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INTERVIEW/124: Nachdenklich, nachweislich, nachhaltig - Satt und Hand vom Ackerland ... Benedikt Härlin im Gespräch (SB)


Interview mit dem Ex-Europaparlamentarier, NGO-Vertreter beim Weltagrarbericht und Netzwerker Benedikt Härlin am 25. Juni 2014 in Berlin



Auf dem internationalen Symposium zum 75. Geburtstag von Ernst Ulrich von Weizsäcker am 25. Juni 2014 in Berlin trafen sich mehrere hundert Wegbegleiter des Jubilars. Von nah und fern waren Menschen angereist, die entweder mit ihm an einer der vielen Stationen seines Lebens zusammengearbeitet haben, dies noch heute tun oder zumindest auf thematisch ähnlichen Pfaden unterwegs sind wie der Mitautor von Büchern wie "Faktor Vier. Doppelter Wohlstand - halbierter Naturverbrauch" und "Faktor Fünf. Die Formel für nachhaltiges Wachstum".

Beim Interview - Foto: © 2014 by Schattenblick

Benedikt Härlin präsentiert die Broschüre "2000 m²"
Foto: © 2014 by Schattenblick

Am Rande des Symposiums sprach der Schattenblick mit Benedikt Härlin, ehemaliger Abgeordneter im Europaparlament der Grünen und Vertreter der nordamerikanischen und europäischen Nichtregierungsorganisationen im Aufsichtsrat des Weltagrarberichts. Zu den zahlreichen Aktionen bzw. Initiativen, die Härlin organisiert oder mit angeschoben hat, gehören unter anderem Save Our Seeds, Golden Bantam, der Kongreß "Planet Diversity" und das Symposium "Farbe der Forschung". Er ist Mitglied der International Commission on the Future of Food und der Zukunftsstiftung Landwirtschaft.

Im folgenden Interview stellt Benedikt Härlin zunächst die Initiative "2000 m²" vor, gibt eine Einschätzung der jüngsten Entwicklung auf EU-Ebene zur Grünen Gentechnik ab und berichtet, welchen Nachhall das Symposium "Die Farbe der Forschung II" [1] hinterlassen hat.

Schattenblick (SB): Du machst zur Zeit ein neues Projekt, das nennt sich 2000 Quadratmeter [2]. Worum geht es dabei?

Benedikt Härlin (BH): Wenn man sich vergegenwärtigt, daß es weltweit rund 1,4 Milliarden Hektar Ackerland und etwa sieben Milliarden Menschen gibt, dann kann man sich ausrechnen, daß auf jeden von ihnen 2000 Quadratmeter entfallen. Auf dieser Fläche müßte alles wachsen, was wir essen, an die Viecher verfüttern, an Baumwolle verbrauchen und was zu Biosprit oder Biogas verarbeitet wird, wenn die Ackerfläche gleichmäßig unter allen Menschen aufgeteilt wäre. Weideland gehört nicht dazu, das käme extra.

Wir haben erstmals in diesem Jahr in den Havelmathen an der Havel in Spandau abgebildet, wie im Weltmaßstab die Bepflanzung dieser 1,4 Milliarden Hektar aussehen würde. Das heißt, wieviel Weizen, Mais, Soja etc. dort angebaut werden muß. Wir konnten nicht alle Früchte abbilden, denn natürlich ist das ein bißchen schwierig mit Kakao und Tee in Spandau. Aber Pi mal Daumen kann man da jetzt durchlaufen und sich eine Vorstellung davon machen. Man wird möglicherweise überrascht sein, daß über die Hälfte des Feldes nur mit Mais, Reis, Weizen und anderem Getreide angebaut ist und daß, wenn ich das jetzt mal herunterrechne auf die 2000 Quadratmeter, gerade mal 90 Quadratmeter für das Gemüse vorgesehen sind.

Der globale Acker auf 2000 m² mit Weizen, Mais, Reis, sonstigem Getreide, Ölsaaten, Soja, Baumwolle, Nüssen, Obst, Hülsenfrüchten, Fasern, Gemüse, Erdfrüchten - Grafik: Initiative www.2000m2.eu/de, freigegeben als [(CC BY-NC-SA 3.0 DE) http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/de/legalcode]

"So sähe die gesamte Ackerfläche der Welt auf Ihren 2000 m² aus. Über die Hälfte wäre mit vier Früchten bestellt: Weizen, Mais, Reis und Soja. Auch bei den Erdfrüchten und sonstigen Getreiden und Ölpflanzen dominieren wenige Kulturen."
(aus: http://www.2000m2.eu/de/anbau/)
Grafik: Initiative www.2000m2.eu/de, freigegeben als [(CC BY-NC-SA 3.0 DE) http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/de/legalcode]

Als nächstes werden wir uns fragen: Was esse ich eigentlich ein ganzes Jahr lang und was muß ich alles auf den 2000 Quadratmetern anbauen, damit sich ein Mensch davon ernähren kann? Das fangen wir erst im Oktober an, damit wir auch einen Winterweizen dabeihaben. Hierzu hat sich eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich über all die Fragen Gedanken macht. Wir hoffen, mit dem Projekt zeigen zu können, daß 2000 Quadratmeter genügen.

Demgegenüber halte ich beispielsweise das Konzept vom ökologischen Fußabdruck für zu komplex. Ich persönlich und auch viele meiner Bekannten sind da ausgestiegen, weil man sich das nicht mehr wirklich sinnlich vorstellen konnte. Man war im Grunde genommen einer Art Maschine ausgeliefert, die das alles super ausgerechnet hat. Diese 2000 Quadratmeter sind natürlich viel primitiver, aber das Projekt ist noch sinnlich genug, daß eigentlich jeder anfängt zu denken und zu sagen: "Och, ist aber viel." Oder: "Och, ist aber wenig." Oder: "Wie viel sind eigentlich 2000 Quadratmeter?" Oder: "Wie groß ist das, 40 mal 50 Meter?"

SB: Aus aktuellem Anlaß: Wie viele Fußballfelder sind das?

BH: (lacht) Ja, genau, die Frage habe ich mir auch gestellt! Das habe ich nachgeprüft und festgestellt, daß es keinen Standard "Fußballfeld" gibt. Fußballfelder können zwischen einem halben Hektar und etwas weniger als 2000 Quadratmeter groß sein.

SB: Wer ist an diesem Projekt noch beteiligt?

BH: Dieses 2000-Quadratmeterprojekt haben wir ursprünglich mal in unserem Bündnis Arc2020 [3] begonnen. Das ist ein Bündnis aus NGOs, die sich mit einer anderen EU-Agrarpolitik auseinandersetzen. Unsere Ausgangsüberlegung lautete zunächst, daß wir gerne eine EU-Agrarpolitik illustrieren wollten. Dazu hatten wir eine Person oder ein Pärchen gesucht, mit dem sich alle Europäer identifizieren können sollten. An dieser Frage sind wir gescheitert, woraufhin wir gesagt haben: Aber 2000 Quadratmeter, die kann sich jeder vorstellen, das soll unser gemeinsamer europäischer Nenner werden.

Nun sind an dem Projekt viele Menschen beteiligt, denen das Spaß macht. Wir haben auch schon ein Feld in Schweden, eines wird in Griechenland vorbereitet und wir hoffen, daß es im Laufe dieses Jahres noch viele mehr werden. Unsere Idee ist natürlich auch, daß wir uns austauschen und uns das gegenseitig erklären und sagen, wir bauen dieses oder jenes an, und man macht kleine Fotos von den Fortschritten.

Das ist auch eine Form der Begegnung von Orten. Für meine Begriffe ist das eine ganz wichtige Geschichte, an der wir arbeiten müssen, daß uns wieder klar wird: Jeder Ort ist einzigartig. Diese Norm der 2000 globalen Quadratmeter sehen eben sieben Milliarden Mal unterschiedlich aus. Es gibt nirgends die identisch gleichen 2000 Quadratmeter, und das ist auch das, was uns antreibt, von lokaler Versorgung zu reden, oder davon, daß es an jedem Ort eine andere Art von Fauna- und Flora-Gemeinschaft gibt.

Wir wollen in Zeiten der Globalisierung Örtlichkeit herstellen, aber dieser dann auch sozusagen wieder eine globale Austauschmöglichkeit geben. Ich kann einfach mit meinem Handy das Feld fotografieren und das Foto dann ins Netz stellen. Und Louise, die daran arbeitet, fährt jetzt im Oktober für einen Monat nach China, wo sie versuchen will, mit Menschen vor Ort einen Austausch anzuregen. Wir hoffen, daß unsere Website ins Chinesische übersetzt wird. Bisher gibt es sie auf Englisch, Französisch, Deutsch, Polnisch und Rumänisch.

SB: Anfang der neunziger Jahre wurde in Arizona das Projekt Biosphere 2 aufgebaut. Man wollte ein sich selbst erhaltendes Ökosystem schaffen, eine Welt in der Welt. Das ist jedoch grandios gescheitert. Würdest du sagen, daß ihr mit dem Projekt 2000 Quadratmeter daraus gelernt habt und deshalb die örtlichen Gegebenheiten und Unterschiede stärker betont?

BH: Biosphere 2 ist für meine Begriffe vor allen Dingen daran gescheitert, daß die Urheber zu klein gedacht haben. So klein ist die Welt nicht. Das hatte damals diesen Raumschiffhintergrund. Bei den 2000 Quadratmetern geht es jedoch nicht um eine kleine, abgeschlossene Welt, sondern vielmehr darum zu zeigen, daß das eines von sieben Milliarden Teilen ist.

Natürlich sind 2000 Quadratmeter für uns auch so etwas wie ein großer Garten. Gärten haben ja immer ein bißchen diesen Subtext: Meine kleine Welt. Wie ich mir die Welt vorstelle, wie ich sie gerne hätte - all das erfährt ja auch einen großen Zuspruch im Moment. Aber für uns gibt es eben nicht "meine kleine Welt", und es gibt auch nicht "meine" 2000 Quadratmeter für sich genommen. Sondern es gibt nur den großen Garten, den Planeten, den wir mittlerweile irgendwie gärtnerisch zu bewirtschaften haben, denke ich.

Der riesige, verschachtelte, gewächshausartige Gebäudekomplex im Abendlicht - Foto: Johndedios, freigegeben als [(CC BY 3.0 Unported) http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/legalcode] via WikimediaCommons

Biosphere 2, 20. September 2011. Der Versuch, eine bis auf Sonnenlicht und elektrische Energie abgeschlossene Welt in der Welt zu schaffen, mißlang unter anderem wegen Sauerstoffmangels. Allerdings lieferte das Scheitern wichtige Erkenntnisse beispielsweise für die Hoffnung, auf anderen Himmelskörpern bemannte Stationen aufbauen zu können.
Foto: Johndedios, freigegeben als [(CC BY 3.0 Unported) http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/legalcode] via WikimediaCommons

SB: Auf der Ebene der Europäischen Union werden neue Bestimmungen zur Verbreitung gentechnisch veränderter Pflanzen erlassen. Das wurde jetzt in die Hände der Nationalstaaten gelegt. Wie bewertest du diese Entwicklung?

BH: Noch ist es nicht soweit. Bislang haben sich die Regierungen auf ein Modell verständigt und müssen sich darüber noch mit dem Europäischen Parlament einigen. Wir hatten 2011, als es sich das erste Mal damit befaßt hat, sehr intensiv daran gearbeitet. Ich bin für die Möglichkeit, daß die einzelnen Nationalstaaten den Anbau verbieten und das dann womöglich auch noch an ihre Regionen delegieren.

Die große Gefahr besteht darin, daß gesagt wird, okay, wenn jeder das verbieten kann, dann lassen wir das für die EU erstmal zu, das ist ja dann nicht mehr so wichtig. So würde Druck aus der Risikoprüfung und auch aus der Debatte, was für Folgen dieser Anbau auf EU-Ebene hat, rausgenommen. Das ist ein bißchen die Strategie, die dahintersteckt. Das wurde ursprünglich von den Holländern, die sehr gerne Gentechnik anbauen wollen, und den Österreichern, die das auf jeden Fall vermeiden wollen, vorgeschlagen. Beide haben gesagt, okay, so geht's. (lacht)

Aber im Moment ist das, worauf sich die Minister geeinigt haben, grotesk. Ich habe sowas noch nicht erlebt. Das beinhaltet nämlich, daß ein Land bei dem Konzern, der einen Zulassungsantrag einreicht, vorstellig werden und sagen muß: "Würden Sie freundlicherweise unser Land von Ihrem Antrag ausnehmen?" Und wenn der große Konzern dann freundlicherweise sagt, "ja, euch können wir ausnehmen, bei euch haben wir eh nichts vor", dann wird sozusagen die Ausnahme, daß in Deutschland etwas nicht angebaut wird, zum Bestandteil der Zulassung. Das heißt, es wird richtig rechtssicher. Der Konzern hätte selbst beantragt, daß er das in Deutschland nicht anbauen will.

Wenn aber der Konzern sagt, "nein, das machen wir nicht," dann wird der Vorschlag der Minister sehr schwach. Dann kann zwar das Land trotzdem den Anbau verbieten, es darf dafür aber keine Begründung benutzen, die sich auf die Fragen bezieht, die schon auf EU-Ebene geklärt wurden. Das betrifft den Umweltschutz und den Gesundheitsschutz. Es dürfen dann nur andere Gründe angeführt werden, um ein Verbot auszusprechen. Bei diesem Punkt sind viele der Meinung, daß das vor Gericht möglicherweise keinen Bestand haben wird.

Die Logik dieses Agreements sieht jetzt so aus: Begebt euch in die Hände und in die Gnade der Konzerne, dann seid ihr sicher. Wenn ihr das gegen die Konzerne verbietet - was ihr machen könnt -, dann ist das euer Risiko. Das ist grotesk, denn es verhilft den Konzernen zu einer Erpressungsmöglichkeit. Man macht den Konzern zum Player in dem Zulassungsverfahren! Er stellt nicht den Antrag, sondern das Land stellt beim Konzern den Antrag: Bitte laßt uns raus!

Wie gesagt, so etwas habe ich noch nie erlebt. Das ist peinlich, und ich hoffe sehr, daß das Europäische Parlament, von dem man ja auch noch nicht so genau weiß, wie es ticken wird, sich so etwas nicht gefallen läßt.

SB: Was ist aus einem deiner letzten großen Projekte, das auch mit Nachhaltigkeit zu tun hatte, die "Farbe der Forschung" geworden? Welche Resonanz gab es darauf?

BH: Wir hatten eine ganz begeisterte Resonanz von Leuten, die gesagt haben - ich zitiere: "So eine wilde Geschichte habe ich noch nie mitgemacht." Es gab auch Leute, die fragten, was daraus eigentlich folgt. Ich bin mir gar nicht so sicher, was daraus folgt oder folgen muß, ich hatte dafür keinen speziellen Plan. Und ich erlebe, daß interessanterweise erst so sechs Wochen hinterher angefangen wurde, darüber zu berichten. Ich bekomme jetzt eine ganze Menge Anfragen, beispielsweise nach der Email von diesem oder jenem, der da was erzählt hat und so weiter. Wir können die ganzen Vorträge als Filme editieren, es gibt ja viele Leute, die gucken sich Konferenzen im nachhinein auf Video an, was ich toll finde.

Wir haben darüber diskutiert, ob wir die nächste "Farbe der Forschung" nicht erst in zehn, sondern vielleicht bereits in drei Jahren machen wollen. Dann wird man sehen, was sich daraus alles entwickelt hat. Also, zunächst einmal sind wir ganz zufrieden mit dem Ergebnis und freuen uns, daß wir kein Defizit gemacht haben. Das ist ja immer wichtig bei solchen Konferenzen. Und jetzt schauen wir mal, was sich aus der Geschichte weiter entwickelt.

SB: Benedikt Härlin, vielen Dank für das Gespräch.

Rund zwei Dutzend Personen auf und an dem noch vegetationslosen Feld - Foto: Initiative www.2000m2.eu/de, freigegeben als [(CC BY-NC-SA 3.0 DE) http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/de/legalcode]

Der "globale Acker" in den Havelmathen an der Havel
Foto: Initiative www.2000m2.eu/de, freigegeben als [(CC BY-NC-SA 3.0 DE) http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/de/legalcode]


Fußnoten:

[1] "Die Farbe der Forschung II" war ein Symposium über "Das Innovationspotenzial von Beziehungsnetzen", das von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft am 7. und 8. März 2014 in Berlin veranstaltet wurde. Der Schattenblick hat dazu eine Reihe von Berichten und Interviews veröffentlicht, die unter dem kategorischen Titel "Treffen der Wege" unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT abgelegt sind:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_bericht.shtml
und
http:/www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_interview.shtml

[2] http://www.2000m2.eu/de/

[3] Arc2020 steht für Agricultural and Rural Convention 2020.
http://www.arc2020.eu/front/

Hinweis: Unter dem kategorischen Titel "Nachdenklich, nachweislich, nachhaltig" sind unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT bereits ein Bericht über das Symposium und ein Interview mit Ernst Ulrich von Weizsäcker erschienen. Weitere Interviews werden folgen:

BERICHT/083: Nachdenklich, nachweislich, nachhaltig - Rückschau voran (SB)
Impressionen von einer Geburtstagsparty der anderen Art
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0083.html

INTERVIEW/122: Nachdenklich, nachweislich, nachhaltig - Gekocht und nachgewürzt ... Ernst Ulrich von Weizsäcker im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0122.html

4. Juli 2014