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INTERVIEW/230: Gitterrost und Permafrost - zivile Katastrophen ...    Dr. Tingjun Zhang im Gespräch (SB)


11. Internationale Permafrostkonferenz (ICOP) vom 20. bis 24. Juni 2016 in Potsdam

Dr. Zhang über einen relativ warmen Permafrost, die Gefahr der Kohlenstofffreisetzung und die ingenieurstechnische Leistung, eine Eisenbahnverbindung durch eine Hochgebirgsregion zu bauen, aus der sich der Permafrost allmählich zurückzieht.


Noch vor wenigen Jahren warnten Wissenschaftler, daß als Folge der globalen Erwärmung des Permafrosts weltweit mehr Kohlenstoff in die Atmosphäre entlassen werden könnte, als in ihr enthalten ist. Eine dramatische Erwärmung stehe zu befürchten, wenn Verbindungen wie Kohlenstoffdioxid (CO2) oder gar Methan (CH4) aus dem aufgetauten Permafrostboden entwichen. Inzwischen scheint die Permafrostforschung wieder etwas zurückzurudern und allzu drastische Szenarien, die von den Medien unter dem Titel "Methanbombe" und "Permafrostbombe" zur Schilderung der Gefahr aufgegriffen wurden, zu meiden. Die Panikmache dürfte ihren Zweck erfüllt haben, die Weltöffentlichkeit wurde auf das Problem aufmerksam. Nach wie vor werden in der Permafrostforschung Katastrophenszenarien entworfen, aber vermutlich waren die meisten Forscherinnen und Forscher nie von einer explosionsartigen Entwicklung ausgegangen, sondern von einem sehr langen Zeitraum, in dem sich die Katastrophe entfalten könnte.

Welche weitreichenden Folgen das Auftauen des Permafrosts für die tibetische Hochebene hat, darüber berichtete Dr. Tingjun Zhang von der Universität Lanzhou auf der 11. Internationalen Permafrostkonferenz (ICOP), die vom 20. bis 24. Juni 2016 in Potsdam stattfand und vom Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung organisiert wurde. Prof. Zhang nahm als Referent an einer Reihe von Sessions teil und war auch Podiumsteilnehmer einer Diskussionsrunde mit dem Titel "Science Policy Interface", die sich um Fragen rund um die Schnittstelle von Wissenschaft und Politik drehte.

Dr. Zhang hat eine Zeitlang in den USA gelebt, wo er 1993 am Geophysikalischen Institut der Universität von Alaska in Fairbanks seinen Doktor gemacht hat. Später ging er zur Universität von Colorado in Boulder und ist heute an der Lanzhou-Universität in der Stadt Lanzhou in der chinesischen Provinz Gansu tätig. Am Rande der Konferenz stellte er sich dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.


Beim Interview - Foto: © 2016 by Schattenblick

Dr. Tingjun Zhang
Foto: © 2016 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Zhang, wir haben gelesen, daß Sie nach Ihrer Gymnasialzeit dabei geholfen haben, die Qinghai-Tibet-Eisenbahnverbindung aufzubauen, und zwar in einer Region, die von Permafrost beeinflußt ist. Hatten Sie jemals die Gelegenheit, mit der Bahn auf dieser Strecke zu fahren?

Tingjun Zhang (TZ): Leider hatte ich dazu bislang nicht die Gelegenheit, wir waren immer mit dem Auto zur Arbeit gefahren. Als ich beim Eisenbahnbau geholfen habe, kam ich gerade frisch vom Gymnasium. Das war 1975. Ich habe damals noch nicht zum Permafrost geforscht, sondern war angestellt worden, um für die Permafrost-Wissenschaftler Kisten zu tragen.

SB: Aber Sie haben dadurch Einblick in die Natur erhalten?

TZ: Ja, und ich habe mich mehr und mehr für Permafrost interessiert. Nun erforsche ich ihn schon mein ganzes Leben lang. Zwischen 2006 und 2008 habe ich mich zu Forschungszwecken in jener Region aufgehalten und auch den Zug gesehen, aber bis jetzt bin ich noch nicht mit ihm gefahren. Das möchte ich allerdings noch nachholen und nach Lhasa reisen. Mit dem Auto habe ich die Strecke schon viele Male zurückgelegt.

SB: Gibt es bereits sichtbare Veränderungen in der Natur aufgrund des auftauenden Permafrosts?

TZ: Ja, man kann schon sehr viele Phänomene sehen, beispielsweise vermehrt Thermokarstseen, die im Sommer auftauen, und diese Entwicklung geht im wesentlichen auf die Klimaerwärmung zurück. Was die Umweltbelastung durch die Eisenbahn angeht, die im Zeitraum von 2000 bis 2006 errichtet wurde, so haben die Ingenieure eine sehr gute Arbeit geleistet, um die Umwelt zu schützen - ganz im Gegensatz zu der Fernstraße, die in den achtziger Jahren gebaut worden war. Die negativen Folgen jenes Baus sind noch heute, 30 Jahre später, bemerkbar. Man hatte einfach das Erdreich rechts und links der geplanten Trasse zusammengeschoben und die Straße bis zu mehreren Metern hoch über der Ebene der Landschaft errichtet. Damals besaß man weder ein Konzept noch die Absicht, die Umwelt zu schützen. Als es jedoch an den Bau der Eisenbahn ging, war man sich darüber im klaren, wie wichtig es ist, die Permafrostregion zu schützen. Deshalb haben sie die Baumaterialien zunächst zentral gelagert, um nur ein Beispiel zu nennen, und weniger Spuren in der Landschaft hinterlassen. Die Umweltschutzansprüche sind heute deutlich höher.

SB: Welche Auswirkungen hatte der Straßenbau - kam es zur Erosion?

TZ: Ja, es traten Erosionserscheinungen auf, nachdem die Vegetation beiderseits entlang der Trasse zerstört und der Wasserhaushalt durcheinandergebracht worden war. Teilweise hat sich die Vegetation erholt, aber vieles von ihr auch nicht. Die Natur braucht lange Zeit, um sich nach solchen menschengemachten Zerstörungen zu regenerieren.


Zug auf höhergelegter Bahnstrecke mit Betonpfeilern - Foto: Henry Chen, freigegeben als CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/] via Flickr Eisige Nationalstraße mit breitem Fundament - Foto: katorisi, freigegeben als CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en] via Wikimedia Commons

Links: Qinghai-Tibet-Bahn, 20. April 2007
Foto: Henry Chen, freigegeben als CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/] via Flickr
Rechts: Nationalstraße 109 auf der Hochebene Tibets in Qinghai, Dezember 1998.
Foto: katorisi, freigegeben als CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en] via Wikimedia Commons

SB: Könnten Sie beschreiben, welche Veränderungen die Permafrostregionen ganz allgemein in China erfahren haben?

TZ: Der stärkste Wandel findet tatsächlich auf der Hochebene von Tibet statt. Der Rückgang des Permafrosts, der dort 4500 Meter über dem Meeresspiegel liegt, ist unübersehbar. Dort ist die Temperatur des Permafrosts gestiegen und liegt jetzt bei nur noch 0 bis -2 Grad Celsius. Da bleibt also nicht mehr viel Raum zur weiteren Erwärmung.

Die aktive Bodenschicht, die im Sommer auftaut, während der Permafrost darunter erhalten bleibt, verändert sich üblicherweise von Jahr zu Jahr. Auf dem Tibet-Plateau jedoch nimmt sie um sechs, sieben, teilweise zehn Zentimeter pro Jahr zu. Das ist eine sehr dramatische Entwicklung und die Geschwindigkeit, mit der die aktive Schicht wächst, übertrifft das Permafrostwachstum in der Arktis.

SB: Was sagen die globalen Klimamodelle für China voraus? Wird es dort wärmer werden?

TZ: Ja, man rechnet damit, daß bis zum Jahr 2050 die Lufttemperatur im Tibet-Hochland um durchschnittlich 2,6 Grad steigen wird. Wenn man jetzt bedenkt, daß der Permafrost vielleicht nur -2 Grad Celsius kalt ist, so ist klar, daß eine solche Temperaturzunahme zum Auftauen des gesamten Permafrosts führen dürfte. Ende des Jahrhunderts wird die Temperatur sogar noch höher sein und zwischen drei und vier Grad ankommen und zu weiteren ernsthaften Problemen führen. Davon betroffen werden abgesehen von Schienenwegen und Straßen auch Gebäude, Pipelines, Flughäfen, Sendemasten sein.

SB: Wenn so viel Infrastruktur betroffen ist, werden dann Maßnahmen gegen das Auftauen des Permafrostes ergriffen?

TZ: Es werden verschiedene Verfahren eingesetzt, um den Boden zu kühlen, so daß der Permafrost nicht auftaut. Das ist modernste Technologie, beispielsweise werden Wärmepumpen eingesetzt, und unter den Fernstraßen sind Rohre in das Fundament eingelassen, durch die der Wind wehen kann, so daß die Fahrbahn gekühlt wird. Auch wird Schotter als Fahrbahnbefestigung ausgebracht. Im Winter kann die Kälte durch die Ritzen und Löcher des Schotters tiefer in den Boden eindringen. Im Sommer erweist sich die wärmere Luft über dem Boden als relativ stabil, so daß keine Konvektion entsteht und kein Luftaustausch stattfindet. Das ist eine sehr umweltfreundliche und naturnahe Methode, den Wärmetransport vom Boden in die Luft zu bremsen. Sehr einfach und effektiv. Um diesen Effekt zu verstärken, wird der Schotter für die Fahrbahn manchmal bis zu drei Meter hoch aufgeschüttet, wodurch ein Auftauen unter der Straße verhindert wird.

Das Problem wird jedoch sein, daß diese Methoden nicht für die Ewigkeit anwendbar sind. Wenn sich die Luft erwärmt, nutzt auch die höhere Fahrbahnunterfütterung nichts. Außerdem sind solche Baumaßnahmen teuer. Die Schienen verlaufen in manchen Gebieten Dutzende, teils hundert Kilometer auf Pfeilern.

SB: Kann man sagen, daß der Permafrost in den Hochgebirgen empfindlicher auf den Klimawandel reagiert als in den polaren Regionen?

TZ: Nein, das ist das gleiche. Der entscheidende Unterschied zur Arktis besteht darin, daß der Permafrost der Tibet-Hochebene in den mittleren Breiten liegt und hier die Temperaturen entsprechend hoch sind. Wenn dagegen der Permafrost in Alaska, dem Norden Kanadas und in Sibirien um ein paar Grad ansteigt, ändert sich nicht viel, höchstens daß die aktive Schicht wächst. Aber auf der Hochebene von Tibet machen ein paar Grad höhere Temperatur einen großen Unterschied aus.

SB: Ist der Permafrost auf der Tibet-Hochebene ein Schwerpunkt Ihrer Forschungen an der Lanzhou-Universität?

TZ: Ja, wobei ich weniger mit Ingenieurs- als mit wissenschaftlichen Fragen befaßt bin. Ich untersuche die Verteilung des Permafrosts und welchen Veränderungen er unterliegt. Auch messe ich die Temperatur sowie die Mächtigkeit der aktiven und die der gefrorenen Schicht. Weiterhin erforsche ich den Kohlenstoff im Boden. Gestern wurde in einer Session berichtet, daß der Permafrost global 1800 Gigatonnen Kohlenstoff enthält, was dem Zweieinhalbfachen des Kohlenstoffs entspricht, der sich zur Zeit in der Atmosphäre befindet. Sollte der Permafrost tauen und der Kohlenstoff in die Atmosphäre freigesetzt werden, wäre das eine echte Katastrophe, auch wenn der Prozeß sehr langsam abliefe.

Wir befassen uns wegen der hohen Temperatur besonders intensiv mit dem Kohlenstoff der Tibet-Hochebene, die davon 160 Gigatonnen birgt. Das entspricht rund einem Zehntel des Permafrostes weltweit, was also eine große Menge ist. Folglich wäre dieser Permafrost der erste, der zur Destabilisierung des Schutzes der Atmosphäre beitragen und die globale Erwärmung vorantreiben würde.

Es gibt Leute, die behaupten, daß die Verbrennung fossiler Energieträger einen vernachlässigbaren Einfluß auf den Permafrost ausübt, weil wir ja so viel mehr Kohlenstoff im Permafrost selbst vorliegen haben. Doch das ist eine Irrtumsvorstellung. Denn wir Menschen haben die globale Erwärmung ausgelöst. Wenn wir das nicht getan hätten, gäbe es den Permafrost-Kohlenstoff noch Hunderte oder Tausende von Jahren. Es waren wir, die diesen Feedback-Kreislauf in Gang gesetzt haben: Die Erde wird wärmer, es folgt das Auftauen des Permafrosts, mehr Kohlenstoff wird in das System eingebracht. Dieser wandert in die Atmosphäre, was wiederum die Erwärmung verstärkt.

SB: Sehen Sie die Permafrostforschung im jüngsten Bericht des IPCC als ausreichend repräsentiert an?

TZ: Ja, das ist eine wichtige Frage. Ich war zweimal Leitautor, einmal für den vierten und einmal für den fünften Sachstandsbericht. Dabei ging es darum, daß zehn oder elf Personen aus mehreren Ländern mich baten, ihnen bei der Abfassung ihrer Kapitel zu helfen. Ja, ich bin der Ansicht, daß das Problem des Permafrosts im IPCC-Bericht berücksichtigt wird. Natürlich muß noch mehr dazu geforscht werden. Wir haben Wissenschaftler, die den Permafrost überwachen und Veränderungen registrieren, wir haben die Modellierer, die Berechnungen zum Kohlenstoff durchführen. Den Co-Vorsitz für die Arbeitsgruppe I des vierten und des fünften Sachstandsberichts nahmen Personen ein, die beide in der Antarktis geforscht haben. Deren Priorität lag auf Veränderungen in der Cryosphäre, also auf Permafrost, Meereis, Eisschilde, etc. Wir hoffen, daß es in Zukunft so bleiben wird.

SB: Im Jahr 1993 haben Sie an der Universität von Alaska in Fairbanks Ihren Doktortitel in Geophysik erworben. Heute arbeiten Sie in China. Unser Eindruck von dieser Konferenz ist, daß die Permafrostforscher auf der ganzen Welt, ob sie aus China, den USA, Rußland oder einem EU-Staat stammen, die gleiche Sprache sprechen. Wir fragen uns, ob es eine typisch chinesische, typisch amerikanische oder typisch europäische Herangehensweise an den Forschungsgegenstand Permafrost gibt.

TZ: Vor etwa zwanzig Jahren haben wir ebenfalls eine internationale Konferenz mit der Internationalen Permafrostvereinigung veranstaltet. Es wurden gemeinsame Projekte organisiert, um die Temperatur des Permafrosts, die Mächtigkeit der aktiven Zone, die Modellierung der Kohlenstoffwege und ähnliches mehr zu messen. Da haben die Forscher aus den verschiedenen Ländern sehr gut kooperiert. Natürlich existieren unterschiedliche Grade, und aufgrund sprachlicher Hürden gibt es auch unterschiedliche Voraussetzungen.

Während der letzten zehn Jahre hat die Zahl der Veröffentlichungen von chinesischen Wissenschaftlern, die in Englisch geschrieben haben, zugenommen. Für sie ist es definitiv eine hohe Hürde, etwas in einer anderen Sprache zu veröffentlichen. Was die Qualität der Forschungen betrifft, so könnte man das manchmal hinterfragen, aber sie wird besser.

Für die russische Forschung hat sich die Finanzierung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verschlechtert. Damals hatten sie noch ein richtig gutes Überwachungssystem unterhalten, worauf sich die Forschung weltweit gestützt hat. Die neuere Forschung ist jedoch nicht so gut, wie sie sein könnte, verglichen mit der Sowjetära. Verglichen mit China ist die Philosophie oder die Art des wissenschaftlichen Denkens etwas anders und noch mehr in die internationale Methodologie eingebunden.

Das ist übrigens auch ein Grund, warum sich manche Menschen sorgen, daß die jungen Leute ihr kulturelles Erbe verlieren, wenn sie zuviel Englisch sprechen. Auf der anderen Seite halte ich den kulturellen, interdisziplinären Austausch für die Forschung für sehr, sehr wichtig.

SB: Das ist ein schönes Schlußwort, Herr Zhang, vielen Dank für das Gespräch.


Tingjun Zhang mit Mikrophon in der Hand auf dem Podium - Foto: © 2016 by Schattenblick

"Die globale Erwärmung und das Auftauen des Permafrostes werden Konsequenzen haben, lokal, regional und global. (...) Wir müssen uns mit den Folgen konfrontieren und uns an die Veränderungen anpassen."
(Tingjun Zhang, Policy Session, 20. Juni 2016, Potsdam)
Foto: © 2016 by Schattenblick

Bisher im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT zur Permafrostkonferenz in Potsdam erschienen:

INTERVIEW/227: Gitterrost und Permafrost - Zahlenspiele, Umweltziele ...    Prof. Hans-Wolfgang Hubberten im Gespräch (SB)
INTERVIEW/228: Gitterrost und Permafrost - Schrittmacher Menschenhand ...    Prof. Guido Grosse im Gespräch (SB)
INTERVIEW/229: Gitterrost und Permafrost - bedingt prognosesicher ...    Prof. Antoni Lewkowicz im Gespräch (SB)

1. Juli 2016


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