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INTERVIEW/242: Gitterrost und Permafrost - am Beispiel Mars ...    Dr. Andreas Johnsson im Gespräch (SB)


11. Internationale Permafrostkonferenz (ICOP) vom 20. bis 24. Juni 2016 in Potsdam

Dr. Andreas Johnsson über Analogien zwischen Permafrost-Landschaftsformen auf der Erde und dem Planeten Mars


Fast ein Viertel der Landoberfläche der Erde zählt zur Permafrostzone. Das bedeutet, daß hier mindestens zwei Jahre lang ununterbrochen Temperaturen unter dem Gefrierpunkt herrschen. Das gilt für die Polargebiete sowie die Hochgebirge. Unser Nachbarplanet Mars dagegen weist auf allen Breiten Permafrost auf. Auch wenn die Temperaturen dort tagsüber beispielsweise in Höhe des Äquators auf +20 Grad steigen können, kühlt die Region nachts auf -85 Grad ab.

So wundert es nicht, daß der Mars ebenfalls ein Forschungsgegenstand war, über den auf der 11. Internationalen Permafrostkonferenz (ICOP), die das Alfred-Wegener-Institut Helmholtz Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) vom 20. bis 24. Juni 2016 in Potsdam organisiert hat, berichtet wurde. Als Stellvertreter von Dr. Ernst Hauber (DLR - Institut für Planetenforschung), der verhindert war, hielt der schwedische Permafrostforscher Dr. Andreas Johnsson vom Department of Earth Sciences der Universität Göteborg einen Vortrag über Analogien von Svalbard und der Antarktis zur jüngsten Klimaentwicklung des Mars. [1]

Vor vier Jahren hatte der schwedische Wissenschaftler seine Doktorarbeit mit dem Titel "Cold-climate landforms on Mars and Earth-analogues in Svalbard" [2] vorgelegt, was ihn natürlich dazu prädestinierte, für den ursprünglich vorgesehenen Referenten einzuspringen.


Porträt - Foto: © 2016 by Schattenblick

Dr. Andreas Johnsson
Foto: © 2016 by Schattenblick

Vermutlich besaß der Mars einst ein Klima ähnlich dem der Erde, heute ist seine Atmosphäre jedoch weitgehend verschwunden. Nicht zuletzt das Anliegen, mehr über die Umstände dieses Verlustes herauszufinden, um die Frage zu beantworten, ob das gleiche mit der Erde passieren kann, begründet die Marsforschung.

Anhand von Oberflächenformen, die auf Satellitenbildern des Mars zu erkennen sind, und Vergleichen mit ähnlich aussehenden Landformen auf der Erde versuchen Forscher wie Johnsson die Entstehungsgeschichte des Marsklimas, aber auch die aktuellen Entwicklungen auf dem roten Planeten zu verstehen. Dort wurde zwar noch kein fließendes Wasser nachgewiesen, aber die Bilder vom Mars zeigen Landschaften, die möglicherweise unter Beteiligung von fließendem Wasser gebildet wurden: Lange Rinnen, Flußterrassen, Schwemmfächer ähneln so sehr irdischen geomorphologischen Formen, daß die Forschung versucht, über Analogien von der Erde auf den Mars zu schließen. Und umgekehrt, wie Dr. Johnsson gegenüber dem Schattenblick berichtete ...


Schattenblick (SB): Sie sind Co-Autor einer geomorphologischen Studie zum Mars, die Sie in Ihrem heutigen Vortrag vorgestellt haben. Was war Ihr eigener Schwerpunkt bei dieser Arbeit?

Dr. Andreas Johnsson (AJ): Die Studie ist Bestandteil eines umfangreicheren Projekts, das seit 2008 läuft. Damals haben wir die Umgebung Svalbards als Analogie für viele Oberflächenformen, die wir auf dem Mars erkennen können, ausgewählt. Obwohl es auf der arktischen Inselgruppe feuchter ist, gilt sie als polare Wüste und erinnert damit an den Mars. Svalbard hat zudem den Vorzug, daß es relativ leicht zu erreichen ist. Das norwegische Außenministerium unternimmt einige Anstrengungen, um Wissenschaftlern einen einfachen Zugang zu den Inseln zu ermöglichen.

Das Projekt begann mit einer Meßkampagne per Flugzeug, die von der DLR in Berlin organisiert worden war. Dabei wurde eine hochauflösende Stereokamera - HRSC - eingesetzt, wie sie bereits auf der Sonde Mars Express [3] verwendet wird. Mit der HRSC werden Aufnahmen gemacht, die sehr präzise Höhenangaben zulassen, was für uns Geomorphologen besonders wichtig ist. Und auch die Bildaufnahmen dieser Kameras sind von der Auflösung her vergleichbar mit der HiRISE [4] an Bord der Sonde Mars Reconnaissance Orbiter. Die hat eine Pixelauflösung von rund 25 Zentimetern, wodurch eine Menge Details auf der Oberfläche erkennbar werden.

Bei der Kampagne hatten wir eine Reihe von Untersuchungsgebieten auf Svalbard ausgewählt, die ich selbst mit einigen Kollegen zuvor besucht hatte, da sie sich für einen Vergleich zum Mars gut eigneten. Später sind wir dann für zusätzliche Untersuchungen noch einmal raus ins Feld gegangen, um festzustellen, was wir auf den Aufnahmen der ausgewählten Gebiete und den Satellitenbildern genau nicht erkennen können, also welche Art von Informationen sich unseren Augen trotz der hohen Bildauflösung entzieht.

Es ist wirklich verblüffend, wenn man sich manche Landschaften auf dem Mars anschaut und diese mit Svalbard vergleicht, daß es eine Vielzahl ähnlicher Oberflächenformen gibt. Deshalb hilft uns so ein Vergleich, um darüber die Umweltbedingungen auf dem Mars, die solche Oberflächenformen und Landschaften entstehen lassen, näher zu bestimmen.


Foto: Courtesy NASA/JPL-Caltech, freigegeben als gemeinfrei

Diese beiden Aufnahmen mit der Hochleistungskamera HiRISE auf der NASA-Raumsonde Mars Reconnaissance Orbiter zeigen, daß sich auf dem Mars an einem Kraterhang in der Region Terra Sirenum eine neue Rinne gebildet hat. Die Aufnahme links stammt vom 5. November 2010 und rechts vom 25. Mai 2013.
Fotos: Courtesy NASA/JPL-Caltech, freigegeben als gemeinfrei

SB: Sie haben in Ihrem Vortrag gezeigt, daß manche Oberflächenformen des Mars denen der Erde ähneln. Landschaften sind jedoch immer ein Produkt ihrer Umwelt, und die Einflüsse auf dem Mars mit seiner extrem dünnen Atmosphäre unterscheiden sich sehr von denen auf der Erde. Gibt es Vergleichsmessungen jenseits der visuellen Beobachtung?

AJ: Sie sprechen da einen sehr wichtigen Punkt an. Natürlich bemühen wir uns, mit unseren Interpretationen dessen, was wir auf dem Mars sehen, sehr vorsichtig zu sein. Deswegen betrachten wir die Bildauswertung als ersten Schritt der Annäherung an die Fragen, die wir lösen wollen.

Was das Klima auf dem Mars angeht - ja, das ist natürlich sehr viel anders als auf der Erde. Das Marsklima hat sich in astronomischen Zeiträumen dramatisch gewandelt, was mit der stärkeren Neigung der Drehachse unseres Nachbarplaneten zu tun hat. Eine Frage für Klimamodellierer lautet daher, wie stark sich das Klima bei der jeweiligen Achsneigung geändert hat.

Es wartet noch eine Menge Arbeit auf uns, um die Einflüsse von Erwärmung, der Wolkenbildung, des höheren solaren Inputs auf die höheren Breiten des Mars im Falle einer Verschiebung der Achsneigung und so weiter zu erfassen. In diesem Sinne muß ich sagen: Ja, Svalbard ist kein guter Vergleich für den heutigen Mars, aber vielleicht doch für die Klimaverhältnisse auf dem früheren Mars.


Mächtiges, eisbedecktes Gebirgsmassiv mit von Erosion zerfurchtem Steilhang und talwärtigen Geröllaufschüttungen - Foto: DLR, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Wikimedia Commons

Boggs Valley, Ostantarktis, Februar 2016. Expedition GANOVEX 11 des DLR-Instituts für Planetenforschung mit Ernst Hauber und anderen. Bei dieser Expedition geht es laut den Teilnehmenden darum, "für die internationale Planetenforschung noch unbekannte antarktische Gebiete zu erkunden und gemäß ihrer geologisch-geomorphologischen Besonderheiten mit Strukturen auf dem Mars zu vergleichen". (http://www.dlr.de/blogs/home/space.aspx)
Foto: DLR, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Wikimedia Commons


Steilhang mit vermuteten Rinnen und talwärtigen Erosionsaufschüttungen - Foto: NASA/JPL/University of Arizona, modifiziert durch Jim Secosky, freigegeben als gemeinfrei

Rinnen auf dem Mars an einem Steilhang (49.5 N and 325.3 E). Aufnahme mit der Kamera HiRISE, 5. Juli 2012.
Foto: NASA/JPL/University of Arizona, modifiziert durch Jim Secosky, freigegeben als gemeinfrei

SB: Sie sind auch in die Antarktis gereist und haben dort Oberflächenformen gesucht, die man mit denen des Mars vergleichen kann.

AJ: Ja, es war für uns eine großartige Gelegenheit, in die Antarktis zu reisen, um gewissermaßen bessere Analogien für den heutigen Mars zu finden. Das Untersuchungsgebiet war bislang kaum erforscht worden. Es wurde zwar eine Handvoll Arbeiten zu jener Region veröffentlicht, aber geomorphologische Studien befinden sich nicht darunter. In die Antarktis zu gehen und nicht zu wissen, was uns dort erwartet, war daher überaus faszinierend. In dieser Umgebung haben wir von vornherein sehr starke Einschränkungen der Parameter, beispielsweise fällt dort kein Regen, und so können wir beobachten, wie sich einige Oberflächenmerkmale entwickeln, die erneut beeindruckende Ähnlichkeiten sowohl zu Svalbard als auch zum Mars aufweisen.

Um noch einmal auf Ihre Eingangsfrage zurückzukommen: Die Klimamodellierung ist nicht so sehr mein Teil an der Forschung, ich bin eher ein Bildanalytiker und Feldforscher. Aber wenn man das alles zusammennimmt, kann man die Vorgänge und Geländeformen auf dem Mars aus jüngerer Zeit besser verstehen. Wenn ich von "jüngerer Zeit" spreche, meine ich damit, innerhalb der letzten paar Millionen Jahre! Vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet ist das ein sehr langer Zeitraum.

Was meine eigene Forschungsarbeit anbetrifft - lappenartige Geländeformen -, so scheinen diese der Solifluktion auf der Erde zu ähneln. Das ist interessant, weil es impliziert, daß auf dem Mars zu bestimmten Zeiten etwas geflossen sein muß. Das wäre natürlich auch für das Leben, wie wir es kennen, von großer Bedeutung. In dieser Frage überschneiden sich unsere Forschungen beispielsweise mit denen der Astrobiologie.

Solifluktion war auch einer meiner Forschungsschwerpunkte, als ich auf Svalbard war. Von Solifluktion spricht man, wenn der Boden an einem Hang auftaut. Man hat dort den Permafrost und im oberen Bereich die aktive Schicht. Das ist der Bereich, der während der warmen Jahreszeit in einem Permafrostboden auftaut. Im Frühling und Sommer bildet sich die aktive Schicht, wird gesättigt durch das Wasser aus dem schmelzenden Eis innerhalb des Erdreichs oder durch schmelzende Schneebedeckungen; auf Svalbard natürlich auch durch Regen. Die Sättigung des Bodens und der wiederholte Temperaturwechsel um den Gefrierpunkt herum erzeugen eine Umwelt, in der die aktive Schicht anfängt, allmählich den Hang hinunterzukriechen. Abhängig von dem Hauptbestandteil des Bodens und anderen Faktoren entwickeln sich lappenähnliche Gebilde mit sehr ausgeprägtem Aussehen. Es war allerdings nicht ohne Widerspruch geblieben, daß wir Marsformen als Solifluktionshänge interpretieren. Wie ich schon sagte, impliziert das fließfähige Substanzen nahe der Oberfläche.

SB: Deuten nicht auch die rinnenartigen Strukturen, die Sie in Ihrem Vortrag erklärten, auf Fließvorgänge?

AJ: Das ist eine spannende Geschichte. Als diese Rinnen im Jahr 2000 entdeckt wurden, lautete die erste Hypothese, die veröffentlicht wurde, daß es sich um grundwassergespeiste Landformen handelt. Unter der Oberfläche gebe es Ansammlungen von Wasser, das an den Hängen ausbreche und solche Rinnen bilde, hieß es. Dann untersuchten andere Forscher diese Erscheinungsformen und erklärten, es gebe keinerlei Hinweise auf Aquifere, wahrscheinlicher sei, daß die Rinnen durch eine Schneeschmelze oder schmelzendes Bodeneis entstanden sind.

In jüngerer Zeit wurde entdeckt, daß sich zumindest einige der Rinnen unter den heutigen Bedingungen gebildet haben müssen und daß dabei wahrscheinlich gefrorenes CO2 beteiligt war. Auf einmal haben wir also ein Szenario, bei dem nicht mehr notwendigerweise die Existenz von Wasser angenommen werden muß, was bedeuten würde, daß unsere Analogie zur Erde von Anfang an ein Irrtum war. Denn auf der Erde existiert kein gefrorenes CO2.

SB: Wie stellt sich die Forschung vor, daß CO2-Eis Rinnen in der Landschaft erzeugt?

AJ: Wenn wir CO2-Ablagerungen oder im Winter CO2-Schnee haben, wird dieser im Frühling und Sommer sublimieren [5]. Das CO2-Gas kann innerhalb der Bodensedimente oder Regolith-Schichten [6] einen sehr hohen Druck erzeugen, was zur Destabilisierung führen und somit gas-induzierte Landrutschungen auslösen kann.

Es wird allerdings noch darüber debattiert, ob CO2 der Hauptfaktor der Rinnenbildung ist oder ob es sich um einen sekundären Vorgang handelt. Vielleicht war Wasser in der Vergangenheit stärker an der Landformung beteiligt. Auf der Antarktis wiederum gibt es kein CO2-Eis. Dort haben wir jedoch eine Schneebedeckung, die schmelzen könnte und genügend Flüssigkeit erzeugt, um Sedimente zu separieren und dann diese Schuttablagerungen zu erzeugen.

Immer diese "könnte" und "vielleicht" - das sind wirklich knifflige Fragen. Wenn man Oberflächenformen miteinander vergleicht, darf man nicht vergessen, was wir in der Geomorphologie als Äquivalenz bezeichnen: Ähnlich aussehende Landformen sind durch völlig verschiedene Prozesse entstanden. Und dazu werden in der Literatur über die Marsmorphologie zahlreiche Beispiele beschrieben. Beispielsweise könnten bestimmte Hügel entweder Pingos [7], Krater oder Schlammvulkane sein.


Reihen von girlandenartigen, dunkleren Verfärbungen an einem Hang - Foto: NASA/JPL/University of Arizona/modifiziert durch Andreas Johnsson, freigegeben als gemeinfrei via Wikimedia Commons

Möglicherweise Hinweise auf Solifluktion in der Marsregion Acidalia Planitia. Aufnahme mit der Kamera HiRISE, 3. Oktober 2014.
Foto: NASA/JPL/University of Arizona/modifiziert durch Andreas Johnsson, freigegeben als gemeinfrei via Wikimedia Commons


Reihen von girlandenartigen Verfärbungen (vermutlich Gras) an einem Hang - Foto: U.S. National Archives and Records Administration, freigegeben als gemeinfrei via Wikimedia Commons

Solifluktion an einem grasbewachsenen Hang, östlich der Pipeline Route oberhalb des Dietrichflusses, Alaska, August 1983.
Foto: NASA/JPL/University of Arizona/modifiziert durch Andreas Johnsson, freigegeben als gemeinfrei via Wikimedia Commons

SB: Warum interessiert sich die Wissenschaft so sehr für die jüngere Klimaentwicklung des Mars?

AJ: Einige Wissenschaftler sind eher in Sorge über den frühen Mars und bemühen sich zu begreifen, was dort passiert ist. Das Marsklima ähnelte in der ersten Phase der Entwicklung dem der Erde. Es gab sehr viel Wasser auf der Oberfläche - Flüsse, Seen und vielleicht sogar einen Ozean. Durch eine Reihe von Einflüssen während der Hesperion-Periode [8] wie den Auswirkungen von Sonnenwind, Kometeneinschlägen und Asteroidentreffern geschah etwas, das in der Literatur als Atmosphären-Kollaps beschrieben wird. Der Mars hat in dieser Zeit einen großen Teil seiner Atmosphäre verloren.

In dieser Zeit begannen die Wasserstellen, saurer zu werden, sie wurden flacher und trockneten schließlich aus. Wir wissen inzwischen, daß ein erheblicher Teil des Wassers in gefrorenem Zustand an den Polen und als Bodeneis vorliegt. Ein großes Fragezeichen steht jedoch hinter der Frage, wie es in größerer Tiefe unter der Marsoberfläche aussieht. Die Kruste des Mars ist dicker als die der Erde und man nimmt an, daß sie durchlässiger ist. Deshalb könnte dies ein Reservoir für was auch immer bilden, beispielsweise Wasser. Bis jetzt haben wir jedoch keine Hinweise auf die Existenz von Grundwasser in flüssiger Form. Man weiß nicht, ob es existiert.

Der Mars ist einzigartig in der Hinsicht, daß er die Evolution des gesamten Sonnensystems repräsentiert. Auf der Oberfläche des Planeten ist sogar noch vier Milliarden Jahre altes Gestein anzutreffen. Man kann an den Oberflächenformen die Ereignisse von den Anfängen des Planeten bis zum heutigen Tag ablesen, denn die Erosion war über lange Strecken so schwach, daß zumindest die größeren geologischen Ereignisse in der Landschaftsform erhalten geblieben sind. Außerdem findet auf dem Mars im Unterschied zur Erde keine Plattentektonik statt, so daß die oberflächlichen Gesteinsschichten auch nicht abtauchen und verschwinden.

Aber wenn man auf die heutige Zeit schaut, sehen wir Landschaften, die vom Klimawandel dominiert sind, und etliche der Erscheinungsformen auf dem Mars kann man deutlich mit dem in Zusammenhang bringen, was wir in der Arktis und Antarktis auf der Erde an Landschaftsformen antreffen.

Eis und der mögliche Wechsel des Aggregatzustands zu Wasser ist auch deshalb von Interesse, weil das die Frage der Lebensentstehung berührt. Sollte jemals Leben auf dem Mars existiert haben, stellt sich die Frage, ob es genügend Zeit gehabt hat, sich an die heutigen Umweltbedingungen anzupassen. Oder werden wir zumindest Spuren von einstigem Leben entdecken? Gletscher wären ein guter Aufbewahrungsort für Biosignaturen. Vielleicht sind diese Rinnen, ob sie von Wasser oder CO2 gebildet wurden, lokale Nischen, in denen Leben zeitweise gedeihen kann. Das wissen wir nicht, aber es bietet uns sozusagen eine Art Kompaß, wo wir mit der Suche anfangen könnten.

SB: Wenn es einst auf dem Mars einen Ozean, Flüsse und Seen gab, bedeutet das dann, daß der Permafrost erst nach dem Verlust der Atmosphäre entstand?

AJ: Einige Forscher würden antworten, daß es die Kryosphäre auf dem Mars schon immer gegeben hat. Der Mars sei vermutlich fast seine gesamten Geschichte über kalt gewesen. Was man auf seiner Oberfläche sehe, habe keine direkte Verbindung zu dem, was unter der Oberfläche ablaufe, weil dazwischen die Kryosphäre liegt. Das halte ich für ein wahrscheinliches Szenario. Jedoch können wir einige der Oberflächenformen wie beispielsweise die Ausflußtäler, die eine weitere fluviale Landform sind, anscheinend nicht auf das Klima zurückführen. Wahrscheinlicher ist, daß es sich um ältere Ausbrüche von Grundwasser handelt, die im Verlauf der gesamten Marsevolution aufgetreten sind.

SB: Hoffen die Marsforscher, Analogien nicht nur von der Erde zum Mars, sondern umgekehrt auch vom Mars auf die Erde einsetzen zu können?

AJ: Aber sicher, besuchen Sie mich bei meinem Poster! (lacht) Ich ringe zur Zeit mit diesem Problem. Das Projekt befindet sich noch in einer frühen Phase. Aber in Nordschweden haben wir eine Landschaft mit Moränen, die einzigartig sind, sie nennen sich Veiki-Moränen. Es handelt sich um kreisförmige bis elliptische Erhebungen, leicht plateauartig abgeflacht, der Rand etwas höher. Es gibt eine Handvoll Wissenschaftler, die sich mit der Entstehung dieser Formen befassen. Wir kennen ähnliche Formen aus Nordamerika, die sich nicht völlig gleichen, aber verwandt sein dürften.

Die Frage lautet nun, wie sie entstanden sein könnten. Sicher ist, daß sie nicht während der letzten Eiszeit entstanden sind. Sie müssen schon älter sein, denn sie wurden später beispielsweise von Drumlins [9] überprägt. Wir haben keine modernen Vergleichsformen für sie auf der Erde. Ein Vorschlag lautet, daß sie am stagnierenden Rand von Eisschilden entstanden sind. Auch auf dem Mars finden sich ähnliche Formen, die aber wiederum nicht eindeutig mit Gletschereis in Verbindung stehen.

Sie sind auf dem Mars offenbar sehr viel verbreiteter als auf der Erde. Da kam die Idee auf, daß der Mars uns etwas über ihre Genese auf der Erde verraten könnte. Aber vielleicht haben wir es hier mit einem weiteren Beispiel dafür zu tun, wie verschiedene Prozesse zu ähnlichen Landformen führen. Ich hoffe, hier auf der Konferenz einige Anregungen vom Rest der Community zu erhalten, um herauszufinden, was wir davon zu halten haben.

SB: Herr Johnsson, vielen Dank für das Gespräch.


Satellitenaufnahme des Mars - Foto: ESA/DLR/FU Berlin, CC BY-SA 3.0 IGO [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/igo/]

Westteil der Arda Valles auf dem Mars in Echtfarben. Das Landschaftsbild ist von verschiedenen geologischen Prozessen geprägt, beispielsweise ein Netz von kleinen Tälern (linke Bildhälfte), vermutlich aus der Frühzeit des Planeten.
Foto: ESA/DLR/FU Berlin, CC BY-SA 3.0 IGO [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/igo/]


Fußnoten:


[1] Der Titel des Vortrags lautet: "Towards reconstructing the very recent climate on Mars: Insights from terrestrial analogues in the Arctic and Antarctica", Ernst Hauber et al.

[2] https://gupea.ub.gu.se/bitstream/2077/29291/5/gupea_2077_29291_5.pdf

[3] Die ESA-Sonde Mars Express erreichte am 23. Dezember 2003 den Mars.

[4] HiRISE steht für High Resolution Imaging Science Experiment. Diese hochauflösende Stereokamera befindet sich an Bord der NASA-Sonde Mars Reconnaissance Orbiter, die seit 2006 im Orbit des roten Planeten kreist.

[5] Sublimation wird der Prozeß des Übergangs eines Stoffes vom festen in den gasförmigen Aggregatzustand genannt, ohne daß er sich zwischenzeitlich verflüssigt hat.

[6] Als Regolith wird das Lockermaterial bezeichnet, das auf dem Mars (und anderen Gesteinsplaneten des Sonnensystems) weit verbreitet ist.

[7] Pingos gehören zu den auffälligsten Erscheinungsformen einer Permafrostlandschaft. Diese runden Hügel entstehen aus Eislinsen im oberen Bodenbereich, die immer mehr Wasser anziehen und dadurch wachsen.

[8] Das Alter des Mars wird mit 4,5 Milliarden Jahren angegeben, und es werden drei große Zeitalter beschrieben:
- Noachische Periode (4,5 - 3,5 Mrd. Jahre)
- Hesperische Periode (3,5 - 1,8 Mrd. Jahre)
- Amazonische Periode (1,8 Mrd. Jahre bis heute)

[9] Drumlins (von irisch droimnín "kleiner Rücken", "Höhenrücken") sind hügelartige Hinterlassenschaften von Gletschern. Sie erreichen eine Länge von mehreren 100 Metern bis mehreren Kilometern und Höhen von 10 bis 40 Metern. Die stromlinienförmigen Drumlins entstanden unterhalb des sich aktiv bewegenden Gletschers und zeigen die Richtung seines Vorstoßes an. Sie treten häufig in Gruppen auf, mal in Fächerform, mal gestaffelt.


Bisher im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT zur Permafrostkonferenz in Potsdam erschienen:

INTERVIEW/227: Gitterrost und Permafrost - Zahlenspiele, Umweltziele ...    Prof. Hans-Wolfgang Hubberten im Gespräch (SB)
INTERVIEW/228: Gitterrost und Permafrost - Schrittmacher Menschenhand ...    Prof. Guido Grosse im Gespräch (SB)
INTERVIEW/229: Gitterrost und Permafrost - bedingt prognosesicher ...    Prof. Antoni Lewkowicz im Gespräch (SB)
INTERVIEW/230: Gitterrost und Permafrost - zivile Katastrophen ...    Dr. Tingjun Zhang im Gespräch (SB)
INTERVIEW/234: Gitterrost und Permafrost - Flirt mit Ideen, Karriere mit konservativen Methoden ...    Dr. Anne Morgenstern im Gespräch (SB)
INTERVIEW/235: Gitterrost und Permafrost - nicht hören, nicht sehen ...    Dr. Torre Jorgenson im Gespräch (SB)
INTERVIEW/238: Gitterrost und Permafrost - maßstabslos ...    Prof. Duane Froese im Gespräch (SB)
INTERVIEW/239: Gitterrost und Permafrost - Pragmatik trifft Unberechenbarkeit ...    Prof. emer. Wilfried Haeberli im Gespräch (SB)
INTERVIEW/241: Gitterrost und Permafrost - terrestrische Wandlungen ...    Dr. Merritt Turetsky im Gespräch (SB)


26. Juli 2016


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