben.

Wenn wir von einem Dollar pro Tag leben, versuchen wir damit klarzukommen. Wir können uns davon weder die Medizin noch den Schulbesuch der Kinder leisten. Von solchen Dingen wird dann häufig gesprochen, aber im allgemeinen sind die Leute zufrieden. Das ist das größte überhaupt: Die Leute sind glücklich mit dem, was sie besitzen.

SB: Würden Sie sagen, daß viele Einwohner Papua-Neuguineas so denken wie Sie?

RK: Ja, es gibt bereits eine Bewegung. Was wir tun müssen, ist, ihr einen Namen zu geben; wir müssen die Sprache dafür entwickeln. Die Menschen müssen dauerhaft darauf zurückkommen, weil ihnen der Bergbau nicht hilft. Bergbau schürt nur Konflikte. Darum haben wir zu kämpfen: "Ihr bekommt viel Geld vom Bergbau? Ich nicht! Also müssen wir kämpfen. Das tut uns der Bergbau an!"

Jemand arbeitet in seinem kleinen Garten, ich komme dazu, wir sind glücklich. Das ist es, was wir den Leuten berichten: Macht das weiter, was ihr macht. Schauen Sie unseren traditionellen Weg der Hilfe an. Wie nehmen wir uns selbst wahr, wenn wir krank sind? Wie haben wir unsere Kinder erzogen? Betrachtet man diese Dinge, so kann man sagen, daß wir uns über eine lange Zeit der Geschichte geholfen haben. Ja, daran arbeiten wir zur Zeit.

SB: Viele Menschen in Deutschland lieben die Natur. Natur ist für sie alles das, was außerhalb der künstlichen Einrichtungen ist. In Ihrem Vortrag sprachen Sie ebenfalls von der Natur und der Verbindung zu ihr. Könnten Sie vielleicht unserer Leserschaft erklären, was Sie damit meinen?

RK: Hm ... okay, kommen Sie einmal hier herüber. (Frau Koian geht zu einem Fenster und zeigt hinaus.) Schauen Sie sich den Baum dort an. Für die Deutschen ist es ein Baum. Für mich sind da eine Menge Dinge in dem Baum. Ich kann an den Wurzeln eines Baumes stehen und mit ihm sprechen. Das verschafft mir eine spirituelle Heilung.

Das gleiche gilt für das Meer. Wenn ich krank bin, kann ich ins Meer gehen, und das Meer heilt mich. Das ist das Verhältnis zur Natur, über das ich gesprochen habe.

In diesem Teil der Welt ist es sehr schwierig, das zu sehen. Sie sind von der Geschichte her schon sehr weit davon entfernt. Doch da, wo ich herkomme, lebe ich nach wie vor in der Nähe vieler Bäume, ich höre vielen Vögeln zu, betrachte den Aufgang und den Untergang der Sonne. Das ist mein Verhältnis dazu.

Für manche Leute ergibt das keinen Sinn. Für mich bedeutet das meine natürliche oder spirituelle Verbindung zur Natur. Wenn ich also zu dem Baum spreche, würde ein Deutscher mich ansehen und sagen: "Sie ist verrückt, sie spricht zu einem Baum!"

SB: Nun, nicht alle Menschen hierzulande würden so reagieren.

RK: Das ist eine Lebensweise, die viele Insulaner, nicht nur Papua, sondern auch Fidschianer, Samoaner und Tongaer betreiben. Das ist das Leben, wie sie es kennen. Sie können ins Meer gehen und ihre Geister rufen.

SB: Herzlichen Dank, Frau Koian, für das Gespräch.

Auf der anderen Straßenseite ein Baum, davor parkende Autos, dahinter Häuser - Foto: © 2014 by Schattenblick

"Schauen Sie sich den Baum dort an. Für die Deutschen ist es ein Baum. Für mich sind da eine Menge Dinge in dem Baum. Ich kann an den Wurzeln eines Baumes stehen und mit ihm sprechen. Das verschafft mir eine spirituelle Heilung." (Rosa Koian, 16.5.2014, Blick aus dem ersten Stock des Konsul-Hackfeld-Hauses in Bremen)
Foto: © 2014 by Schattenblick


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3. Juni 2014