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INTERVIEW/267: Die letzten Reserven - wes Herren Brot ich eß ...     Dr. Janis Thal im Gespräch (SB)



Gesteinsproben werden mit einem Roboterarm gepickt, ebenso wie lebende Studienobjekte - Foto: by NOAA, WHOI, the Alvin Group and the 2004 GOA Seamount Exploration Science Party

Probenahme minimal invasiv?
Foto: by NOAA, WHOI, the Alvin Group and the 2004 GOA Seamount Exploration Science Party

"Die Tiefsee ist ein Lebensraum, in dem alles - aber auch wirklich alles - sehr, sehr langsam geschieht", schreiben die Autoren des "Meeresatlas 2017" der Heinrich Böll Stiftung in dem Kapitel "Tiefseebergbau - Welthunger nach Rohstoffen". Mit diesen Worten soll auf die Befürchtungen der Ökologinnen und Ökologen aufmerksam gemacht werden, daß jede Spur, die der Mensch in dieser sensiblen Zone hinterläßt, noch um ein Vielfaches länger braucht, um wieder zu verblassen, als man gemeinhin annehmen würde. Eine Regeneration der Lagerstätten gibt es quasi nicht. Manganknollen, Kobaltkrusten oder die Schornsteine der Schwarzen Raucher, mit denen die Extraktionsindustrie liebäugelt, brauchen Millionen von Jahren, um nur ein paar Zentimeter zu wachsen. So könne man beispielsweise Schleppkarrenspuren der ersten Explorationsfahrten in den 1980er Jahren auch heute noch so deutlich am Meeresboden erkennen, als sei dies erst gestern gewesen. Die Veränderung eines Fluidweges, d.h. der Flußrichtung des aus den Hydrothermalquellen austretenden Stroms an Mineralien, kann die Populationen der extrem angepaßten und meist seßhaften Lebensformen vollständig zerstören.

Wieviel Zeit die Anpassung des Lebens an neue Verhältnisse braucht, können Meeresbiologen ebenso wenig einschätzen, wie die Anzahl an Lebensformen, die sie noch nicht erfaßt und untersucht haben. Auch die Erforschung der Tiefsee kommt nur langsam voran, von der bislang nur etwa 10 Prozent als topographisch vermessen und laut einiger Experten weniger als ein Prozent als erforscht gilt. Da Rohstoffbehörden oder Regierungen gerade diesen Forschungsbereich stärker unterstützen werden, um den wachsenden Rohstoffbedarf ihrer Industrie zu sichern, könnten vermeintlich neutrale Meeresforscher zunehmend in den Fokus der Kritik geraten, sich einerseits als Wegbereiter für industrielle Interessen instrumentalisieren zu lassen und zum anderen mit den besten Absichten, eigentlich wissenschaftliche Erkenntnisse zu vervollständigen, die Veränderung eines Lebensraums voranzutreiben, ehe man ihn noch richtig kennt. Der Geophysiker Dr. Janis Thal, den "umdenken - Heinrich-Böll-Stiftung Hamburg" am 20. Oktober 2017 als wissenschaftlichen Tiefseeexperten zur Veranstaltung "Plünderung der Tiefsee - Welthunger nach Rohstoffen" eingeladen hatte, war im Anschluß daran bereit, für den Schattenblick aus dem Blickwinkel der Meeresforschung dazu Stellung zu nehmen.


Dr. Janis Thal bei der Veranstaltung 'Plünderung der Tiefsee' in Hamburg - Foto: © 2017 by Schattenblick

"Was die Firma Nautilus allerdings davon halten wird, daß ich aufgedeckt habe, daß direkt eineinhalb Kilometer neben ihrer geplanten Mine ein aktiver Vulkan ist, weiß ich nicht." Dr. Janis Thal
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): 2013 fand in Kiel ein vom GEOMAR veranstalteter internationaler Workshop zu den mineralischen Ressourcen des Meeresbodens "Seafloor Mineral Resources: scientific, environmental, and societal issues" statt. Das Resümee des Tagungsleiters, Prof. Devey gipfelte in der Bitte: "Mine it please" - in der Theorie könne man nicht alles erfassen, was sich erst in der Praxis zeigen würde. [1] Man solle endlich mit der Tiefseeförderung loslegen, statt weiter zu spekulieren, was vielleicht passieren könnte. Sie waren damals einer der Konferenzteilnehmer. Wie schätzen Sie das heute ein?

Janis Thal (JT): Ganz ähnlich. Ich würde die damalige Aussage bestätigen. Man kann zwar einiges modellieren, um zu versuchen, sich das etwas besser vorzustellen. Es wird aber nie möglich sein, mit den begrenzten Kenntnissen, die wir über die Tiefsee haben, theoretisch alle Parameter zu simulieren. Deshalb werden die ersten Schritte, die man unternimmt, um ein Vorkommen abzubauen, immer ein Experiment sein, selbst wenn man sehr viel Grundlagenforschung dazu zur Verfügung hat.

SB: Vor vier Jahren wurde geschätzt, daß nur ein Prozent der Tiefsee überhaupt erforscht ist. Ist die Grundlagenforschung hier überhaupt weitergekommen oder sind immer noch 99 Prozent der Tiefsee unbekannt? [2]

JT: Die weltweite Gemeinschaft in der Meeresforschung ist ungemein aktiv. Dementsprechend kann man schon davon ausgehen, daß sich über die Jahre etwas mehr Wissen angesammelt hat. Wie man aber überhaupt auf so eine Prozentzahl kommt, ist mir unerklärlich. Es läßt sich nicht einschätzen, ob wir inzwischen bei zwei Prozent angelangt sind, den Stand der Forschung an eine Zahl zu binden, würde mir auch sehr schwer fallen. Im Vergleich zu anderen Forschungsbereichen ist die Meeresforschung meines Erachtens immer noch extrem unterfinanziert und darüber hinaus ein Privileg der Industriestaaten, weil sie sehr ressourcen- und kostenintensiv ist.

SB: Viele Seltene Erden, knappe Rohstoffe oder auch Konfliktmineralien kommen im terrestrischen Abbau mit radioaktiven Elementen vergesellschaftet vor. Läßt sich im Vorfeld herausfinden, in welchem Umfang das auch für Bodenschätze im Meeresboden zutrifft? Und was würde die Freisetzung von solchen Stoffen für das Meer und seine Bewohner bedeuten?

JT: Die Freisetzung von solchen Stoffen betrifft natürlich die Umwelt. Was für Folgen damit im einzelnen zusammenhängen, kann ich jedoch nicht beurteilen. Ich weiß aber, daß man heute schon vorher sehr gut feststellen kann, welche Materialien man hochholt, indem man diese bereits vorher beprobt und analysiert. Das wurde inzwischen an vielen Stellen durchgeführt. Deshalb weiß man eigentlich ganz gut, womit man es bei den Materialien, die man fördern will, zu tun hat.

SB: Welche Umweltkriterien müssen Sie bei Ihrer eigenen Forschung beachten?

JT: Weil ich hauptsächlich vom Schiff aus mit akustischen Systemen arbeite, muß ich bei meiner eigenen Forschungsarbeit nicht viel beachten. Da man um den Meeresboden zu kartieren, Schallemissionen freisetzt, muß es natürlich in einigen Gegenden Walbeobachter geben, die darauf achten, daß keine Wale in einem nahen Umkreis gesichtet werden können. Sobald ein Wal in Sicht ist, müssen die Messungen eingestellt werden.

SB: In einer Dokumentation über die letzte Expedition des Forschungsschiffes "Sonne" im Winter 2016, an der Sie ebenfalls für Meeresbodenkartierungen an Bord waren, wurde beschrieben, daß Sie ein modernes hochauflösendes Fächerecholot benutzen, das einen schrillen hohen Ton von 12 Kilohertz abgibt. Können diese Signale, abgesehen von den Walen, auch von anderen Meeresbewohnern wahrgenommen werden?

JT: Wahrgenommen wird das Signal von vielen Tieren. Soviel ich weiß, wurde eine schädigende Wirkung bislang aber nicht nachgewiesen. Das Gerät, das ich benutze, ein moderner Echosounder, arbeitet verhältnismäßig geräuscharm, vor allem, wenn man es mit den seismischen Meßverfahren, bei denen Airguns verwendet werden, vergleicht. Die erzeugen wesentlich stärkere Signale, die in den Meeresboden eindringen sollen. Bei den Messungen, auf die ich mich beziehe und bei denen nur ein verhältnismäßig leiser Ton abgegeben wird, den die Meeresbodenoberfläche reflektiert, ist das gar nicht möglich. Insofern - das wäre jetzt meine persönliche Einschätzung, aber auch die Beobachtung von anderen - wurde die Umwelt bei Ausfahrten durch diese Messungen nicht stark beeinträchtigt. Die meisten sind sehr ähnlich, doch es gibt auch Sonare, die andere Frequenzen benutzen und es gibt sogar einige, die benutzt werden, um Fischschwärme zu detektieren. Die einzigen Beobachtungen, die ich kenne, bei denen direkte Schallemissionen einen Einfluß auf Tiere hatten, sind diese seismischen Messungen, bei denen Airguns verwendet werden. Dabei konnte man auch feststellen, daß Tiere sogar dazu neigen, sich auf die Signale der Airguns zu zu bewegen. Man muß aber davon ausgehen, daß Lebewesen durch zu hohe Schallemissionen geschädigt werden und stellt entsprechend die Arbeiten dann auch ein, wenn sich Tiere in der Nähe befinden.

SB: Gibt es dafür Vorschriften oder sprechen Sie für die Forscher, die das freiwillig machen?

JT: Auf deutschen Schiffen gibt es die Vorgabe, daß die Arbeiten bei Sichtung von Walen eingestellt werden müssen. Über weitere internationale Regularien weiß ich ehrlich gesagt nichts.

SB: In einer weiteren Anekdote der gleichen Dokumentation wurde deutlich, daß die Magnetsensorik von Meßinstrumenten von Haien durchaus wahrgenommen und angegriffen werden kann. Wußte man das schon vorher, daß diese Tiere derart sensibel auf dieses Gerät reagieren würden?

JT: Ich habe diesen Vorfall natürlich an Bord mitbekommen. Allerdings kann ich nicht sagen, ob der Hai tatsächlich die spezielle Magnetsensorik angegriffen hat. Es handelt sich bei dem Meßsystem um einen etwa zwei Meter langen Körper, der mehrere hundert Meter hinter dem Schiff geschleppt wird, in ein paar Metern Wassertiefe. Das heißt, es kann durchaus sein, daß der Hai das für ein Tier gehalten hat, zumal wir zum Zeitpunkt des Angriffs relativ schnell gefahren sind. Ich könnte nicht sagen, ob er auf das Instrument losgegangen ist, weil damit ein magnetisches Feld gemessen wurde. Ich würde eher vermuten, daß der Angriff dem länglichen Körper galt, der schnell und oberflächennah durch das Wasser geglitten ist.

SB: Reicht so ein Vorfall denn schon aus, um als Störung der Natur gewertet zu werden? Müssen Sie in Zukunft auf Magnetsensorik verzichten, weil sie vielleicht doch schädlicher für die Meeresumwelt ist als gedacht?

JT: Nein. Dazu sollte ich vielleicht noch ergänzen, daß dieses Meßgerät selbst kein Signal aussendet. Es mißt das umgebende Magnetfeld. Das heißt, das Gerät selbst stellt keine Bedrohung oder Schädigung für die Umwelt dar. Es strahlt auch nichts aus. Es mißt das Magnetfeld, es magnetisiert nicht die Umgebung.

SB: Haben Sie manchmal das Gefühl, daß einem wichtigen Forschungsergebnis zuliebe vielleicht doch Schäden in Kauf genommen werden müssen?

JT: In der Forschung, zumindest in der ich tätig bin, entstehen keine Schäden am Meeresboden und auch nicht im direkten Zusammenhang mit den Tieren, abgesehen von den Proben, die zum Beispiel von Biologen genommen werden. Das sind dann natürlich Tiere, die man aus der Meeresumwelt nimmt und die dann getötet werden, um Analysen durchzuführen. Dabei handelt es sich aber um Einzelexemplare, die gezielt mit dem Roboterarm gepickt werden. Das ist meines Erachtens für die Gesellschaft am Meeresboden ein zu verkraftender Verlust. Ansonsten habe ich in meiner bisherigen Forschungstätigkeit noch nie erlebt, daß man eine Untersuchung fortgesetzt hätte, wenn dabei klar wurde, daß man damit etwas kaputtmachen würde. Der Umweltstandard, der bei Expeditionen gewährleistet und eingehalten wird, ist generell sehr hoch.

SB: Sie haben 2011 im Manusbecken bei Papua Neuguinea eine sogenannte Kryptodom-Eruption entdeckt. Ist das so etwas ähnliches wie ein Schwarzer Raucher, also eines dieser gesuchten und besonders interessanten Artefakte in der Tiefsee, die zudem besonders reich an Bodenschätzen sein sollen?

JT: Nein, das ist ein komplett anderes Phänomen. Ein Schwarzer Raucher entsteht durch die Austritte der Fluide, die durch die Erdkruste zirkulieren. Ein Kryptodom ist dagegen ein Sonderfall von vulkanischer Eruptionen bei der eine Art Quellkuppe entsteht. Wenn bei einer vulkanischen Aktivität Magma austritt, kann es entweder eine Explosion hervorrufen oder auch einen sogenannten normalen Lava-Flow, einen Fluß, erzeugen. Das hängt immer davon ab, welche Typen von Magmen vorkommen, also welche chemischen Zusammensetzung und welche Temperatur das Magma hat.

In diesem Fall hatten wir es mit einem selteneren Phänomen zu tun. Dort war ein sehr zähes Magma am Meeresboden ausgetreten, was gleichzeitig zur Hälfte oder zum Großteil mit Sediment bedeckt war und nicht komplett sichtbar ist. Man muß sich das so vorstellen, daß nicht der ganze eruptierte Magmenkörper am Meeresboden frei liegt wie bei anderen Eruptionen, sondern zum Teil noch vergraben bleibt. Das ist der Grund, warum er als Kryptodom bezeichnet wird.

SB: Ihr wissenschaftlicher Fokus im pazifischen Manusbecken bei Papua Neuguinea ist zum einen das Hydrothermalfeld PACManus und der North-Su-Vulkan, der 1,5 Kilometer südlich von der Massivsulfid Lagerstätte Solwara 1 gelegen ist, den die Aktiengesellschaft Nautilus Minerals Inc. für die erste Tiefseeförderung ins Auge gefaßt hat. [3] Inwieweit kann Nautilus auf Ihre Untersuchungen oder Kartierungen zugreifen, die Sie in diesem Gebiet vorgenommen haben?

JT: Nautilus war durchaus an meinen Forschungsergebnissen interessiert, die natürlich für jeden verfügbar sind, und hat sich dafür auch bedankt. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß der Einblick in meine Arbeit dieser Firma mehr gebracht hat, als einige zusätzliche geologische Erkenntnisse über das Gebiet. Allerdings weiß ich nicht, was sie davon halten wird, daß ich aufgedeckt habe, daß direkt eineinhalb Kilometer neben ihrer geplanten Mine ein aktiver Vulkan ist.

SB: Was bedeutet das für die Förderarbeiten? Könnten Eruptionen auch durch solche menschlichen Aktivitäten am Meeresboden in der Region ausgelöst werden?

JT: Nein. Es wurde meines Wissens noch nie eine vulkanische Eruption vom Menschen ausgelöst. Dies ist auch noch unwahrscheinlicher, wenn die Arbeiten nur an der Oberfläche, wie bei Solwara 1 geplant, stattfinden. Mir ist lediglich ein Vorfall aus Island bekannt, wo eine Bohrung für ein Thermalkraftwerk von Lava während einer natürlichen Eruption genutzt wurde, da dies der Weg des geringsten Widerstandes zur Oberfläche war. Die Eruption fand jedoch ohne jegliche Beeinflussung des Menschen statt. Eine Eruption, wie ich sie an North-Su untersucht habe, hätte für die Arbeiten an Solwara 1 vermutlich wenig Auswirkungen, jedoch war vor dieser Eruption ein Krater zu sehen, der auf explosiven Vulkanismus hindeutet und eine solche Eruption könnte durchaus mit Trübewolken und Hangrutschungen die Arbeiten an Solwara 1 beeinträchtigen.

SB: Am MARUM werden unter anderem auch Technologien für die Erforschung der Tiefsee, des Meeresbodens, entwickelt wie Probennahmengeräte oder Tauchroboter (ROV oder die MARUM-Quest 4000) oder das MARUM-MeBo 200, um Bohrkerne aus dem Meeresboden zu ziehen. Dabei handelt es sich zumeist um Prototypen. Gibt es einen Austausch zwischen den Forschern und dieser Entwicklungsabteilung, falls Nachbesserungen nötig werden, etwa wenn das Gerät unvorhergesehene Schäden im Forschungsgebiet hinterläßt?

JT: Da gibt es tatsächlich eine sehr enge Zusammenarbeit. Genau genommen werden diese technischen Apparate den Wünschen der Forscher entsprechend angepaßt. Das ist eine ständige Kooperation.

SB: Einmal vorausgesetzt, es gibt von Seiten der Industrie ebenfalls Interesse an den Ergebnissen dieser Kooperation. Werden die Patentrechte der Prototypen dann auch für die industrielle Fertigung oder andersartige Nutzung an interessierte kommerzielle Unternehmen weitergegeben?

JT: Zumindest im MARUM wenig. Aber viele der Geräte, die wir benutzen, haben wir sogar von der Industrie eingekauft, weil die Grundgerüste oder Grundlagen dazu schon während anderer Tiefseearbeiten entwickelt worden sind. Im MARUM werden diese Standardgeräte dann oft für die jeweiligen Expeditionen von Technikern angepaßt. Komplette Eigenentwicklungen gibt es nur wenige und bei denen ist, soweit ich weiß, keine wirtschaftliche Verwendung geplant.

SB: Eine der Expeditionen, an der Sie beteiligt waren (Sonne 2016) wurde aufgehalten, weil die Untersuchungen an dem Unterwasservulkan Macauley Cone vor der neuseeländischen Küste in einem Meeresschutzgebiet stattfinden sollten und nur mit einer Sondergenehmigung möglich waren. Was wird damit bewirkt? Ist das ein rein bürokratischer Vorgang oder ist die Genehmigung tatsächlich zur Schadensminimierung gedacht?

JT: Im Grunde ging es in diesem Fall um den Umweltschutz. In diesen Bereichen, in denen wir gearbeitet haben, hat die neuseeländische Regierung nämlich Naturschutzgebiete ausgewiesen. Und in so einem Gebiet wollten wir Proben nehmen. Es handelte sich dabei um Gesteinsproben, die ohnehin auf dem Meeresboden rumliegen, und um Fluidproben. Darüber hinaus wollten wir den Meeresboden vermessen. Das alles sind Forschungsarbeiten, die als nicht-invasiv gelten. Deshalb ging es bei dieser Verzögerung im wesentlichen um bürokratische Hürden und nicht darum, ob dabei am Meeresboden etwas zerstört wird und deshalb geschützt werden muß. Natürlich bedingt diese Auflage von der Regierung, daß sie die Forscher am Meeresboden generell besser kontrollieren können. Aber für die Sachen, die wir vorhatten, war es ein bißchen übertrieben.

SB: Wenn ich das recht verstehe, müssen Sie praktisch eine Einreichung zu den geplanten Experimenten machen? Und die werden dann je nach erkennbarem Schädigungsgrad genehmigt oder auch nicht?

JT: Ja genau so.

SB: Wie genau wird bei den Genehmigungen geprüft, welche Meßgeräte Sie einsetzen? Angenommen, Sie kommen mit Ihrem Fächerecholot bei der Kartierung des Meeresbodens nicht weiter. Dürften Sie dann auch auf andere Geräte umsteigen und weitermachen? Und wird überhaupt überprüft, ob tatsächlich keine Schäden hinterlassen worden sind?

JT: Es gibt bei diesen Naturschutzgebieten ganz spezielle Auflagen, was gemacht werden darf und was nicht. Welche Instrumente man in dieser Region tatsächlich gar nicht benutzen darf, kann ich nicht im Detail sagen. Was die Überprüfung angeht, so müssen sowohl vor als auch nach der Durchführung einer Untersuchung Fotos von der Meeresregion gemacht werden, um nachzuweisen oder zu dokumentieren, daß man sie nicht verändert hat.

SB: Sie arbeiten neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit für ein kommerzielles Spin-off-Unternehmen des MARUM mit dem vielsagenden Firmennamen GEOENGINEERING. Einer der Aufträge, die Sie bearbeiten, ist die Untersuchung der Sockelumgebung von Offshore-Windanlagen. Haben Sie dabei Veränderungen des Meeresbodens erkennen können, die auf die Fundamente der Windkraftanlagen, die ja massiv in die Strömungsverhältnisse eingreifen, zurückgehen?

JT: Nein, man konnte am Meeresboden keine Veränderungen feststellen, abgesehen natürlich von den Spuren, die manche Geräte bei der Installation hinterlassen haben. Da hat man dann diese Abdrücke von den Stelzen, die sich in den Meeresboden gedrückt haben. Man sieht gewöhnlich Furchen von den Kabellegern. Diese Spuren sind natürlich vorhanden. Ob davon wiederum Tiere beeinflusst werden, kann ich nicht sagen. Ich arbeite mit akustischen Systemen, um in erster Linie festzustellen, ob Fundamente freigespült werden. Dann müßte nämlich der Betreiber Maßnahmen ergreifen, weil dadurch die Stabilität der Windkraftanlage beeinträchtigt wäre. Das kam bislang aber nicht vor.

SB: Viele nichtuniversitäre Forschungsinstitute gründen nebenbei Unternehmen, in denen eigene Ergebnisse zu marktfähigen Produkten weiterentwickelt werden. Die im Logo enthaltene Firmencharakterisierung "Geophysics - Geotechnics - Engineering" spannt durchaus einen weiten Bogen denkbarer Aufgaben für das Unternehmen. Könnten Sie sich diese Firma auch als direkten Nutznießer von Forschungsprojekten des MARUM vorstellen?

JT: Es gibt tatsächlich Kooperationsprojekte zwischen dieser Firma und dem MARUM. Das ist ein Trend, der zunehmend von der EU gefördert wird, damit zumindest in den kleinen, mittelständischen Unternehmen mehr Entwicklungsarbeit stattfinden kann und dieser ganze Bereich in Deutschland und Europa gestärkt wird. Dafür entstehen immer mehr Kooperationsabkommen zwischen Forschungseinrichtungen und kleinen Firmen, um neue Erkenntnisse marktreif zu machen.

Die Daten meiner Untersuchungen haben aber nur für den Auftraggeber und nicht für "GEOENGINEERING" einen direkten Nutzen, weil es sich um völlig unterschiedliche Bereiche handelt. Ich verwende immer die gleiche Methodik. Die nutze ich für die Messungen an Unterwasservulkanen sowie anderen Aufgaben in der freien Forschung ebenso wie für die Aufträge der Offshore-Windindustrie, für die wir von der Firma aus arbeiten. Einziger Nutzen ist dabei für mich, daß ich meine Kenntnisse erweitere. Was natürlich auch einen Transfer in die andere Richtung bedingt, das heißt, wenn ich in dem Beruf etwas lerne, dann nutzt mir das auch in der Wissenschaft.

SB: Bei "Geoengineering" denkt man leicht an großangelegte Eisendüngungsprojekte des Meeres, Schwefelimpfungen der Atmosphäre, um den CO2-Gehalt zu senken oder andere großtechnische Manipulationen der Umwelt, die im Zuge des Klimawandels immer mal wieder zur Sprache kommen. Haben Sie mit solchen Projekten auch zu tun?

JT: Nein, gar nichts. Der Name dieses Unternehmens ist tatsächlich etwas unglücklich gewählt. Wie man darauf gekommen ist, ist mir nicht bekannt. Der Einsatzbereich von GEOENGINEERING betrifft eigentlich nur die geologische und geotechnische genauso wie die geophysische Analyse dieses Schnittbereichs zwischen Oberfläche und Untergrund der Erde. Dabei geht es sowohl um Baumaßnahmen an Land, als auch um Baumaßnahmen auf See wie etwa für die Offshore Windindustrie. Das sind die Bereiche, an denen wir forschen und arbeiten. Weiter geht es aber nicht.

SB: Während der Expedition der "Sonne" wurde mit selbstgebauten Wärmeflußdecken der Wärmestrom von Hydrothermalquellen oder Unterwasservulkanen gemessen. Könnten Sie sich vorstellen, daß die nicht anwendungsorientierte Grundlagenforschung Ihrer Kollegen in diesem Fall zum Bau mariner Hydrothermieanlagen oder dergleichen führen könnte?

JT: Von Projekten, die diese Wärme nutzen wollen, wüßte ich nichts. Im Grunde wird so etwas im großen Stil bereits in Island gemacht, wo ein Großteil des Stroms und auch der Wärme in vulkanisch aktiven Gegenden aus dem Boden gewonnen wird. Dabei nutzt man die gleichen Mechanismen, zum Stromerzeugen oder zum Beheizen von Gebäuden. Im Meer macht es jedoch meines Erachtens wenig Sinn, diese Wärmequellen anzuzapfen. Der Energieaufwand, der gebraucht wird, um in der Tiefsee solche Instrumente zu bauen und zur Anwendung zu bringen, um die Wärme abzuziehen, ist letztlich viel größer als die Energie, die man im Endeffekt gewinnen könnte.

SB: Bei der letzten Expedition mit der "Sonne" konnte eine dieser Wärmeleitdecken, eine geniale Improvisation des Teams aus Thermometern und Motorradreifen, nicht wieder geborgen werden. Wie wird man damit umgehen? Oder muß sich die Forschung sagen lassen, daß sie in einem sensiblen Naturschutzgebiet jetzt so etwas wie Plastikmüll hinterlassen hat?

JT: Das Instrument wird demnächst eingesammelt. Es ist in einem Vulkan verlorengegangen, zu dem zumindest innerhalb der nächsten zwei Jahre noch einige Expeditionen geplant sind. Der Kollege aus Neuseeland, der diese Messungen unter anderem betreut hatte, fährt also im Frühjahr 2018 mit der nächsten Forschungskooperation aus Neuseeland und den USA dorthin, um das Instrument einzusammeln. Er und sein Team sind natürlich schon entsprechend gespannt, was bei ihrer ungeplanten Langzeitmessung herauskommen wird. Sie werden darüber hinaus auch noch einige weitere Daten erheben, denn für den April nächsten Jahres ist für diesen Vulkan eine große Bohrexpedition geplant. Man möchte in das Innere vordringen und erkunden, wie der Vulkan aufgebaut ist.

SB: Herr Dr. Thal, vielen Dank für das Gespräch.


Anmerkungen:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0054.html

[2] Kai Kaschinski von Fair Oceans hält diesen Wert sogar heute noch für zu hoch gegriffen, und spricht von Bruchteilen wie 0,1 oder 0,01 Prozent, die als erforscht gelten können.

[3] PACManus [Papua Autralia Canada Manus] ist eine hydrothermal aktive Region, die sich in ca. 1600m bis 1800m Wassertiefe auf einem neovulkanischen Rücken felsischer Zusammensetzung in einem öffnenden Back-Arc-Becken befindet. - North-Su ist ein aktiver Stratovulkan mit hydrothermaler Aktivität vorwiegend in der Gipfelregion und Austrittstellen von flüssigem, elementaren Schwefel.


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13. November 2017


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