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INTERVIEW/174: Die Uhr tickt - Solidarintervention Klimarettung ...  Prof. Dirk Messner im Gespräch (SB)


"Klima - Wandel im Gipfeljahr 2015"

Internationales Symposium zum 75. Geburtstag von Prof. Dr. Hartmut Graßl am 18. März 2015 an der Universität Hamburg

Prof. Dirk Messner über globale Ordnungspolitik, das WBGU-Ziel null CO2-Emissionen bis 2070 und eine verpaßte Chance der Bundesregierung


Seit rund einem halben Jahrhundert liegen Berechnungen und Projektionen vor, die unmißverständlich zeigen, daß die leichte Erreichbarkeit mineralischer und anderer natürlicher Ressourcen zu Ende geht. Selbst die Erdatmosphäre ist eine Ressource, die nicht dauerhaft mit Kohlendioxidemissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger befrachtet werden kann, ohne daß das Folgen für das globale Klima hätte. In etwa zeitgleich mit der Zunahme menschengemachter CO2-Emissionen steigt die globale Durchschnittstemperatur an. Paläoklimatische Forschungen bestätigen, daß ein hoher CO2-Gehalt der Atmosphäre mit hohen Temperaturen einhergeht. Heute ist sich die Wissenschaft weitgehend einig darin, daß spätestens im Jahr 2020 die Treibhausgasemissionen nicht mehr zunehmen dürfen, sondern verringert werden müssen, ansonsten die Lebens- und Überlebensvoraussetzungen eines erheblichen Teils der Menschheit schwer beeinträchtigt oder gar zunichte gemacht würden.


Porträg beim Vortrag - Foto: © 2015 by Schattenblick

Prof. Dr. Dirk Messner
Foto: © 2015 by Schattenblick

Die Klimaschutzverhandlungen der internationalen Gemeinschaft treten jedoch auf der Stelle. Wurde von jeher das in diesem Jahr auslaufende Kyoto-Protokoll als zahnloser Tiger bezeichnet, da die Vereinbarungen zur Verringerung der globalen Treibhausgasemissionen ohne nennenswerte Folgen für die globale Durchschnittstemperatur geblieben sind, so tun sich die Staaten schwer damit, ein notwendigerweise schärfer zu haltendes Nachfolgeabkommen zu vereinbaren.

Eine Zäsur in negativer Hinsicht stellte 2009 der Klimagipfel von Kopenhagen (COP15) dar. Während die dänische Regierung besorgte Bürgerinnen und Bürger, die von den Delegierten mehr Engagement forderten und zur Unterstreichung ihres Anliegens demonstrierten, stundenlang einkesseln und massenweise verhaften ließ und selbst unbequeme Gipfelteilnehmer wie der venezolanische Präsident Hugo Chavez den diplomatischen Gepflogenheiten zum Trotz schikaniert wurden, fand hinter verschlossenen Türen ... nichts statt! Genauer gesagt, es fand eine Menge statt, nur hatte das nicht im mindesten die Erwartungen erfüllt. Einzelne Staaten hatten zu guter Letzt hinter verschlossenen Türen ein Dokument ausgehandelt, das die anderen Staaten offiziell "zur Kenntnis" nahmen. Dieses unter zweifelhaften Umständen zustande gekommene Abschlußdokument ist nun als "Übereinkunft von Kopenhagen" (Copenhagen accord) in die Geschichte eingegangen.

Die Zeichen in der Natur mehren sich, daß sich das Klima in vielen Regionen verändert. Wie aber weitermachen, wenn die Volksvertreter anscheinend nicht in der Lage sind, die notwendigen Schritte zur Abwehr absehbarer Katastrophen zu gehen? Dazu hat der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) im vergangenen Jahr ein Sondergutachten mit dem Titel "Klimaschutz als Weltbürgerbewegung" [1] vorgelegt. Dessen Autorinnen und Autoren schlagen vor, daß ausnahmslos alle Staaten ihre CO2-Emissionen bis zum Jahr 2070 auf null reduzieren sollen. Bis dahin dürften insgesamt nicht mehr als 750 Gigatonnen CO2 aus fossilen Energieträgern in die Atmosphäre geblasen werden, was bedeute, daß die Industrie- und Schwellenländer sofort damit anfangen müßten, ihre Emissionen drastisch zu senken, wohingegen die ärmeren Länder noch etwas mehr - aber nicht viel! - Zeit hätten.

Auf dem internationalen Symposium "Klima - Wandel im Gipfeljahr 2015", das aus Anlaß des 75. Geburtstags des deutschen Klimaforschers Prof. Dr. Hartmut Graßl am 18. März 2015 an der Universität Hamburg durchgeführt wurde, stellte der Vorsitzende des WBGU, Prof. Dr. Dirk Messner, die Leitgedanken des Sondergutachtens vor.

Messner, der auch Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn und Co-Direktor des Center for Advanced Studies on Global Cooperation Research der Universität Duisburg-Essen ist, hielt den Vortrag "Bottom Up oder Top Down - Weltbürgerbewegung und Weltklimapolitik - ein Zusammenspiel?" Darin sprach er sich für eine "neu verschränkte Verantwortungsarchitektur" von globaler Ordnungspolitik und dem Engagement von unten aus. "Wenn Bürger und Städte, Kommunen und Unternehmen Verantwortung übernehmen, dann erweitert sich dadurch auch der Spielraum für politische Entscheidungsträger, eine anspruchsvollere Klimapolitik voranzubringen", erklärte er. Denn Politiker, die Klimaschutzmaßnahmen beschließen, befürchteten ansonsten, nicht wiedergewählt zu werden.

Am Rande der Konferenz stellte sich Prof. Messner dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.

Schattenblick: Herr Marotzke [2] warf in seinem Vortrag zum Klimawandel die Frage auf, welche Risiken und Anstrengungen die Gesellschaft akzeptiert. Würden Sie als Politikwissenschaftler nicht eher fragen, welche Widersprüche wird eine Gesellschaft unter dem Einfluß des Klimawandels akzeptieren, da gesellschaftliche Gruppen und Nationen davon unterschiedlich stark getroffen werden?

Prof. Dirk Messner (DM): Ich glaube, hier spielen zweierlei Dinge eine Rolle. Einmal betrifft der Klimawandel, wenn man gegen ihn angeht, verschiedene gesellschaftlichen Gruppen unterschiedlich. Wenn Sie ein Unternehmen führen würden, das Kohle verkauft oder verbrennt, dann würden Sie Kohlereduzierung erstmal als einen unfreundlichen Akt empfinden, und wenn Sie Klimaschutz betreiben wollen, fänden Sie das eine sehr wichtige Maßnahme. So gibt es natürlich unterschiedliche Interessen und Wahrnehmungen.

Andererseits betrifft der Klimawandel auch wiederum alle, er ist sozusagen ein geographisches Phänomen. Wenn man sich die Dynamiken der nächsten Dekaden anschaut, dann werden unsere Gesellschaften insgesamt unter großen Streß geraten. Von daher besteht die Frage, ob unsere Gesellschaften lernen, eine ziemlich radikale Kehrtwende hinzubekommen und diese, angesichts sowohl der unterschiedlichen Interessen als auch der grundsätzlichen Risikolage, unter der sich eigentlich alle befinden, als Herausforderung anzunehmen.

SB: Vor kurzem haben die afrikanischen Staaten ihre Forderung erneuert, daß die Erderwärmung nicht auf durchschnittlich zwei, sondern 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit begrenzt werden soll. [3] Halten Sie die Forderung für berechtigt?

DM: Berechtigt ist die Forderung sicherlich, weil wir neue Modellberechnungen haben, die zeigen, daß möglicherweise schon ab einer Temperaturerhöhung von 1,5 - 2 Grad über der vorindustriellen Zeit die Nordpoleiskappen, insbesondere das Grönland-Eisschild, über einen längeren Zeitraum irreversibel abschmelzen könnten. Das bedeutet, daß man schon bei diesen niedrigen Temperaturerhöhungen einen irreversiblen Erdsystemwandel einleiten würde. Deswegen ist das 1,5-Grad-Ziel im Grunde genommen gerechtfertigt. Aber wir werden das kaum noch hinbekommen, weil die Dynamik, in der wir uns befinden, es schon schwer genug macht, überhaupt nur das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Insofern ist so eine Forderung politisch vielleicht hilfreich, damit man dann wenigstens noch die zwei Grad schafft, realistischerweise umzusetzen ist sie vermutlich nicht mehr.

SB: Die Europäische Union hat sich darauf festgelegt, bis zum Jahr 2030 40 Prozent der Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Würde damit das 1,5-Grad-Ziel erreicht?

DM: Das hängt natürlich davon ab, was alle anderen machen. Aber wenn man ungefähr den Anteil der Europäischen Union an den gesamten Emissionen zugrundelegt und die Anforderungen betrachtet, die an andere Regierungen gestellt werden müßten, dann weisen diese 40 Prozent in Richtung zwei Grad. Das wird sicherlich nicht für eineinhalb Grad reichen.

SB: Der WBGU sieht Klimaschutz als "gemeinsame Verantwortung" [1] aller Staaten, was bedeutet, daß sich Entwicklungs- und Schwellenländer in ihrem Anspruch auf "nachholende Entwicklung" beschnitten sehen könnten. Wie wird der WBGU-Ansatz in diesen Ländern wahrgenommen?

DM: Ich glaube, daß in den letzten Jahren insbesondere in Afrika, wo ich häufig unterwegs bin, an Konferenzen teilnehme und mit vielen Experten und politischen Entscheidungsträgern spreche, eine Perspektivänderung stattgefunden hat. Noch vor einer Dekade wurde Klimaschutz als so etwas wie eine Entwicklungsbremse wahrgenommen. Es wurde als Bedrohung empfunden, daß die Energiesysteme umgebaut werden müssen, wenn man die Klimaschutzziele ernst nimmt. Mittlerweile ist die Perspektive in Afrika viel mehr die: Es muß einen rigorosen Klimaschutz geben, weil insbesondere arme und vulnerable Länder - das sind häufig die afrikanischen Länder - von den Folgen des Klimawandels getroffen werden. Die Bedeutung und die Wichtigkeit eines Klimaschutzes für Afrika ist dort klar angekommen.

SB: Welche Sicherheit hätten die ärmeren Länder denn, daß bei der Transformation auf eine kohlenstoffarme oder gar -freie Wirtschaft sie dann tatsächlich von den Industriestaaten unterstützt werden und deren Entwicklungshilfe nicht wieder einmal nur zur Subventionierung der eigenen Wirtschaft verwendet wird?

DM: Die Entwicklungsländer, insbesondere die armen Entwicklungsländer, erwarten zu Recht, daß sie unterstützt werden, wenn sie eigene Beiträge zum Klimaschutz leisten. Denn wenn unsere Daten sagen, daß wir bis zum Jahr 2070 im wesentlichen null Emissionen weltweit erreichen müssen, heißt das auch, daß Entwicklungsländer bei null landen müssen. Aber die neuen Infrastrukturen, die sie dafür brauchen - zum Beispiel energieeffiziente Gebäude und Mobilitätssysteme, erneuerbare Energiesysteme - sind auf kurze und mittlere Sicht zunächst kostspieliger als die treibhausgasschädlichen Investitionen. Deswegen müssen diese Länder unterstützt werden. Und sie sind skeptisch, daß die Industrieländer ihnen diese Unterstützung wirklich dauerhaft und sicher gewähren. Diese Skepsis hat auch ihre Begründung, denn die Industrieländer haben oft nicht geliefert, sondern Versprechungen gemacht. Seit drei Dekaden versprechen sie, 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe aufzuwenden, aber wir kommen in nur ganz wenigen Ländern tatsächlich in diese Richtung. Die Entwicklungsländer sind also zu Recht skeptisch.

SB: Wieviel Druck sollte hinter dem Klimaschutz für den einzelnen, die Kommunen und Staaten stehen? Welche exekutiven Mittel sind vorstellbar, um Klimaschutz durchzusetzen, der ja bisher auf internationaler Ebene nicht verpflichtend ist?

DM: Wir brauchen dafür eine Ordnungspolitik. Der WBGU vertritt ja nicht den Standpunkt, daß es kein Wachstum mehr geben oder Menschen keine Mobilität mehr haben sollen. Sondern die Idee lautet, daß wir die Grenzen des Erdsystems, die wir kennen und quantifizieren und deren Risiken wir, wenn wir sie überschreiten, beschreiben können, in unser Wirtschaftssystem einbauen. Das hieße zum Beispiel, wenn wir wissen, daß wir nicht mehr als 750 Gigatonnen CO2-Emissionen [4] bis 2050 in die Luft pusten dürfen, daß wir dann mit diesem Budget auskommen und das in unsere Ordnungspolitik übersetzen müssen. Wenn wir andere Grenzwerte ähnlicher Art haben, müssen auch diese Teil unserer Wirtschaftspolitik sein. Das ist also eine richtige, klare Ordnungspolitik. Und innerhalb dieses Rahmens können dann wirtschaftliche Akteure und Konsumenten und Bürger entscheiden, was sie für vernünftig halten. Aber wir dürfen diese Grenzen nicht überschreiten.

Das ist im Grunde genommen keine völlig revolutionäre oder neue Idee, sondern wir haben im sozialen Bereich in den letzten 200 Jahren der industriellen Revolution ebenfalls Grenzen gesetzt, die nicht überschritten werden sollen: Sklavenarbeit wollen wir nicht akzeptieren; Kinderarbeit wollen wir nicht akzeptieren; wir haben jetzt Mindestlöhne, das heißt, wir wollen Arbeiten von Menschen unter einem gewissen Lohnniveau nicht zulassen. Und so müssen wir es auch mit den natürlichen Grenzen des Erdsystems handhaben. Dazu ist Ordnungspolitik notwendig.

SB: Gehört zu einer solchen Ordnungspolitik auch, daß sich die Bedeutung der Nationalstaaten auflöst hinsichtlich eines, wie es im Titel Ihres Vortrags heißt, "Weltbürgertums"?

DM: Die Nationalstaaten müssen weiter eine wichtige Rolle spielen, weil wir in ihnen noch immer die wichtigsten legitimierten politischen Entscheidungsträger haben. De facto verlieren aber Nationalstaaten an Bedeutung, weil viele Probleme ohne globale Kooperationen nicht mehr lösbar sind. Das Klimaproblem gehört dazu. Sie verlieren sozusagen nach oben. Neben nationalstaatlichen Aktivitäten brauchen wir globale Ordnungs- und Rahmenbedingungen im Klimaschutz, wie wir das eben gerade besprochen haben. Zugleich kann es sein, daß die Staaten nach unten abgeben, weil wir sehen, daß 40 bis 70 Prozent der Emissionen - je nachdem, wie wir das messen - in Städten erzeugt werden, in der Produktion oder durch den Konsum. Das bedeutet, daß wir in den Städten auch eine Vielzahl der Probleme des Klimaschutzes lösen können. Deswegen müssen die lokalen Ebenen gestärkt werden.


Beim Vortrag - Foto: © 2015 by Schattenblick

"Politik ist immer in Nationalstaaten organisiert, und die denken immer darüber nach, wie sie Zugriff auf die 'global commons' kriegen. Jetzt lernen wir - über Kippunkte des Erdsystemwandels -, daß die 'global commons' unsere gemeinsame Verantwortung sind."
(Prof. Dirk Messner, 18. März 2015, Hamburg)
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Ist bei den Städten schon eine neue Governance-Struktur hinsichtlich des Klimaschutzes zu bemerken?

DM: Es gibt internationale Städtenetzwerke, die gut funktionieren. Wir haben eine Gruppierung, die nennt sich C40, das sind 40 große Städte, auf die fast ein Drittel der globalen Emissionen entfallen. Das ist ein richtig großer Treiber, und die bemühen sich, politisch gemeinsam aufzutreten, als Klimaschutzakteure voneinander zu lernen. Das ist ein vielversprechender Ansatz. Wir haben noch andere, lockerere Stadtnetzwerke wie ICLEI [5], die sich ebenfalls in Richtung nachhaltiger Stadtentwicklung austauschen, gemeinsame Standards setzen und dies gemeinsam monitoren. Auch das hilft, da voranzukommen.

SB: Der WBGU spricht von "planetarischen Leitplanken" der globalen Entwicklung, die dazu dienen, die Entwicklung der ärmeren Länder zu stärken. Inwiefern erlaubt eine solche "Fahrbahnbegrenzung" das Ausscheren eines Landes, das ein abweichendes Gesellschaftsmodell verfolgt, beispielsweise Kuba oder Venezuela? Sind diese Staaten innerhalb der Leitplanken oder wären sie schon außerhalb?

DM: Zunächst einmal zu den Leitplanken, auf die Länder gehe ich gleich noch ein. Wir haben uns die Frage gestellt, wenn wir diese Leitplanken ernst nehmen, ob es dann noch eine Chance für die unteren 40 Prozent der Einkommenspyramide der Weltbevölkerung gibt - das sind die Menschen, die mit einem bis vier Dollar am Tag auskommen müssen; wir würden sie als arme Bevölkerung bezeichnen -, ihre Grundbedürfnisse zu stillen, ein würdiges Leben zu genießen und auch noch entsprechende Wachstumseffekte zu erzeugen. Die Antwort darauf lautet: Ja, das können wir leicht machen. Das geben die Grenzen des Erdsystems leicht her.

Das Problem sind nicht die Wohlstandseffekte, die wir ja für diese arme Bevölkerung noch erzeugen müssen. Das Problem sind die Wohlstandseffekte der mittleren und oberen Bevölkerungsschichten, also der oberen Hälfte der Weltbevölkerung, die im Augenblick einen hohen Umweltverbrauch haben und Emissionen ausstoßen, die die Erdsystemkapazitäten überlasten. Also, der Anpassungsdruck muß für diese obere Hälfte bestehen. Hier muß Anpassung stattfinden. Da geht es um Effizienz, es geht um neue Konsummuster, es geht um ein neues Verständnis dessen, was Wohlfahrt bedeutet. So ist die Gesamtlogik der Argumentation.

Nun zu Ihrer Frage, ob es dann in dem Rahmen unterschiedliche Gesellschafts- und Wirtschaftsmodelle gibt. Ich würde darauf so antworten wie eben: Ich bin ziemlich sicher, daß es sie in Zukunft geben wird, so wie wir sie ja auch jetzt haben. Venezuela ist offensichtlich anders als Brasilien, aber Dänemark und Schweden sind auch offensichtlich ganz anders als die USA und Großbritannien. Wir haben also unterschiedliche Gesellschaftsmodelle und die werden sich auch in Zukunft weiterentwickeln.

Für mich ist das Entscheidende, daß sie alle akzeptieren müssen, daß wir die Grenzen unseres Planeten zu unserer Handlungsmaxime machen, weil wir uns ansonsten alle auf mittlere und lange Sicht schädigen. Ob in diesem Rahmen dann das Modell X oder Y erfolgreicher oder legitimer erscheint, das müssen die Bevölkerungen entscheiden.

SB: Wobei selbst der internationale Klimaschutz dazu genutzt werden könnte, um Staaten wie zum Beispiel Venezuela, gegen das die USA vor kurzem Sanktionen verhängt haben, unter Druck zu setzen. [6]

DM: Venezuela ist ein Land, das seinen Wohlstand im wesentlichen auf fossile Energieressourcen aufbaut, und es befindet sich wie die meisten solcher Länder in einer schwierigen politischen Lage; es besteht ein hohes Korruptionsniveau, auch hinsichtlich des Zugangs zu den Ressourcen. Das wäre eigentlich das, was die Entwicklungschancen für Individuen und Unternehmen in der Gesellschaft ausmacht. Die Entwicklungsökonomen nennen das jedoch den Ressourcenfluch: Länder, die über viele Ressourcen verfügen, entwickeln sich in der Regel nicht besonders dynamisch.

In Ländern wie Venezuela ist der Anpassungsbedarf auf jeden Fall hoch, wenn wir es mit dem Klimaschutz ernst meinen, weil deren Ressourcen im wesentlichen, das haben wir während der Konferenz gehört, im Boden bleiben müssen. Das klingt für die Venezolaner auf den ersten Blick nicht so überzeugend. [7]

SB: Vor einigen Jahren hat die Bundesregierung mit ihrem damaligen Entwicklungsminister Dirk Niebel dem Konzept der Regierung Ecuadors, Erdöl im Boden zu lassen und dafür von der internationalen Gemeinschaft teilweise entschädigt zu werden, eine Absage erteilt. Was sagt der WBGU dazu?

DM: Ich habe damals mit Herrn Niebel direkt darüber gesprochen. Sein Argument war: Wir können doch nicht Gelder dafür austeilen, daß nichts dafür getan wird. Aber was ja dort getan worden wäre: Wir hätten gefährliche Stoffe, die CO2-Emissionen erzeugen, im Boden gelassen. Das war wirklich eine Situation, in der eine Vielzahl von Faktoren gut zusammengepaßt hätte. Es wäre Regenwaldschutz gewesen - den brauchen wir dringend für Klimaschutz, aber auch für Biodiversität -, wir hätten indigenen Völkern, die in diesen Regionen leben, Schutzräume geboten für ihre eigene Heimat und wir hätten zugleich alternative Beschäftigungsangebote schaffen können.

Man hätte also die wirtschaftliche Entwicklung in anderen Bereichen voranbringen können, statt natürliche Ressourcen auszubeuten, die zur Umweltzerstörung beitragen. Das finde ich ein ziemlich gutes Konzept. Schäden zu vermeiden und dafür andere wirtschaftliche Aktivitäten in Gang zu setzen, ist eine sehr vernünftige Strategie. Mir tut es sehr leid, daß das damals nicht zustande gekommen ist. Eine verpaßte Chance.

SB: Herzlichen Dank für das Gespräch.


Transparentes Schild mit Aufschrift 'WBGU - Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen'. Dabei enthält das 'G' im Akronym je einen kleinen Pfeil nach oben und nach unten - Foto: © 2015 by Schattenblick

WBGU steht für die Verbindung von Top-Down und Bottom-Up.
(WBGU-Geschäftsstelle, Berlin, Luisenstraße 46, 19. März 2015)
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://www.wbgu.de/fileadmin/templates/dateien/veroeffentlichungen/sondergutachten/sn2014/wbgu_sg2014.pdf

[2] Prof. Dr. Jochem Marotzke, Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie, Hamburg. Er hielt auf dem Symposium den Vortrag: "Klimaforschung und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen".

[3] Näheres dazu im Schattenblick unter:
INFOPOOL → UMWELT → REDAKTION
KLIMA/552: Afrikas Minister fordern Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/redakt/umkl-552.html

[4] Laut dem WBGU-Sondergutachten [siehe 1] dürfen zwischen 2010 und 2050 noch 750 Gigatonnen CO2 aus fossilen Quellen in die Atmosphäre gelangen, damit das 2-Grad-Ziel mit einer Zweidrittel-Wahrscheinlichkeit eingehalten wird.

[5] Die in Bonn ansässige Organisation "ICLEI - Local Governments for Sustainability" ging 2003 aus der Organisation "International Council for Local Environmental Initiatives" hervor, die im September 1990 vom ersten Weltkongreß der Kommunen für eine nachhaltige Entwicklung bei den Vereinten Nationen in New York gegründet wurde.

[6] https://amerika21.de/2015/03/114105/nationale-sicherheit-usa

[7] Venezuela erzielt über 90 Prozent seiner Deviseneinnahmen aus Ölexporten und mehr als 50 Prozent des Staatshaushalts stammen aus dem Ölgeschäft.

23. März 2015


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