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INTERVIEW/227: Gitterrost und Permafrost - Zahlenspiele, Umweltziele ...    Prof. Hans-Wolfgang Hubberten im Gespräch (SB)


11. Internationale Permafrostkonferenz (ICOP) vom 20. bis 24. Juni 2016 in Potsdam

Prof. Hubberten über Veränderungen in Permafrostregionen, die Mär von der "Methanbombe Permafrost", das nach wie vor gute Verhältnis zu russischen Forscherkollegen und vieles mehr


Die Arktis zählt zu den Weltregionen, in denen die globale Erwärmung bereits deutliche Spuren hinterlassen hat. Seit rund drei Jahrzehnten nimmt die sommerliche Meereisfläche ab und etliche Gletscher am Rande des grönländischen Eisschilds fließen immer rascher ins Meer. Auch auf der Südhalbkugel der Erde schmelzen die Gletscher auf der westantarktischen Halbinsel. All diese Phänomene sind Begleitfolgen des Klimawandels und beeinflussen ihrerseits das globale Klima.

Zu den dramatischen Veränderungen zählt ebenfalls, daß der Permafrost allmählich auftaut. Permafrost ist definiert als Boden, Sediment oder Gestein, dessen Temperaturen mindestens zwei Jahre ununterbrochen unter dem Gefrierpunkt liegen. Hierbei kommt den physikalischen Eigenschaften des Wassers eine entscheidende Bedeutung zu. Ändert sich sein Aggregatzustand, beispielsweise von fest zu flüssig, weil die Temperaturen über den Gefrierpunkt steigen, weicht ein bis dahin fester Untergrund auf. Auch werfen dann Mikroorganismen ihren Stoffwechsel an und Pflanzen fangen an zu wachsen. Umgekehrt läßt ein Wechsel des Aggregatzustands von flüssig zu fest all diese Vorgänge weitgehend erstarren. Allein daß im oberen Bereich des Permafrosts schätzungsweise 1500 Gigatonnen Kohlenstoff gespeichert sind, die theoretisch in die Atmosphäre freigesetzt werden könnten, die ihrerseits "nur" 800 Gigatonnen birgt, ist Anlaß genug, das Phänomen Permafrost sehr genau zu erforschen.

Weil die Vorgänge an der Grenzschicht zwischen fest und flüssig überaus komplex und die verschiedenen Einflüsse miteinander verschränkt sind, hat sich die Permafrostforschung inzwischen als eigener Wissenschaftszweig etabliert. Nicht zuletzt will man genauer wissen, welche globalklimatischen Folgen ein Auftauen des Permafrosts hätte. So trifft sich alle vier Jahre die Permafrostforschung aus der ganzen Welt, um ihre jüngsten Ergebnisse zu präsentieren, persönliche Kontakte zu knüpfen oder diese wieder aufzufrischen, und natürlich auch, um das Forschungsfeld für die Zukunft zu bestellen.


Beim Interview - Foto: © 2016 by Schattenblick

Prof. Hans-Wolfgang Hubberten
Foto: © 2016 by Schattenblick

In diesem Jahr hatte das Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) zu einer solchen Mammutkonferenz nach Potsdam geladen, der XI. International Conference On Permafrost oder kurz ICOP 2016. Unter Leitung des Geochemikers Prof. Hans-Wolfgang Hubberten, Leiter der Sektion Periglazialforschung des AWI, sorgten das mehr als zwei Dutzend Personen umfassende lokale Organisationsteam und eine Reihe internationaler Beraterinnen und Berater sowohl für einen reibungslosen Ablauf der Tagung als auch für eine thematische Strukturierung der insgesamt 849 Präsentationen. Dafür, daß Prof. Hubberten jeden Tag auf dem Konferenzgelände durchschnittlich 5,4 Kilometer zurückgelegt hat, wie er in seiner Abschlußrede schmunzelnd berichtete, hat er sich reichlich Zeit genommen, um dem Schattenblick einige Fragen zu beantworten.

Schattenblick (SB): Herr Hubberten, Sie sind mindestens 20mal entweder in die Arktis oder Antarktis gefahren. Diese polaren Regionen wandeln sich gegenwärtig besonders stark unter dem Einfluß der globalen Erwärmung. Was waren in Ihren Augen die bedeutendsten Veränderungen im Laufe dieser Zeit?

Prof. Hans-Wolfgang Hubberten (HWH): Zunächst einmal ist es eine Tatsache, daß sich vor allem die Arktis erwärmt und daß sie seit dreißig Jahren kontinuierlich wärmer geworden ist. Daran kann man nicht mehr vorbeireden. Bei dieser Erwärmung gibt es natürlich Dinge, die man persönlich sieht, und Dinge, von denen man erfährt, wie beispielsweise vom dramatischen Rückgang des Meereises oder der zunehmenden Eisschmelze auf der Oberfläche Grönlands.

Unser Spezialgebiet sind natürlich die Permafrostregionen, in denen wir die Veränderungen direkt sehen können. Dort führen wir Messungen durch und erhalten Daten, die zeigen, daß im Sommer die Auftauschicht zunimmt und sich in den Bohrlöchern, die wir niederbringen und mit Instrumenten ausstatten, die Erhöhung der Lufttemperatur selbst noch in 20, 30 Metern Tiefe niederschlägt. Dort wird der Permafrost wärmer.

Ganz direkt konnten wir die Veränderungen in den Regionen beobachten, die wir schon länger studieren, im Lenadelta und seiner Umgebung, der Laptewsee. Dort haben wir 1978 ein internationales Forschungsprojekt gestartet und seitdem die Küstenerosion gemessen. In den letzten zehn Jahren hat sich die Abtragrate an dieser eisreichen Permafrostküste nahezu verdoppelt. Es ist eindeutig so, daß mit der erhöhten Lufttemperatur das Eis geschmolzen und das Meerwasser, das an den Küsten nagt, aufgewärmt wird. Mit dem Rückgang des Meereises verlieren die Küsten ihren Schutz, so daß sich die Erosion deutlich verstärkt. Wobei in Sibirien bislang noch nicht das Phänomen auftritt, wie man es von Alaska und Kanada her kennt, daß die Siedlungen deutlich schneller ins Meer gewaschen werden.

Ein weiterer zu beobachtender Effekt ist in manchen Regionen die zunehmende Vernässung, weil inzwischen im Sommer mehr Eis als früher schmilzt. Unter dem Eis liegt noch der feste Permafrost, so daß das Wasser nicht abfließen kann und alles ein bißchen nasser und sumpfiger wird. In Folge dessen verändern sich auch die Ökosysteme sehr stark. Beispielsweise konnten wir vor drei Jahren in der Umgebung unserer Station erstmals beobachten, daß zwei Baumarten eingewandert waren, die dort vorher nicht existiert haben. Das bedeutet, daß auch die nördliche Baumgrenze im Vormarsch begriffen ist. Ich könnte Ihnen viele weitere solcher Beispiele nennen.


An der Küste aufgeschobene Meereisschollen - Foto: Western Arctic National Park, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Flickr.

Tschukschtensee, 4. Juni 2003. Im Winter friert dieses nordpolare Randmeer zu, ab Mai bricht das Meereis auf und schmilzt. Bis dahin hat es eine wichtige Funktion beim Schutz der Küste gegenüber der Erosion ausgeübt.
Foto: Western Arctic National Parklands, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Flickr.

SB: Läßt sich das Auftauen des Permafrosts in absehbarer Zeit überhaupt aufhalten?

HWH: Manche Prozesse, die einmal angestoßen wurden, kann man nicht ohne weiteres wieder zurückschrauben und hoffen, sie würden gestoppt, nur weil man der Erwärmung nichts mehr hinzufügt. Die werden sich weiter verstärken und dann irgendwann auspendeln. Das Erdsystem ist ziemlich träge. Außerdem muß man bedenken, daß der Permafrost keine Klima- oder Temperatur-Energiesituation der heutigen Zeit, sondern ein Relikt aus der letzten Eiszeit ist. Diese 400, 500, bis zu 1500 Meter mächtigen, gefrorenen Untergründe sind damals gebildet worden und existieren immer noch.

SB: Bedeutet das, daß sie unter den heutigen klimatischen Verhältnissen nicht entstehen würden?

HWH: Sie würden sich zumindest nicht in dieser Mächtigkeit bilden, weil die Wintertemperaturen nicht so kalt sind und somit die Kälte nicht so tief in der Untergrund eindringen kann. Das heißt, die Permafrostregionen sind reliktische Bildungen, die seit der Erwärmung zum Holozän [1] eigentlich nicht mehr mit den Temperaturen, denen sie ausgesetzt sind, im Gleichgewicht stehen. Jetzt verstärken wir durch unsere Treibhausgasemissionen den natürlichen Reduktionseffekt, der bestand, weil man von der Eiszeit in die Warmzeit kam, in der wir jetzt leben. Deshalb trifft das Argument, das man hin und wieder hört, auch nicht zu, daß wir ja in der Vergangenheit der Erde auch schon einmal eine Erwärmung hatten. Natürlich hat es im Laufe der Erdgeschichte mehrere Warmzeiten gegeben, aber die Geschwindigkeit, mit der sich das Klima wandelt, wird von uns jetzt durch das, was wir mit unserer Erde machen, noch beschleunigt.

SB: Kann man sagen, wie alt der Permafrost ist?

HWH: Die gefrorenen Schichten, die noch immer einige hundert Meter tief reichen, wurden während der Weichsel-Kaltzeit, ungefähr 90.000 bis 20.000 Jahren vor heute, gebildet. In den Jahrzehntausenden dieser letzten Eiszeit drang die Kälte tief in die Erde ein. Das galt aber weniger für die vergletscherten Regionen, denn die Gletscher legen sich wie eine Isolierdecke über die Erde und verhindern ein Eindringen der Kälte. Heute wird der Permafrost durch den natürlichen Wärmefluß der Erde von unten her angetaut, und wenn es kalt ist, wirkt die kalte Wintertemperatur dem entgegen und kämpft quasi gegen den Wärmestrom. Je nachdem, wer gewinnt, wird der Permafrost dicker oder dünner.

SB: Es heißt, wenn der Permafrost auftaut, würden klimawirksame Methangase freigesetzt. Rechnen Sie den Permafrost zu den sogenannten Kippelementen?

HWH: Ein Kippelement wäre er nur dann, wenn man längere Zeiträume betrachtet. Das ganze Reservoir an Kälte im Permafrost, der ja immerhin schon das Zeitalter des Holozäns und somit 10.000 Jahre überdauert hat, wo es dann plötzlich sechs bis acht Grad wärmer geworden war, würde selbst dann nicht in den nächsten ein- bis zweitausend Jahren verschwinden, wenn er sich um zwei, drei Grad erwärmte. Ich bin der Ansicht, daß es Permafrost immer geben wird.

Sicherlich wird er sich in Richtung Norden zurückziehen und an der Oberfläche immer mehr auftauen. Wie gesagt, so etwas geschieht bereits, das können wir messen. Aber wenn die Arktis um zwei Grad wärmer wird, dann ist es dort im Winter noch immer -10, -20, teilweise bis -40 Grad kalt. Die Gebiete werden weiterhin im Winter komplett bis oben zufrieren.

Es gibt hier auf der Konferenz einen Kollegen, Vladimir Romanovsky von der Universität in Fairbanks, Alaska, der gemeinsam mit einigen Kollegen verschiedene Szenarien modelliert hat, wie weit der Permafrost vom Rand her verschwindet, wenn die mittlere Temperatur um ein, zwei oder vier Grad erhöht wird. Das sind vernünftige Rechnungen, die zwar noch ein bißchen an Genauigkeit vermissen lassen, einfach weil man die Daten nicht hat, aber die zeigen, wieviel Permafrost in welcher Zeit verschwindet.

Journalisten wollen immer wissen, wie viele Kilometer der Permafrost eigentlich zurückgeht. Vor einigen Wochen habe ich in einem Feature in der Helmholtz-Hauspostille auf diese Frage geantwortet, daß es Regionen gibt, in denen er in den letzten dreißig, vierzig Jahren schon um bis zu hundert Kilometer zurückgegangen ist. In dieser Größenordnung bewegt man sich also.


Foto: Emma Pike, freigegeben als public domain via Wikimedia Commons

Gitterrostartiger Frostmusterboden, im Zentrum ein schmelzender Pingo (Eishügel), in der Nähe von Tuktoyaktuk in der kanadischen Provinz Northwest Territories.
Foto: Emma Pike, freigegeben als public domain via Wikimedia Commons.

SB: Bis jetzt gilt die Arktis als Kohlenstoffsenke. Wird sie sich Ihrer Einschätzung nach in eine Kohlenstoffquelle umwandeln?

HWH: Das ist schwierig zu sagen. Die Tundraregion, in der wir arbeiten, ist noch immer eine Kohlenstoffsenke, weil durch die besseren Klimabedingungen die Photosynthese angeregt wird. Durch das Pflanzenwachstum wird mehr Kohlendioxid aus der Atmosphäre gebunden. Aber durch das Tauen des Permafrosts bringen wir natürlich immer mehr Kohlenstoff in das System ein - Kohlenstoff, der vorher eingefroren, also über Jahrzehntausende im Boden fixiert war und dabei nicht zur Verfügung stand. Plötzlich haben die Mikroorganismen mehr zu fressen, und wenn sie mehr zu fressen haben, produzieren sie mehr Methan.

Als nächstes kommt es darauf an, ob dieses Methan in die Atmosphäre wandert oder nicht. Das wiederum hängt davon ab, ob wir eine feuchte oder eine trockene Oberflächenschicht haben. Wenn sie relativ feucht ist, dann führt das zunehmende Tauen des Permafrosts zur Vernässung. Dann ist die aktive Schicht, in der die Organismen tätig sind, anoxisch und damit wird das Methan, das sie bilden, als Methan in die Atmosphäre entlassen. In trockeneren Umgebungen hingegen oxidieren Mikroorganismen das Methan zu Kohlendioxid. Dann würde nicht so viel Methan, sondern statt dessen mehr CO2 in die Atmosphäre freigesetzt. [2]

Darüber hinaus gibt es im Permafrost eingefroren immer wieder größere Mengen an freiem Methan, das irgendwann in früheren Zeiten entstand. Wenn Mikroorganismen im Sommer Methan bilden und es friert, bleibt das Gas im Eis. Als sich der Permafrost kontinuierlich über die Jahrzehntausende aufgebaut hat, wurde immer mehr Methan eingeschlossen. Würde der Permafrost tauen, ginge auch dieses Gas in die Atmosphäre.

Als weiteres haben wir noch ein Phänomen, über das gern als Kohlenstoff- oder Methanbombe spekuliert wird. Im oder unter dem Permafrost liegen Methangashydrate vor. Sie befanden sich aufgrund der Temperaturbedingungen in einem Stabilitätsbereich, der genauso wie der Permafrost für längere Zeit vorherrscht. Wenn sich die Temperatur erhöht, können die Gashydrate instabil werden. Es bildet sich freies Methan und der Permafrost bekommt vielleicht Löcher.

SB: So spektakuläre Löcher, wie sie auf der Yamal-Halbinsel in Nordsibirien aufgetreten sind?

HWH: Ja, das ist ein sehr spannendes Phänomen. Genau in der Zeit, als davon berichtet wurde, befand ich mich mit meinen Enkeln auf dem Campingplatz an der Müritz. Dann rief mich eine Dame von "Nature" an und bat mich, ich solle einen Kommentar dazu abgeben. Aber ich wußte überhaupt nichts von den Berichten. Glücklicherweise habe ich genau das Richtige dazu gesagt. Dort läuft es so ab, wie man das oft beobachten kann: Wir haben einen Permafrost, der relativ warm ist. Im Untergrund liegt freies Methan vor. Wenn er wärmer wird, kann das Methan durch die sogenannten Taliks - aufgetaute Kamine innerhalb des Permafrostbereichs - aufsteigen. An der Oberfläche jedoch verhindert eine massive Eisschicht den Austritt. Das Methan sammelt sich unter dieser Eisschicht wie unter einem Deckel.

Auf Yamal waren zwei außergewöhnlich warme Sommer hintereinander aufgetreten, was den Prozeß noch begünstigt hat. Irgendwann stieg der Druck derart, daß der Deckel weggesprengt wurde. Das konnte an verschiedenen anderen Stellen beobachtet werden und ist kein unikates Ereignis, wie man anfangs dachte.

SB: Läßt sich ungefähr abschätzen, welchen Beitrag gegenwärtig die Methanfreisetzungen aus dem Permafrost an der globalen Erwärmung haben?

HWH: Es gibt erste Abschätzungsversuche. Ich habe einmal ein großes EU-Projekt koordiniert, das im November vergangenen Jahres zu Ende ging. Bei unserem letzten Workshop dazu hatten wir ein Ergebnis, das uns nicht besonders gefreut hat: Der tauende Permafrost und das Gas, das dadurch zusätzlich in die Atmosphäre gelangt, würde bis zum Ende des Jahrhunderts ungefähr 0,1 Grad zur Temperaturerhöhung beitragen. Das klingt zunächst nach wenig, und wir haben uns gefragt, wie wir denn nun den Leuten erklären können, wie gefährlich die Entwicklung des Permafrosts ist.

Auf der anderen Seite muß man aber bedenken, daß auf der UN-Klimakonferenz von Paris das 1,5-Grad-Ziel festgelegt wurde. Ich bin der Meinung, daß daran gemessen 0,1 Grad einen nicht zu vernachlässigenden Anteil hätte. Die ganz großen Zahlen, von denen früher einmal gesprochen wurde, halte ich dagegen für nicht realistisch, weil das Auftauen des Permafrosts ein schleichender Prozeß ist.

Das mit der "Methanbombe" in den Medien kam vor allem wegen der Publikation eines russischen Kollegen, der in Alaska arbeitet und in der ostsibirischen See und Laptewsee eine Schiffsexpedition geleitet hat. Da wurde eigentlich ganz gute Arbeit geleistet. Die Forschergruppe konnte nachweisen, daß dort, wo das relativ warme Wasser von den Flüssen auf den gefrorenen, submarinen Permafrost strömt, viel, viel mehr Methan freigesetzt wird, da sich dort leichter Taliks bilden können. Der russische Kollege hat das Forschungsergebnis irgendwann als "Methanbombe" veröffentlicht. Das ging durch die ganze Presse, und ich habe einen Anruf von der Bildzeitung erhalten und ähnliches, was schrecklich war. Später, bei einer Tagung in San Francisco, habe ich mit jenem Kollegen ein Bier zusammen getrunken und ihn gefragt: "Wieso hast du das eigentlich gemacht?" Und er hat geantwortet: "Wenn ich sowas nicht mache, interessieren sich die Leute ja nicht für mich." Solche Geschichten tragen auch dazu bei, daß der Begriff "Methanbombe" durch die Presse geistert.


Viele Meter vom Meer landeinwärts ragende, gut zwei Meter breite Erosionsrinne - Foto: Brandt Meixell, USGS, freigegeben als public domain via Flickr

Küstenerosion in Permafrostregion, Teshekpuk Lake Special Area des Nationalen Petroleum-Reservats, Alaska, 24. Januar 2014
Foto: Brandt Meixell, USGS, freigegeben als public domain via Flickr

SB: Wie man dem umfangreichen Programm dieses Kongresses entnehmen kann, spielt die Permafrostforschung in viele Bereiche hinein. Welchen Schwerpunkt haben Sie gewählt?

HWH: Meinen Schwerpunkt habe ich auf den submarinen Permafrost gelegt. Der ist einfach spannend, man weiß fast gar nichts über ihn. Als Ausländer haben wir in Rußland zwar viel, aber manchmal leider nicht richtig arbeiten dürfen mit unseren seismischen Methoden. Deshalb haben wir viel mit Modellen gearbeitet. Anscheinend existierte der submarine Permafrost, der ebenfalls ein Relikt aus der letzten Eiszeit ist, als der Meeresspiegel 120 Meter tiefer lag, zunächst über Jahrzehntausende, bis er dann vom steigenden Meer überflutet wurde. Seit 8.000 bis 9.000 Jahren steht somit der ehemals kalte Permafrost in Wechselwirkung mit dem kalten Bodenwasser von -1,6 bis -1,8 Grad und erwärmt sich langsam.

Wir können beobachten, daß der gefrorene Untergrund an manchen Stellen deutlich steigende Temperaturen aufweist, und vermuten, daß sich dort Kamine bilden können, so daß Gashydrate, die bislang noch darunter gefangen waren, frei werden und in die Atmosphäre entkommen. Den Effekt kann man an vielen Stellen messen. Früher hatten wir spekuliert, daß die Freisetzung relativ schnell vonstatten gehen kann, aber offensichtlich ist das System so träge, daß dies doch nicht innerhalb von zehn oder fünfzig Jahren geschieht, sondern sich über ein paar hundert oder tausend Jahre erstreckt. Von dort kann natürlich mehr Methan freigesetzt werden, aber gewiß nicht explosionsartig wie bei einer Bombe.

SB: Sie sprachen von einer Forschungsstation des AWI im Lenadelta. Seit wann besteht diese Einrichtung?

HWH: Wir haben 1997 im Lenadeltareservat ein Häuschen, das die Russen dort auf einer Insel errichtet hatten, vertraglich als Station genutzt. Wir haben dann noch ein zweites Häuschen dazugebaut und konnten dort wunderbar arbeiten, auch wenn es klein war. Wir hatten ein Zimmer mit Betten für die weiblichen Expeditionsteilnehmer, während die anderen in Zelten draußen schliefen. Das war wunderschön.

SB: Seit einigen Jahren treten stärkere politische Spannungen zwischen dem Westen und dem Osten auf. Auf der wissenschaftlichen Ebene ist es ja meist so, daß man gut miteinander klarkommt, auf der politischen dagegen nicht. Werden die Spannungen bereits durchgetragen, so daß sie sich auf die Forschung auswirken?

HWH: Nein, sie werden nicht durchgetragen. Wir hatten im November in St. Petersburg eine Sitzung über die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit in der polaren Meeresforschung mit Vertretern von deutschen und russischen Ministerien. Es gibt von allen Seiten, auch von russischer Seite, den Wunsch, daß man auf jeden Fall weitermachen soll, obwohl man eigentlich von der höchsten Politik her gerade nicht mehr so gut kann. Vor ungefähr einem Monat wurden zwei gemeinsame deutsch-russische Projekte in der polaren Meeresforschung ausgeschrieben, in die von russischer Seite etwas Geld und vom BMBF ein bißchen mehr Geld reingesteckt wird. Wir schreiben einen Antrag dafür, um unsere gemeinsame Permafrostforschung voranzubringen. Also, es läuft ganz gut.

Weil Sie das Lenadelta angesprochen haben: Damals war das Verhältnis noch ein bißchen besser, da hatten wir Besuch gehabt von Herrn Putin, der eine Wahlkampfreise machte und zeigen konnte, wie toll er als Forscher ist. Er war einen Tag bei uns auf der Station und hat mit allen geredet. Das hat ihm gefallen und er hat den russischen Forschern eine neue Station geschenkt. Die wird auch von uns genutzt, das funktioniert prima. Darauf bin auch ein bißchen stolz, weil wir eigentlich die einzige Nation sind, die es geschafft hat, in Rußland ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, das uns gestattet, fast immer ohne große Probleme dort zu arbeiten. Nur manchmal passieren so Dinge wie jetzt, wo wir die Proben, die wir im letzten Jahr genommen haben, noch nicht rausbekommen haben, aber irgendwann geht es dann auch wieder. Rußland ist immer noch einer unserer wichtigsten Partner.

SB: Was sich auch daran zu zeigen scheint, daß an dieser Konferenz sehr viele Wissenschaftler aus Rußland teilnehmen.

HWH: Ja, wir haben 91 russische Teilnehmer, von denen sich viele unheimlich krumm gelegt haben, um hierherzukommen. Und man hat es mir auch extra gesagt, daß manche bloß gekommen sind, um mich zu treffen, und alles mögliche auf die Beine gestellt hätten, um das zu schaffen. Angesichts des Rubelverfalls sind für sie die Kosten aus Tagungsgebühr, Hotel und Reise unheimlich schwer aufzubringen. Daß ebenso viele Russen gekommen sind wie US-Amerikaner, finde ich sensationell.

SB: Herzlichen Dank, Herr Hubberten, für das Gespräch.


Foto: USGS EROS Data Center Satellite Systems Branch, freigegeben als public domain via Wikimedia Commons

Das Lenadelta. Falschfarben-Fotomosaik im Kurzwellen-Infrarot, Infrarot und roten Licht des Landsat-Satelliten, 27. Februar 2000.
Foto: USGS EROS Data Center Satellite Systems Branch, freigegeben als public domain via Wikimedia Commons


Fußnoten:

[1] Holozän ist der jüngste geologische Zeitabschnitt innerhalb des sogenannten Quartärs. Das Holozän begann vor etwa 11.000 Jahren. Gegenwärtig wird in der Wissenschaft darüber diskutiert, ob es durch das Zeitalter des Anthropozäns abgelöst werden sollte, weil sich der menschliche Einfluß auf die Erdsysteme geologisch niederschlägt.

[2] Methan ist mindestens 20mal so klimawirksam wie Kohlendioxid (CO2).

Bisher im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT zur Permafrostkonferenz in Potsdam erschienen:

INTERVIEW/228: Gitterrost und Permafrost - Schrittmacher Menschenhand ...    Prof. Guido Grosse im Gespräch (SB)


27. Juni 2016


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