Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → REPORT


INTERVIEW/240: Vielfaltig nachhaltig - guter Rat ist teuer ...    Charlotte Newiadomsky im Gespräch (SB)


Innovation in der Nachhaltigkeitsforschung - ein Beitrag zur Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele

Life Science Forschungskolloquium 2016 an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) am 13. Juni 2016

Charlotte Newiadomsky über Beispiele zur Verbesserung der Energieeffizienz in deutschen Unternehmen, den Rebound-Effekt, Eisspeicher und das virtuelle Kraftwerk


Nach rund 200 Jahren industrieller Entwicklung hat der Mensch erkannt, daß er einen hohen Preis für die Annehmlichkeiten aus Motorisierung und Elektrifizierung bezahlen muß. Das Verbrennen fossiler Energieträger (Kohle, Erdöl, Erdgas) erzeugt kohlenstoffdioxidhaltige Abgase, die lange Zeit achtlos in das ungeregelte "Endlager" namens Erdatmosphäre emittiert wurden und seitdem dort einen kleinen, aber entscheidenden Beitrag zur globalen Erwärmung leisten. Die Wissenschaft hat eine recht schlüssige Verbindung zwischen dem Anstieg des Kohlenstoffdioxidgehalts in der Atmosphäre und dem der globalen Durchschnittstemperatur festgestellt. Würde dieser Trend ungebremst fortgesetzt, hätte das katastrophale Folgen für den weitaus größeren Teil der Menschheit, der nicht das Privileg besitzt, sich in nicht vom Klimawandel betroffenen oder aber infrastrukturell und technologisch besser geschützten Gebieten ansiedeln zu können. Bereits eingeleitet, aber voraussichtlich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch viel stärker werdend, rechnet die Wissenschaft mit einem weltweiten Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter aufgrund des Abschmelzens der Polkappen und Gletscher, mit dem Auftauen des Permafrosts und dadurch der Freisetzung weiterer treibhauswirksamer Gase sowie mit vermehrten Extremereignissen wie Dürren und Überschwemmungen, um nur einige Eckpunkte des Klimawandels zu nennen.

Wie aber kann diese Entwicklung aufgehalten werden? 1992 haben sich um die 10.000 Vertreterinnen und Vertreter aus 178 Ländern zur UNO-Konferenz über Umwelt und Entwicklung (UNCED = UN Conference on Environment and Development) in Rio de Janeiro getroffen und ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur sogenannten nachhaltigen Entwicklung beschlossen. Dazu gehören die Deklaration von Rio über Umwelt und Entwicklung, die Biodiversitätskonvention, die Walddeklaration, die Agenda 21, die Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung und die Klimaschutz-Konvention, in der sich die Unterzeichnerstaaten zur Reduzierung der Treibhausgase verpflichten.

Vor diesem Hintergrund machen sich inzwischen ganze Forschergenerationen an die Arbeit, um die Myriaden Detailfragen zu untersuchen, die eine Transformation von der bestehenden, unnachhaltigen auf eine nachhaltige Wirtschafts- und Lebensweise mit sich bringt. Einen kleinen Ausschnitt hierzu bot das Life Science Forschungskolloquium am 13. Juni 2016 an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW), das zum Thema "Innovation in der Nachhaltigkeitsforschung - ein Beitrag zur Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele" überschrieben war.

Zu den gut ein Dutzend Referentinnen und Referenten, die in jeweils knapp 15minütigen Vorträgen ihre Arbeit vorstellten, gehörte Charlotte Newiadomsky, wissenschaftliche Mitarbeiterin am SWK- Energiezentrum E² der Hochschule Niederrhein in Krefeld. Das Kompetenzzentrum habe ein Kooperationsprojekt mit den Stadtwerken Krefeld initiiert, sagte Newiadomsky. In ihrem Vortrag mit dem Titel "Beitrag Erneuerbarer Energien zur Verfügbarkeit von Elektrizität und Wasser in Afrika - Ansätze für eine nachhaltige Entwicklung" stellte sie die Versorgungssituation mit Energie und Wasser in den Ländern Marokko, Kenia und Botswana dar, entwarf einen Ausblick auf die zukünftige Entwicklung dieser Länder unter dem Einfluß des Klimawandels und sprach Empfehlungen zur Schwerpunktsetzung einer umweltverträglichen und nachhaltigen Energieversorgungspolitik aus.

So unterschiedlich die sozioökonomischen und klimatischen Voraussetzungen dieser Länder auch sind, Newiadomskys Handlungsempfehlungen liefen auf jeweils ähnliche Vorschläge hinaus. Diese Länder sollten nicht auf Kohlekraftwerke setzen, weil deren Betrieb große Mengen an Wasser erfordert, das in Zukunft vielleicht nicht oder nicht mehr in der erforderlichen Menge zur Verfügung steht, sondern erneuerbaren Energien wie Windkraft und Solaranlagen den Zuschlag geben.

Am Rande des Symposiums stellte sich Frau Newiadomsky dem Schattenblick für einige Fragen aus dem Spannungsfeld der Transformation in eine nachhaltigere Gesellschaft zur Verfügung.


Beim Interview - Foto: © 2016 by Schattenblick

Charlotte Newiadomsky
Foto: © 2016 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Vor einigen Jahren haben Sie zur Wasser- und Energieverfügbarkeit in Chile gearbeitet. Was waren dabei Ihre wichtigsten Erkenntnisse?

Charlotte Newiadomsky (CN): Das war in meiner Masterarbeit. Damals habe ich mir angeschaut, wieviel Strom theoretisch aus Versorgungskanälen, die durch Santiago laufen, erzeugt werden könnte. Das wurde dort überhaupt nicht berücksichtigt. Zudem bestand das Problem, daß sie sehr von Schmelzwassern aus den Anden abhängig sind. Im Rahmen dieser Arbeit war mir aufgefallen, daß Nachhaltigkeit und Klimawandel für die Administration eigentlich gar keine Themen waren - zumindest galt das damals, im Jahr 2011.

Zudem fand ich die bestehenden Wasserrechte problematisch. Wenn ein großer Betrieb oder ein Wasserkraftwerk sagt, es brauche soundsoviel Kubikmeter Wasser pro Jahr, dann wird das einfach, ohne Rücksicht darauf, ob noch genügend beispielsweise für die Bauern übrigbleibt, genommen.

SB: Arbeitet das SWK-Energiezentrum E² der Hochschule Niederrhein noch an einem Maßnahmenkatalog zur Energieeffizienz in einem unternehmensübergreifenden Energieverbund oder ist das Projekt bereits abgeschlossen?

CN: Das Projekt ist abgeschlossen. Es lief bis Juni 2015, der Maßnahmenkatalog ist insoweit fertig. Aber wir arbeiten zur Zeit daran, um mit einzelnen Unternehmen, die an dem Projekt teilgenommen haben, noch weiter forschen zu können. Eines der Unternehmen hat unseren Vorschlag aufgegriffen und mehr energiesparende LED-Lampen in seinen Hallen eingesetzt. Andere haben unsere Vorschläge zur Installation von Photovoltaikanlagen auf ihren Dachflächen aufgegriffen und ein Unternehmen ist gerade dabei, größtenteils alles das umzusetzen, was wir vorgeschlagen haben.

SB: Mit wie vielen Unternehmen standen Sie bei dem Projekt in Kontakt?

CN: Das Gesamtprojekt war recht groß, es müssen über 20 Unternehmen gewesen sein. Allein in dem Arbeitspaket 3 zur Energieeffizienz, an dem ich gearbeitet habe, waren es sechs Unternehmen.

SB: Haben Sie schon Rückmeldungen zu der Frage erhalten, ob sich die Investitionskosten des Umbaus ökonomisch gelohnt haben?

CN: Bei dem Unternehmen, das die LEDs eingebaut hat, auf jeden Fall. Die hatten sich einen Lichtberater geholt, der unsere Vorschläge umgesetzt hat, und haben berichtet, daß sich die Investitionskosten in drei Jahren amortisiert haben werden. Danach würden sie dann nur noch sparen. Ein anderes Unternehmen hat auf unsere Empfehlung hin eine spezielle Kältemaschine aufgestellt. Die wird gerade installiert oder ist bereits in Betrieb gegangen. Somit dürfte die Rechnung zur Amortisation noch nicht abgeschlossen sein, weswegen von daher noch keine Rückmeldung vorliegt, wie sich das tatsächlich ausgewirkt hat.

SB: Wenn Sie Ihre eigenen Forschungen zur Energieeffizienz betrachten, halten Sie es für machbar, einen Industriestandort wie Deutschland komplett auf die Versorgung mit sogenannten erneuerbaren Energien umzustellen?

CN: Das ist von der Frage abhängig, in welchem Zeitraum das geschehen soll. Wenn man von dem Datum 2030 ausgeht, von dem überall gesprochen wird, so glaube ich nicht, daß wir das bis dahin schaffen. Das liegt meiner Meinung nach unter anderem daran, daß das Stromnetz dafür nicht geeignet ist. Es ist so aufgebaut, daß wir ohne weiteres viel Strom aus Atom- und Kohlekraftwerken einspeisen können und es dennoch "stabil" bleibt. Das "Problem" bei Erneuerbaren ist jedoch, daß die fluktuierend produzieren und dann sofort einspeisen dürfen. Das Netz ist nicht dafür ausgelegt, daß die Belastung dauernd hoch und runter geht. Das kann teilweise jetzt schon zu Problemen führen.

Ein Beispiel dafür ist die Sonnenfinsternis im letzten Jahr. Zuvor war eine breite Diskussion über die Frage aufgekommen, wie man bewerkstelligt, daß nicht das Netz zusammenbricht, obwohl die Sonne plötzlich komplett verschwunden sein wird und dann auf einmal wiederkommt. Das ist ein Paradebeispiel dafür, daß das jetzt schon nicht funktioniert, und der Umbau des Stromnetzes geht nur sehr langsam vonstatten.

SB: Wissen Sie, wie das Stromnetz letztlich auf die Sonnenfinsternis reagiert hat? Sind die erwarteten netztechnischen Probleme aufgetreten?

CN: Nein, man hat nach Rücksprache mit den Wissenschaftlern ausgerechnet, wie sich das Stromnetz verhalten wird, wenn die Sonne verschwindet. Denn die wird ja nicht ausgeknipst, und dann ist es dunkel, sondern sie verschwindet Stück für Stück. Wenn ich das richtig erinnere, hat man die Grundlast weiterfahren lassen - die Grundlast wird immer von Atomkraftwerken und den meisten Kohlekraftwerken zur Verfügung gestellt -, und dann hat man immer sukzessive zum Stand der Sonne versucht, gegenzusteuern, so daß es genau zu dem Zeitpunkt, an dem die Sonne wieder voll da war, zu keiner überlastenden Spitze im Netz kam. Ich glaube, man hat dafür unter anderem Pumpspeicherkraftwerke eingesetzt. Das hat funktioniert. Ich habe jedenfalls nicht gehört, daß durch die Sonnenfinsternis irgendwelche großen Schäden entstanden wären.

SB: Hat man jetzt Erfahrungen gesammelt, so daß das Stromnetz bei einer Sonnenfinsternis im Prinzip steuerbar wäre?

CN: Genau, zumindest was die Erzeugung erneuerbarer Energien angeht. Ein Problem könnte es geben, wenn irgendwo ein Netz zusammenbricht und das nicht abgefangen werden kann - nicht nur in Deutschland, sondern auch in einem der Nachbarländer, weil die Netze miteinander verschachtelt sind.

SB: Wenn die Industrie Kosten spart, weil sie energieeffizienter arbeitet, könnte sie ihre Produkte billiger herstellen. Die Folge wäre womöglich, daß sie mehr Produkte als zuvor verkauft und in der Summe keine Energie eingespart würde. Wie schätzen Sie die Gefahr ein, daß der hier beschriebene Rebound-Effekt Bemühungen zur Energieeffizienz wieder zunichte macht?

CN: Die Gefahr ist ziemlich präsent. Ein klassisches Beispiel ist die Umstellung von Kohlefaserglühbirnen auf Wolframglühbirnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Letztere waren wesentlich sparsamer im Verbrauch, und die energieerzeugende Industrie hat geklagt: Unser Markt wird zusammenbrechen, die Leute kaufen nur noch die energiesparenden Glühbirnen! Sie hatte dann eine Marketingaktion gestartet, und im Endeffekt war es wirklich so, daß die Menschen viel mehr Glühbirnen gekauft und am Ende mehr Strom verbraucht haben als zuvor. Ich vermute, so etwas wird wieder geschehen. Die Gefahr ist auf jeden Fall gegeben.

SB: Abgesehen von der Energieeffizienz könnte man den Energieverbrauch auch über Suffizienz, also Genügsamkeit, verringern. Befassen Sie sich in Ihrer Forschung auch mit Suffizienzideen?

CN: Kaum. Was auch daran liegt, daß wir viel mit Industriepartnern zusammenarbeiten und bei deren Aufträgen dem Wunsch nach einem wirtschaftlichen Vorteil durch höheren Umsatz oder eingesparte Energie begegnen müssen. Deshalb ist Suffizienz in unserem Forschungsbereich wenig vertreten.

SB: Wie sehen Ihre nächsten Forschungsprojekte aus?

CN: Ein Forschungsprojekt, das ich beantragt habe, für das ich noch auf die Rückmeldung warte, geht in die Richtung meines Vortrags. Ich möchte schwerpunktmäßig ein Computermodell erstellen, in das die Klimaprognosen einfließen und in dem ich auch den Strommarkt an sich - zum Beispiel aus Deutschland - darstellen kann. Daran soll abzulesen sein, wie sich der Klimawandel auf den Strompreis auswirken könnte. Hintergrund ist der Gedanke, daß nicht mehr genügend Wasser zur Verfügung steht und sich die Konkurrenzsituation rund um den Wasserbedarf verschärft, so daß die Erzeugung von Strom teurer werden wird. Eine Frage lautet dann, wie sich das beispielsweise in fünfzig Jahren auf den Preis auswirken könnte.

Dazu rechne ich dann noch den Ausbau erneuerbarer Energien ein, wobei ich zur Grundlage der Prognosen zunächst einmal das nehme, was die Bundesregierung an Vorhaben angekündigt hat. Darüber hinaus gibt es aber noch von unterschiedlichen Forschungsinstituten Vorschläge zur Energieversorgung. Die werden dann in den Vergleich gestellt zu dem, was die Bundesregierung plant.

Ansonsten arbeiten wir noch an einem Antrag, bei dem wir Untersuchungen zum Einsatz von Eisspeichern durchführen. Es geht um die Frage, wie man Eisspeicher nutzen kann, um die Fluktuation im Stromnetz durch die erneuerbaren Energien auszugleichen. Bei dieser Art der Speicherung wird Energie, die nicht gebraucht wird, genutzt, um Wasser zu gefrieren. Wenn man die Energie braucht, könnte man das Eis erwärmen und den Dampf zur Stromerzeugung nutzen. Da hat man natürlich hohe Übertragungsverluste.

Außerdem haben wir gerade ein Projekt laufen, das nennt sich KWK-Inno.Net Krefeld. Da werden in verschiedenen Gebäuden der Stadt Krefeld BHKWs, also Blockheizkraftwerke anstelle von Heizkesseln eingebaut. Die BHKWs können von den Stadtwerken angesteuert werden. Wenn dann zum Beispiel Strom an der Börse besonders teuer verkauft würde und gleichzeitig die Wärme nicht gebraucht wird, dann könnten die BHKWs trotzdem angeschaltet werden, damit sie Strom erzeugen, der ins Netz eingespeist wird.

Das nennt sich virtuelles Kraftwerk. Man kann praktisch extern steuern, welches BHKW zu welchem Zeitpunkt angeht und ob es Strom oder Wärme erzeugt, je nachdem, was man da gerade haben möchte. Da ließe sich auch das Fernwärmenetz von Krefeld einbinden.

SB: Frau Newiadomsky, vielen Dank für das Gespräch.


Die bisherige Berichterstattung im Schattenblick zu dieser Veranstaltung finden Sie unter: INFOPOOL → UMWELT → Report:

BERICHT/119: Vielfaltig nachhaltig - ohne Konsequenzen ... (SB)
INTERVIEW/231: Vielfaltig nachhaltig - kleidsam umweltgerecht ...    Prof. Walter Leal Filho im Gespräch (SB)
INTERVIEW/232: Vielfaltig nachhaltig - Webfehler ...    Dr. Edgar Göll im Gespräch (SB)
INTERVIEW/236: Vielfaltig nachhaltig - Ziel verfehlt, die Richtung stimmt ...    Dr. Silke Stöber im Gespräch (SB)

17. Juli 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang