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INTERVIEW/117: Kohle, Gifte, Emissionen - Protest ohne Gegenliebe, Birgit und Andreas Cichy im Gespräch (SB)


Vom Leben in Dörfern am Rande des Abgrunds

Interview in Bergheim-Rheidt am 24. Mai 2014



Birgit und Andreas Cichy leben in Wanlo, dem südlichsten Stadtteil Mönchengladbachs. Wird der Tagebau Garzweiler wie geplant erweitert, dann wird ihre dörfliche Gemeinde in absehbarer Zeit am Rand des Braunkohleabbaugebiets liegen. Um ein Zeichen gegen diese Entwicklung zu setzen, die mit den bekannten Einbußen an Lebensqualität und Gesundheitsgefahren durch den Braunkohletagebau einhergeht, haben sie die Aktion Das gelbe Band initiiert. Neben dem Protest gegen die Fortführung der Braunkohleförderung und -verstromung soll das gelbe Band den Verbund der Grubenranddörfer im rheinischen Braunkohlerevier [1] stärken. Am Rande des Netzwerktreffens diverser Initiativen und Organisationen aus dem Braunkohlewiderstand beantworteten Birgit und Andreas Cichy dem Schattenblick einige Fragen.

Im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Andreas und Birgit Cichy
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Sie nehmen heute am Netzwerktreffen des Braunkohlewiderstands teil. Was hat Sie dazu bewegt, hier nach Bergheim-Rheidt zu kommen?

Birgit Cichy: Wir leben in Mönchengladbach-Wanlo und sind heute hier, weil unsere Heimat durch den Braunkohleabbau zerstört wird.

Andreas Cichy: Wir werden demnächst Anrainer des Braunkohletagebaus und damit direkt von seinen Auswirkungen betroffen sein. Uns ist es zum einen wichtig, die breite Bevölkerung auf die Auswirkung dieses Tagebaus aufmerksam zu machen, die nicht nur die unmittelbaren Anrainer, sondern auch weit größere Anteile der umliegenden Bevölkerung betrifft. Ein Stichwort zu dem Thema ist Feinstaub, der bis zu 40 Kilometer weit meßbare Effekte erzielt wie Schlaganfälle, Bluthochdruck und so weiter, also wirklich krank und auch tot macht. Zum anderen wollen wir natürlich auf die Möglichkeiten aufmerksam machen, die wir schon heute in Form der Alternativenergien haben, und damit zeigen, wie überflüssig der Abbau von Braunkohle ist. Ziel der Aktionen, die wir ins Leben gerufen haben, ist, größere Bevölkerungskreise zu erreichen.

SB: Was zeichnet die Existenz eines Grubenranddorfs aus? Wo ist man damit konfrontiert und wie wirkt sich das auf die eigene Wahrnehmung aus, nicht nur hinsichtlich der Gesundheitsgefahren, sondern auch in bezug auf die landschaftlichen Veränderungen?

BC: In den eigenen vier Wänden ist man erst einmal nicht involviert. Anders wird es, wenn man das Dorf verläßt und in die Bezirke geht, wo man früher gern gelaufen ist. Da werden mittlerweile die Bäume gerodet und öde Landschaften breiten sich mehr und mehr aus. In der Ferne kann man den Braunkohlebagger sehen und auch hören. Man lebt jeden Tag mit der Gewißheit, daß dieser Bagger sich jede Minute näher ans Dorf heranfrißt. Im Laufe der nächsten drei, vier, fünf, sechs, vielleicht auch zwanzig Jahre wird das Leben von diesem Braunkohlebagger bestimmt. Alle Erinnerungen an das, was an dieser Seite des Dorfes einst stand, werden im wahrsten Sinne des Wortes aufgefressen. Sie sind einfach nicht mehr da und werden nie wieder da sein. Alles geht unwiederbringlich verloren. Wenn man in ein anderes Dorf zieht, man kann immer wieder in seine alte Heimat zurückkommen, aber mit dem Tagebau wird sie für immer verschwinden.

SB: Holzweiler ist ein Dorf, das für den Abriß vorgesehen war und das jetzt durch eine politische Entscheidung auf längere Sicht eine Existenz am Grubenrand haben könnte. Wie wirkt sich dies auf die Bürger Holzweilers und ihre Zukunftspläne aus?

BC: Die Bevölkerung in Holzweiler ist zwiegespalten. Die meisten sind hocherfreut, weil das Dorf und damit ihre Heimat erhalten bleibt. Außerdem müssen sie sich nicht weiter mit Umsiedlungen auseinandersetzen. Es gibt jedoch auch kritische Stimmen, vorzugsweise von jenen, die ein Gewerbe in Holzweiler betreiben, sprich der Bäcker, der Metzger und Gaststättenbesitzer, die seit vielen Jahren mit dem Gedanken gelebt haben, daß der Ort abgerissen wird, und daher keine größeren Investitionen vornahmen. Sie hatten sich bereits damit abgefunden, von RWE eine Entschädigung zu erhalten, Geld, mit dem sie ihren Lebensabend hätten bestreiten können. Daraus wird jetzt natürlich nichts mehr. Jetzt müssen sie im Ort bleiben und ihre Zukunftsperspektiven neu überdenken. Das schafft Existenzängste, weil sämtliche Orte in der Nachbarschaft weggebaggert werden. Dadurch verlieren sie einen Großteil ihrer Kundschaft. Allein mit ihren Kunden aus dem Dorf können sie ihr Geschäft nicht finanzieren. Diese Sorgen werden auch nicht durch RWE aufgefangen, weil ein Grubenranddorf keine Rechte und keinen Sonderstatus besitzt. Auch bei uns im Dorf gibt es Geschäfte, die mit der gleichen Problematik zu kämpfen haben.

AC: Hinzu kommen noch die typischen Probleme eines Grubenranddorfes. Es fängt schleichend an. Am Anfang fallen die Brunnen im Ort trocken, weil das Grundwasser abgesenkt wird. Mit der Grundwasserabsenkung werden überall Pumpen errichtet. In diesem Stand befinden wir uns gerade. Massiv ums Dorf herum werden eine Unzahl Pumpen aufgestellt, um das Grundwasser noch tiefer abzusenken. Als nächstes kommen dann die Schutzmaßnahmen. So bezeichnet sie zumindest RWE. Sie sollen das Dorf vor den Auswirkungen der Grube schützen, indem zum Beispiel Wälle vier, fünf Meter höher aufgeschüttet werden, die alle Emissionen aus der Grube vom Dorf fernhalten sollen. Das ist natürlich eine absolute Lachnummer. Anschließend erscheinen die Bagger mit all ihren Konsequenzen. Die Leute, die unmittelbar an der Grube wohnen, haben Tag und Nacht die Beleuchtung und die Geräusche, die beim Abräumen der Erdschichten entstehen, zu ertragen. Dem folgt der Staub, der weitaus größere Areale betrifft. Er tritt zunächst als Grobstaub in Erscheinung, der viel Dreck verursacht, und zum Schluß in die Feinstaub-Emissionen übergeht, die im großen Umkreis 40 oder 60 Kilometer weit reichen und gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit haben.

SB: Ist es richtig, daß die Bevölkerung in den Ortschaften, die nach dem Bergbaurecht abgebaggert werden, insofern einen Sonderstatus haben, als sie Entschädigungsansprüche geltend machen können?

AC: Nicht nur das, die umzusiedelnden Ortschaften können auch einen Bürgerbeirat wählen, der aus zehn Prozent der dort ansässigen Bürger besteht und bei Entscheidungen, die die Umsiedlung betreffen, angehört wird. Der Beirat hat zwar kein Entscheidungsrecht, aber er wird bei Beschlüssen hinzugezogen. Dadurch haben die Betroffenen sehr direkt die Möglichkeit, Einfluß zu nehmen. Einen solchen rechtlichen Status haben Grubenranddörfer nicht. Obwohl sie vom Tagebau betroffen sind, können sie nichts dagegen tun und müssen sich darauf verlassen, daß die Politiker sich ihrer Sache annehmen. Daneben gibt es auch direktere Auswirkungen auf die Anwohner, zum Beispiel dadurch, daß die Immobilienwerte drastisch sinken. Wenn sich jemand vor Jahren oder Jahrzehnten eine Immobilie als Alterssicherung angeschafft hat und sie jetzt verkaufen will, weil er beispielsweise aufgrund von körperlichen Beeinträchtigungen ins Altenheim muß, bekommt er als Erlös für sein Grundstück zehn, zwanzig oder bis zu fünfundzwanzig Prozent weniger dafür. Das können im Zweifelsfall mehrere zehntausend Euro Unterschied ausmachen, die ihm keiner ersetzt. Eigentlich müßte RWE dafür als Verursacher geradestehen. Das geschieht aber nicht. Solche Folgeschäden hat jeder Anwohner selbst zu tragen. Die Menschen in den Umsiedlungsorten sind davon nicht in dem Maße betroffen, aber sie werden dennoch von RWE in anderer Weise über den Löffel balbiert.

Bäume mit gelbem Band in der Nähe der ersten Waldbesetzung - Fotos: © 2012 by Schattenblick Bäume mit gelbem Band in der Nähe der ersten Waldbesetzung - Fotos: © 2012 by Schattenblick

Wo diese mit dem gelben Band geschmückten Bäume standen, gähnt heute der Abgrund des Hambacher Lochs
Fotos: © 2012 by Schattenblick

SB: Sie haben die Aktion "Gelbes Band" initiiert. Können Sie erklären, worum es dabei geht?

AC: Ein Bekannter hatte uns besucht, um sich Grube und Umgebung einmal näher anzuschauen. Ihm ist dabei aufgefallen, daß bei uns im Dorf für einen Durchreisenden überhaupt nicht ersichtlich ist, was da auf uns zukommt. Er riet uns, Aufmerksamkeit zu erregen bzw. Zeichen zu setzen, um die Leute zum Nachfragen zu bringen. Seiner Meinung nach wäre es am einfachsten, irgend etwas aufzuhängen oder den Ort bunt zu machen. So sind wir auf die Idee und Initiative mit dem gelben Band gekommen und haben ganz viele gelbe Bänder im Ort verteilt. In einer kurzen Erklärung haben wir dann noch den Sinn der ganzen Aktion erläutert. Kurze Zeit später war unser gesamter Ort mit gelben Bändern ausstaffiert. Das hat sich in die Nachbarorte fortgesetzt, weil Leute mitgemacht haben. Für eine Zeitlang war alles in unserer Umgebung gelb geschmückt. Der von uns erhoffte Effekt trat ein. Leute, die mit dem Auto durch unser Dorf fuhren, haben angehalten und gefragt, was hier los sei. So kamen wir mit vielen Menschen ins Gespräch und konnten ihnen erklären, worum es uns geht, da die Leute von sich aus auf uns zugekommen sind. Auf diesem Wege lassen sich Informationen viel besser vermitteln. Eine Weile hat das gut funktioniert, aber dann ist die Aktion leider zum Erliegen gekommen, weil die Dynamik fehlte.

BC: Menschen sind bequem. Einigen fällt es schwer, überhaupt ein gelbes Band aufzuhängen. Wir haben auch eine Webseite dazu ins Leben gerufen [1]. Darüber versuchen wir, das Thema der durch RWE verursachten Schäden allgemeinverständlich darzulegen.

SB: Könnten Sie sich vorstellen, daß diese Idee noch einmal von Menschen aufgegriffen wird, die erst jetzt mit dem Tagebau konfrontiert sind?

AC: Es kommen immer mal wieder Leute auf uns zu und fragen, was man tun könne. Wir sagen dann: Macht mit! Nehmt gelbe Bänder und hängt sie auf. Und schickt uns Informationen, damit wir sie auf unsere Webseite packen und so andere Menschen erfahren können, was in eurem Ort geschieht. Wir hatten auch schon Kontakte in die ostdeutschen Tagebaugebiete. Dort wurde die Idee aufgegriffen, aber offenbar nicht weiter verbreitet. Zumindest haben wir nichts mehr davon gehört. Wir haben ein klein bißchen die Hoffnung, daß die Menschen in Holzweiler aufgrund der Statusänderung jetzt anfangen, darüber nachzudenken, was es heißt, ein Grubenranddorf zu werden. Von Zeit zu Zeit flackert die Idee mit den Bändern nochmal auf. Ich hoffe, daß sie nicht ganz stirbt.

BC: Bei einer anderen Aktion hatten wir ein Stück der zukünftigen Grubenrandstraße in der Nähe von Kückhoven mit gelben Bändern ausstaffiert. Und bei einer Demonstration in Köln war das gesamte Demonstrationsgebiet mit dem gelben Band abgespannt worden. Solche Sachen laufen schon im Hintergrund. Es wäre schön, wenn man solche Aktionen wieder ins Leben rufen könnte, an denen sich viele Leute beteiligen. Zum Beispiel eine Fahrradtour durch viele Städte, bei der jeder irgendwo ein Band anbringt. Die Leute würden sich dann fragen, wozu das dient.

AC: Bei jedem Besuch am Tagebau hänge ich irgendwo am Aussichtspunkt ein gelbes Band hin.

BC: Und RWE nimmt sie in schönster Regelmäßigkeit wieder ab.

AC: RWE besucht auch unsere Webseite sehr häufig.

SB: Frau und Herr Cichy, vielen Dank für das Gespräch.

Text und Fotos zur Aktion an einer Leine zwischen Bäumen - Foto: © 2012 by Schattenblick

Präsentation der Aktion Das gelbe Band in der Nähe der Waldbesetzung 2012
Foto: © 2012 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] Das gelbe Band
http://das-gelbe-band.com/


Aktuelle Beiträge zu den Tagebauen im Rheinischen Braunkohlerevier und den dagegen gerichteten Widerstand im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → UMWELT → REPORT:

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19. Juni 2014