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INTERVIEW/238: Gitterrost und Permafrost - maßstabslos ...    Prof. Duane Froese im Gespräch (SB)


11. Internationale Permafrostkonferenz (ICOP) vom 20. bis 24. Juni 2016 in Potsdam

Duane Froese über eine nicht so einfach gestrickte Erde, das mögliche Überschreiten jeden Maßstabs durch die menschengemachte Erderwärmung und ein uraltes Pferdefossil


In den letzten rund 25 Jahren hat die Zahl der wissenschaftlichen Publikationen zu den Stichworten "Permafrost und Kohlenstoff" exponentiell zugenommen. Immer mehr Forscherinnen und Forscher gehen der Frage nach, welche Auswirkungen das in vielen Erdregionen beobachtete Auftauen des Permafrosts auf den Klimawandel hat. Werden dadurch größere Mengen Kohlenstoff freigesetzt, die daraufhin die globale Erwärmung verstärken, so daß in diesem Feedbacksystem noch mehr Kohlenstoff in die Atmosphäre entweicht? Wäre so ein Vorgang noch zu stoppen? Oder würden sich die verschiedenen Feedbacksysteme gegenseitig verstärken, so daß sich beispielsweise zeitgleich mehr und mehr Methanhydrate in den sibirischen Schelfgebieten auflösen, das arktische Meereis verschwindet und die Grönlandgletscher immer schneller ins Meer gleiten?

Das sind einige der dringlichen Fragen, die auf der 11. Internationalen Permafrostkonferenz (ICOP), die das Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) vom 20. bis 24. Juni 2016 in Potsdam organisiert hat, gestellt wurden. Dort hat auch der kanadische Permafrostexperte Prof. Duane Froese von der Universität von Alberta einen Vortrag zu Beweisen für die Existenz uralten Permafrostes in der eisigen Welt, der sogenannten Kryosphäre, gehalten.


Beim Interview - Foto: © 2016 by Schattenblick

Prof. Duane Froese
Foto: © 2016 by Schattenblick

In der Fachwelt wurde Froese vor allem mit zwei Entdeckungen bekannt: Zum einen räumte er mit der klassischen Vorstellung auf, daß der Permafrost während der letzten Warmzeit (Interglazialzeit) vollständig aufgetaut sein mußte und folglich jeder Permafrost, auf den man heute trifft, nicht älter als vielleicht 100.000 Jahre sein konnte. Zum anderen haben er und seine Kollegen im Permafrost ein 700.000 Jahre altes Pferdefossil - das Thistle Creek Horse - entdeckt, was der Entwicklungsgeschichte des Pferdes in Nordamerika eine ganz neue Dimension verlieh.

Am letzten Tag der Permafrostkonferenz stellte sich Prof. Froese dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.

Schattenblick (SB): Manche Gebiete des Permafrosts in Nordamerika haben mehrere Interglazialzeiten überstanden, die mindestens so warm oder noch wärmer waren als die Jetztzeit. Aber waren sie auch wärmer, als es die Erde werden wird, wenn der bei den UN-Klimaverhandlungen vereinbarte Maximalwert von zwei Grad Celsius erreicht wird?

Prof. Duane Froese (DF): Wir wissen aus der Palökologie ein wenig über die Interglazialzeiten. Aus Pflanzenresten, Insekten und anderen sogenannten Proxydaten erhalten wir unsere Informationen und können beispielsweise aus der Verteilung von Pflanzen und Insekten auf das Klima schließen und somit Daten beispielsweise für Temperatur und Niederschlag gewinnen. Wie warm es früher war, hängt ganz von der Region ab. Legt man die Baumgrenze zugrunde, war es in der Vergangenheit am North Slope von Alaska, der heute von der Tundra bestimmt wird, sehr viel wärmer. Man geht davon aus, daß die Temperaturen dort vielleicht um zehn Grad Celsius höher lagen.

Geht man weiter nach Süden, dahin, wo sich die heutige Baumgrenze befindet, so stellt man fest, daß sich diese Region nicht so stark erwärmt hatte. Denn sie war nicht den gleichen Rückkopplungsmechanismen unterworfen und veränderte sich nicht beispielsweise von der Tundra zu einem Bewuchs mit Bäumen oder anderen Pflanzen, die auf den Untergrund isolierend wirken. Obwohl sich diese Gebiete nicht so stark erwärmt hatten wie der Norden Alaskas, glauben wir dennoch, daß der Temperaturanstieg mindestens ein oder zwei Grad Celsius betragen hat. Auch dort war es also entschieden wärmer als heute. Man hat eine ganz gute Vorstellung von den Abläufen während der Interglazialzeiten.

SB: Wie sind Sie erstmals auf die Idee gekommen, eine etablierte Theorie zum Permafrost zu hinterfragen und anzunehmen, daß dieser sogar Interglazialzeiten überstehen kann?

DF: Am wichtigsten war, daß ich bei der Feldforschung die Augen aufgemacht und mir die Eiskörper genau angeschaut habe. Ich bin jemand, der vor allem damit befaßt ist, die Erdgeschichte zeitlich einzuordnen, also ein Stratigraph. Als ich diese Eiskörper sah, die eigentlich nicht da sein sollten, wollte ich wissen, ob man sie nicht datieren und ihr Alter bestimmen kann. Das brachte mich in eine andere Forschungsrichtung, und ich fragte mich, was das Eis überdauern ließ, warum es nicht geschmolzen ist und aufgrund welcher Rückkopplungsmechanismen dies alles bewirkt wurde.

SB: Warum hält es die Wissenschaft überhaupt für wichtig, daß der Permafrost mehrere Interglazialzeiten überstanden hat?

DF: Die Antwort ist einfach: Wenn diese Permafrostgebiete ein oder zwei Grad wärmer waren als heute und dennoch erhalten geblieben sind, dann könnte man das auch für die Zukunft annehmen. Jedoch würde das nicht für jeden Permafrost gelten. Die Gebiete, über die ich hier spreche, liegen im borealen Nadelwald. Es gibt weitere und sehr viel größere Gebiete in Nordsibirien, zu denen das AWI viel forscht, sowie auf dem North Slope von Alaska mit Hinweisen auf älteres Eis, aber es scheint nicht so verbreitet zu sein wie tiefer im Landesinnern.

Auch auf solchen Treffen wie hier in Potsdam wird deutlich: Die Welt ist nicht so einfach gestrickt, daß darin alles gleich aussieht. Wir haben höchst unterschiedliche Permafrostregionen mit unterschiedlichen Feedbacks. Deshalb haben wir als Wissenschaftler zu begreifen, was die Regionen, die wir erforschen, von denen unterscheidet, zu denen andere forschen. Das müssen wir dann alles zueinander abstimmen, so daß wir sagen können, warum manche Dinge gleich sind und andere sich unterscheiden. Denn letztlich gibt es nur eine Erde und diese eine Erde muß einen Sinn ergeben.


Felsinseln im Yukon, lockerer Bewuchs mit Nadelhölzern - Foto: Kiko2000, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en] via Wikimedia Commons

Borealer Nadelwald am Yukon. Five Finger Rapids, Kanada, im September 2003.
Foto: Kiko2000, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en] via Wikimedia Commons

SB: Was bedeuten Ihre Forschungsergebnisse mit Blick auf die Kohlenstofffreisetzung aus dem Permafrost?

DF: Auf der einen Seite bedeutet das Auftreten von älterem Eis im Permafrost, daß zumindest ein Teil des Kohlenstoffs mehrere hunderttausend Jahre eingeschlossen war. Es muß sich demnach um sehr alten Kohlenstoff handeln, der vermutlich auch die nächsten 100 oder vielleicht 200 Jahre bestehen bleibt. In der Zukunft könnte er allerdings vulnerabel werden, weil wir auf Temperaturen zusteuern, die wir nie zuvor erreicht haben. Wir beginnen, die Variabilität zu überschreiten, die wir aus der Erdgeschichte kennen - gemeint ist die Variabilität innerhalb mindestens der letzten hunderttausend Jahre.

Überschreiten wir die Variabilität noch sehr viel weiter, bleibt der Forschung nur übrig zu spekulieren, weil wir kein Beispiel aus der Vergangenheit kennen, das wir als Vergleich heranziehen könnten. Allerdings können wir für wenigstens die nächsten Jahrzehnte sagen, daß ein Teil des Kohlenstoffs stabil bleiben wird, da er es bereits über einen sehr langen Zeitraum war. Aber indem wir das Klima immer rascher verändern, begeben wir uns auf ein Feld, für das uns die Maßstäbe fehlen.

SB: Wie sicher können Sie sein, daß Ihre Entdeckung des uralten Eises nicht andere Interpretationen zuläßt?

DF: Das ist eine gute Frage. Als wir darüber erstmals eine wissenschaftliche Studie veröffentlichten - das war vor ungefähr sieben, acht Jahren -, äußerten sich viele Leute skeptisch. Dabei hatten wir meiner Meinung nach sehr vernünftig dargestellt, daß wir Überbleibsel aus Eis haben, die 700.000 oder 800.000 Jahre alt sind. Früher hatte man gedacht, es gebe kein Eis, das älter als ungefähr 100.000 Jahre ist. Unsere Studie war also sehr kontrovers, und ich mußte auf wissenschaftlichen Treffen eine Menge Fragen beantworten. Doch in der Folge haben wir noch eine Reihe von Studien über andere Permafroststandorte nachgelegt.

Es gibt nicht nur eine einzige Beweiskette. Bei meinem heutigen Vortrag habe ich hauptsächlich über Vulkanasche und Eiskörper gesprochen. Aber daraus ergeben sich noch viele weitere, sehr interessante Aspekte: Weil das Eis seit so langer Zeit existiert hat, wird darin unglaublich viel organisches Material eingeschlossen, angefangen von Pflanzenresten und Insekten bis zu eiszeitlichen Säugetieren wie Pferd, Mammut, Bison, Löwe und Kamel, die damals alle dort gelebt haben.

Eines der interessanten Dinge, die wir diesen Eisrelikten zu verdanken haben, besteht darin, daß wir immer mehr mit Partnern aus anderen Fachgebieten zusammenarbeiten. So hat sich erwiesen, daß man aus diesen Permafrost-Fossilien tatsächlich DNA gewinnen kann, die 700.000 Jahre alt ist. Das älteste Genom, das jemals irgendwo auf der Welt rekonstruiert wurde, stammt von einem Pferdefossil, das wir aus dem uralten Permafrost geborgen haben.

Alles in allem existieren viele Beweisstränge, nicht nur stratigraphische und geologische Interpretationen, sondern beispielsweise auch aus der neueren Biologie, die nicht stichhaltig auf andere Weise erklärt werden können. Das bestätigt unsere Zuversicht, daß es stimmt, was wir sagen.

SB: Haben wir Sie richtig verstanden, daß die äußeren Umstände nicht besonders "freundlich" zu der DNA von Fossilien sind?

DF: Der verbreitetste Degradationspfad für DNA ist die Hydrolyse. Das Wasser greift die DNA an und bricht sie in immer kleinere Bestandteile auf. Im Permafrost, besonders im kalten Permafrost, gibt es nur sehr wenig fließendes Wasser. Alles ist gefroren. Das Gebiet, aus dem wir jenes uralte Pferd geborgen haben, war ausgesprochen trocken. Deshalb hat es uns auch nicht wirklich überrascht, daß die DNA noch so gut erhalten geblieben ist. Und es handelt sich nach wie vor um die mit Abstand älteste genetische Probe, die jemals gewonnen wurde. Es gibt nur noch wenige weitere Proben, die beinahe das Alter des Pferdes erreichen. Es ist eine große Herausforderung, uralte Fossilien zu finden. Man trifft sie ja nicht dort, wo man es gerne hätte.

Es bedarf nur einer geringen Menge an Wasser im unmittelbaren Umfeld eines Fossils, um darin die DNA und die Proteine zu beschädigen. Das Wasser kommt entweder, nachdem die Organismen gestorben sind und in die jeweilige geologische Schicht eingebettet wurden, oder es ist im Eis eingeschlossen. Selbst im Permafrost kann fließendes Wasser auftreten, beispielsweise wenn darin Salze gelöst sind, die den Gefrierpunkt herabsetzen.

SB: Sagt das irgend etwas über die Temperatur zu dem damaligen Zeitpunkt aus, als der Permafrost gefroren war?

DF: Nur soviel, daß es damals unter Null Grad Celsius gewesen sein muß. Eiskörper können auch eine Zeitlang Temperaturen oberhalb von Null Grad überstehen. Interessant ist jedoch, daß der Permafrost heute sehr, sehr warm ist. Es treten Bodentemperaturen von -1 Grad Celsius oder sogar noch höher auf. Deshalb hatten wir angenommen, daß er sehr empfindlich auf den Klimawandel reagiert hat und rasch getaut sein müßte. Aber es war nicht so. Jener Permafrost unterscheidet sich sehr von anderem Permafrost unserer Kryosphäre.

Wenn man sich als Vergleich das Meereis anschaut, wird man feststellen, daß es selbst innerhalb des letzten Jahrzehnts auf den Klimawandel reagiert. Meereis und Atmosphäre sind nicht sehr stark voneinander getrennt. Wenn die Atmosphäre wärmer wird, wird auch das Meereis wärmer. Aber im Fall von Permafrost haben wir eine Isolierschicht vor allem aus Boden, der nur für vielleicht wenige Wochen im Jahr bis zu einer gewissen maximalen Tiefe auftaut. Das nennt man dann die aktive Schicht. Wenn sich im Sommer Hitze aufbaut, wird die aktive Schicht dicker und dicker. Doch mächtige organische Böden und Wälder wirken wie eine Isolierung auf den Permafrost.

Anstatt daß die Wärme von der Atmosphäre an den Boden abgegeben wird, wie das bei anderen Gegenden der Kryosphäre der Fall ist, bleibt der Permafrost sehr viel geschützter. Das ist einer der Gründe, warum dieser uralte Teil der Kryosphäre im Permafrost vorkommt und nicht beispielsweise im Meereis und nicht einmal in Gletschern. Beispielsweise ist das älteste Eis von Grönland vielleicht 130.000 Jahre alt.

SB: Herr Froese, vielen Dank für das Gespräch.


Prof. Froese beim Vortrag, Erläuterungen der geologischen Schichtfolge unter Einsatz beider Arme - Foto: © 2016 by Schattenblick

Stratigraphische Ausführungen ...
Foto: © 2016 by Schattenblick

Bisher im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT zur Permafrostkonferenz in Potsdam erschienen:

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14. Juli 2016


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