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INTERVIEW/245: Gitterrost und Permafrost - CO2 und Wiederkehr ...    Dr. Peter Köhler im Gespräch (SB)


11. Internationale Permafrostkonferenz (ICOP) vom 20. bis 24. Juni 2016 in Potsdam

Dr. Peter Köhler über einen abrupten CO2-Anstieg vor 14.600 Jahren und die Frage, was Permafrost damit zu tun haben könnte


Vor kurzem hat die US-Weltraumbehörde NASA ein Diagramm veröffentlicht, wonach in der ersten Hälfte dieses Jahres die arktische Meereisausdehnung so gering war wie in keinem anderen Vergleichszeitraum seit Beginn der regelmäßigen Satellitenbeobachtung. In einem weiteren Diagramm wird gezeigt, daß noch niemals zuvor eine so hohe globale Durchschnittstemperatur registriert worden ist wie in der ersten Hälfte dieses Jahres. Das von der internationalen Staatengemeinschaft im Klimaschutzabkommen von Paris angestrebte Ziel, die globale Erwärmung möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu beschränken, ist nur wenige Monate nach Verabschiedung dieses Abkommens schon fast erreicht. Dennoch emittiert die Menschheit weiterhin große Mengen des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid (CO2), was zum Überschreiten dieses Ziels und möglicherweise bald darauf auch des weniger ambitionierten 2-Grad-Ziels führen könnte.


Seit 2002 liegt jedes Jahr unter dem Durchschnitt der Meereisausdehnung, wobei sie in der ersten Jahreshälfte 2016 am geringsten war - Schaubild: NASA/Meier

Abweichungen (Anomalien) der Meereisausdehnung (in Mio. qkm) vom Durchschnitt der Periode Januar bis Juni in den Jahren 1981 bis 2010.
Schaubild: NASA/Meier


Die erste Jahreshälfte 2016 ist mit deutlichem Abstand die wärmste seit 1880 - Schaubild: NASA/GISS

Abweichungen (Anomalien) der globalen Durchschnittstemperatur an der Erdoberfläche für jeweils die erste Jahreshälfte (Januar-Juni), gemessen am Zeitraum 1880 bis 1889. Die gestrichelt grüne Linie markiert den Temperaturanstieg um ein Grad. Die erste Jahreshälfte von 2016 ist schon nahe an das sogenannte 1,5-Grad-Ziel herangerückt.
Schaubild: NASA/GISS

Zu den Einflüssen, die bei einer weiteren Erwärmung eine "positive Rückkopplung" erzeugen, wie es in der Klimaforschung heißt, zählt der Permafrostboden. Wenn er auftaut, weil die Erde wärmer wird, könnte mehr CO2 in die Atmosphäre freigesetzt werden, was wiederum die Erwärmung antreiben würde. Möglicherweise aber würde gleichzeitig mehr Kohlenstoff gebunden, weil in den vormaligen Permafrostgebieten mit einem vermehrten Pflanzenwachstum zu rechnen ist.

Die Sache ist also vertrackt. Wie vertrackt sie ist, wurde auf der 11. Internationalen Permafrostkonferenz (ICOP) deutlich, die auf Einladung des Alfred-Wegener-Instituts Helmholtz Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) vom 20. bis 24. Juni 2016 in Potsdam abgehalten wurde. In Hunderten von Vorträgen wurde über den aktuellen Stand der Forschung referiert, wurden teils einander widersprechende Ergebnisse abgewogen und Perspektiven für weitere Studien entworfen.

Welche Kräfte rund um den Permafrost am Ende auch immer überwiegen, die der Bindung oder die der Freisetzung von Kohlenstoff, ohne die Forschung erhielte die Menschheit keine Informationen darüber. Und es liegt nahe, mögliche Trends aus dem herzuleiten, was aus den sogenannten Klimaarchiven herausgelesen werden kann: Die Dicke von Baumringen, die Menge an organischem Material in Seesedimenten und auch die Ablagerungsschichten von Tropfsteinen verraten etwas über frühere Klimata. Diese und viele weitere sogenannte Proxydaten werden von der Wissenschaft ermittelt und als Indizien herangezogen, um das Bild der Klimavergangenheit zu vervollständigen und natürlich um Aussagen über mögliche Entwicklungen in der Zukunft zu treffen.

Am zweiten Tag der ICOP hat der Geowissenschaftler Dr. Peter Köhler vom Alfred-Wegener-Institut einen Vortrag mit dem Titel "Permafrost thawing as a possible source of abrupt carbon release at the onset of the Bølling/Allerød" (z. Dt.: Tauender Permafrost als mögliche Quelle für abrupte Kohlenstofffreisetzung am Beginn des Bølling/Allerød) gehalten. Darin stellte er zunächst eine Studie von ihm und zwei Kollegen vor, die 2014 veröffentlicht wurde [1], und unterzog die Ergebnisse anschließend einer Einordnung aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Am Rande der Konferenz stellte sich Dr. Köhler dem Schattenblick für einige Nachfragen zur Verfügung.


Beim Interview - Foto: © 2016 by Schattenblick

Dr. Peter Köhler
Foto: © 2016 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Könnten Sie für unsere Leserschaft noch einmal erklären, welche Faktoren ausschlaggebend für die abrupte Freisetzung von Kohlenstoff in der jüngeren Erdgeschichte waren?

Peter Köhler (PK): Ich habe mit Hilfe von globalen Kohlenstoffmodellen untersucht, ob man eine Erklärung für den abrupten Anstieg von CO2 während des Beginns der Bølling/Allerød-Warmphase vor 14.600 Jahren finden kann. Damit wird eine von mehreren Klimaschwankungen bezeichnet, die während des Übergangs von der letzten Eiszeit zur jetzigen Warmzeit auftraten. Aus Untersuchungen von Eiskernen wissen wir, daß der CO2-Gehalt damals über einen Zeitraum von weniger als 200 Jahren um mehr als zehn ppm [Anm. d. SB-Red.: parts per million - Teile pro Million] gestiegen ist.

Das spannende für uns war, daß zum gleichen Zeitraum auch Daten aus einem anderen Klimaarchiv vorliegen. Korallen in Tahiti zeigen an, daß während der Bølling/Allerød-Warmphase die Menge an 14C, also an Radiokohlenstoff, in der Atmosphäre abgenommen hatte. Somit lag die Frage auf der Hand, ob beide Veränderungen in den Klimaarchiven mit ein und demselben Prozeß zu erklären sind. Der Ausgangspunkt unserer Frage lautete demnach: Können wir mit unserem Modell überhaupt ein entsprechendes Simulationsergebnis erzeugen? Das konnten wir, und erst danach stellten wir uns der Frage, woher der Kohlenstoff stammen könnte.

Laut unseren Untersuchungen mußte es eine Kohlenstoffquelle sein, die mehr oder weniger frei von 14C ist. Dieses Isotop eignet sich gut dazu, um Kohlenstoff zu datieren, denn 14C zerfällt in der Atmosphäre mit einer Halbwertszeit von etwas mehr als 5000 Jahren. Kohlenstoff mit geringen 14C-Werten wäre demnach sehr alt, d.h. lange Zeit (mehrere Jahrtausende) nicht im Austausch mit der Atmosphäre gewesen. Unsere Analysen haben ergeben, daß vermutlich die abrupte Erwärmung in der Nordhemisphäre zum Beginn des Bølling/Allerød Auftauen von Permafrost und in der Folge zum Freisetzen von altem Kohlenstoff führte und somit für den CO2-Anstieg über einen Zeitraum von 200 Jahren verantwortlich sein könnte. Es ist andererseits nicht unmöglich, daß der Ozean die Quelle für diesen CO2-Anstieg war. Die aus dem Ozean vorliegenden 14C-Meßreihen zeigen jedoch zu jenem Zeitpunkt keine schnelle und abrupte Schwankung, die sowohl die Änderungen im atmosphärischen CO2 wie auch 14C erklären kann.

SB: Schließt das auch die Gashydrate an den Kontinentalrändern als Quelle aus?

PK: Prinzipiell würden Gashydrate ebenfalls eine Quelle von Kohlenstoff ohne 14C sein. Somit hätten auch sie das Signal erklären können, aber es liegen Informationen aus anderen Untersuchungen vor, wonach die Gashydrate zu dem Zeitpunkt vermutlich stabil waren. Es waren isotopische Studien an Eiskernen zu Methan durchgeführt worden, die besagen, daß es zwar just zu dem Zeitpunkt einen starken Methananstieg in der Atmosphäre gegeben hat, aber daß dieser auf unterschiedliche terrestrische Quellen zurückgeht.

SB: Gibt es Abschätzungen darüber, welchen Beitrag die von Ihnen untersuchte, abrupte Freisetzung von Kohlenstoff zum globalen Temperaturanstieg gehabt haben könnte?

PK: Wir reden über eine Freisetzung in der Größenordnung von hundert Petagramm [Anm. d. SB-Red.: 1 Petagramm = 1 Gigatonne = 1 Milliarde Tonnen] Kohlenstoff. Diese Menge Kohlenstoff in Form von CO2 emittiert die Menschheit innerhalb von zehn Jahren. Wir aber reden hier über einen Freisetzungszeitraum von 200 Jahren und somit über einen Effekt, der weniger als einem Zehntel der anthropogenen Emissionsraten von CO2 entspricht. Man gelangt zwar durchaus in den Bereich der Schwankungen, die zu vergleichen von Interesse sind, aber es ist dennoch so, daß das, was momentan anthropogen passiert, deutlich größer und schneller ist und zu stärkeren Änderungen führt.

SB: Würden Sie vermuten, daß es solche abrupten Freisetzungen in Zukunft noch geben kann?

PK: Unsere Studie ist ja quasi ein indirekter Versuch, etwas über die Vergangenheit zu sagen. Wir haben ein globales Signal von CO2 und eines von 14C und versuchen zu erklären, wie es zustandekommen kann. Unser Idee, daß vermutlich die schnelle Schwankung im Permafrost die Quelle war, weist schon in die Richtung, daß so etwas ähnliches auch in der Zukunft passieren könnte. Heute existiert natürlich Permafrost in anderen Gebieten als während des Übergangs von der Eiszeit in die Warmzeit. Damals waren größere Flächen vereist, was bedeutet, daß die Permafrostregionen, die damals getaut sein könnten und als Kohlenstoffquellen fungieren konnten, andere waren als heute. Somit kann man keinen Eins-zu-eins-Vergleich machen und sagen, ähnliches werde heute an gleicher Stelle passieren. Aber auf globaler Ebene kann man das schon.

Es gibt eine Handvoll Modelle, in denen versucht wird, die Entwicklung des Permafrosts in die Zukunft zu projizieren. Sie deuten genau in diese Richtung: In den nächsten 100 oder 200 Jahren ist es möglich, daß Kohlenstoff aus Permafrost in der Größenordnung 100 Petagramm freigesetzt wird. Es handelt sich quasi um einen positiven Rückkopplungsprozeß, mit dem die globale Erwärmung, die sowieso schon stattfindet, noch verstärkt werden würde.

SB: Sie und Ihre Kollegen haben nun diese Studie vorgelegt, wie sehen Ihre nächsten Forschungsschritte aus?

PK: Aus meiner Modellperspektive war es erstmal das, was ich zu dieser Frage beitragen kann. Aber Kollegen von mir sind dabei nachzuschauen, ob man in Sedimentbohrkernen alten Kohlenstoff findet, der aus den Permafrostgebieten stammen könnte. Hierzu werden verschiedene Projekte sowohl am AWI als auch in anderen Institutionen durchgeführt. In einigen Studien waren tatsächlich Indikationen gefunden worden, wonach Sedimente alten, das heißt 14C-armen oder -freien Kohlenstoff enthalten. Am Montag hat hier auf dem Kongreß eine Kollegin von mir, Maria Winterfeld, in ihrem Vortrag über solche Indikationen am Beispiel des Ausflusses des Amur in das Ochotskische Meer berichtet. Jetzt muß man sich genau anschauen, ob der Kohlenstoff auch so alt ist, wie ich denke, daß er sein müßte.

Das ist nur einer von mehreren Orten, an denen man weiterforschen kann. Eine andere Möglichkeit wäre, im Arktischen Ozean nachzuschauen. Gleichzeitig zum Einsetzen der Bølling/Allerød-Warmphase stieg der Meeresspiegel um 20 Meter innerhalb von 200 Jahren an. Dieses Ereignis wird auch als Schmelzwasserpuls 1A bezeichnet. Damals wurde vermutlich das sibirische Schelf geflutet, und das wäre gleichfalls ein Prozeß, von dem man sich vorstellen kann, daß dabei Kohlenstoff schnell freigesetzt wird. Das wäre ein anderer Ort, wo ich persönlich nachschauen würde, ob da etwas Entsprechendes passiert ist.

SB: Herr Köhler, vielen Dank für das Gespräch.


Foto: NASA Earth Observatory/Jesse Allen, Robert Simmon

Omulyakhskaya- und Khromskaya-Bucht an der nordsibirischen Küste. Typische Permafrostlandschaft mit zahlreichen Thermokarstseen, die entstehen, wenn im Sommer die oberste Bodenschicht auftaut und das Wasser zusammenlaufen kann.
Echtfarbenaufnahme mit dem Satelliten Landsat 5, 15. Juni 2009.
Foto: NASA Earth Observatory/Jesse Allen, Robert Simmon


Fußnoten:

[1] Peter Köhler, Gregor Knorr und Edouard Bard (2014): Permafrost thawing as a possible source of abrupt carbon release at the onset of the Bølling/Allerød. Nature Communications 5:5520; DOI: 10.1038/ncomms6520


Bisher im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT zur Permafrostkonferenz in Potsdam erschienen:

INTERVIEW/227: Gitterrost und Permafrost - Zahlenspiele, Umweltziele ...    Prof. Hans-Wolfgang Hubberten im Gespräch (SB)
INTERVIEW/228: Gitterrost und Permafrost - Schrittmacher Menschenhand ...    Prof. Guido Grosse im Gespräch (SB)
INTERVIEW/229: Gitterrost und Permafrost - bedingt prognosesicher ...    Prof. Antoni Lewkowicz im Gespräch (SB)
INTERVIEW/230: Gitterrost und Permafrost - zivile Katastrophen ...    Dr. Tingjun Zhang im Gespräch (SB)
INTERVIEW/234: Gitterrost und Permafrost - Flirt mit Ideen, Karriere mit konservativen Methoden ...    Dr. Anne Morgenstern im Gespräch (SB)
INTERVIEW/235: Gitterrost und Permafrost - nicht hören, nicht sehen ...    Dr. Torre Jorgenson im Gespräch (SB)
INTERVIEW/238: Gitterrost und Permafrost - maßstabslos ...    Prof. Duane Froese im Gespräch (SB)
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INTERVIEW/242: Gitterrost und Permafrost - Am Beispiel Mars ...    Dr. Andreas Johnsson im Gespräch (SB)
INTERVIEW/244: Gitterrost und Permafrost - den Elementen Zivilisation abgewinnen ...    Dr. Nikolay Shiklomanov im Gespräch (SB)


2. August 2016


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