Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → REPORT


INTERVIEW/274: Landwirtschaft 4.0 - Ökolandbau, warum nicht ...    Silvia Bender im Gespräch (SB)



Porträt - Foto: © 2018 by Schattenblick

Silvia Bender
Foto: © 2018 by Schattenblick

Nach Angaben der Vereinten Nationen hungern weltweit 815 Millionen Menschen, weitere zwei Milliarden gelten als mangelernährt. Für all diese Menschen gilt der Gruß "Willkommen im Jahr 2025" sicherlich nicht, der auf dem 5. Zukunftsdialog Agrar & Ernährung entboten wurde [1]. Denn ob sie noch sieben Jahre leben, ist zweifelhaft.

Organisiert von der Wochenzeitung "Die Zeit" und der "agrarzeitung" diskutierten am 5. Juni 2018 unter dem Titel "Perspektiven der Nahrungsmittelproduktion" Expertinnen und Experten darüber, was wir im Jahr 2025 essen werden. Mit diesem "Wir" war offenkundig eine Wohlstandsklientel gemeint, die es sich leisten kann, biologisch angebaute Produkte zu kaufen. In der Tagungsbroschüre forderte Andreas Sentker, Ressortleiter Wissen bei der "Zeit", der gemeinsam mit Angela Werner von der "agrarzeitung" die Moderation übernommen hatte: "Wir müssen Essen wieder einen Wert geben."

Die sozialen Folgen einer Wertsteigerung von Lebensmitteln und damit ihrer absehbaren Verteuerung wären sicherlich einen eigenen "Zukunftsdialog" wert. Zu so einem Treffen innerhalb dieser Gesprächsreihe wird es vermutlich nicht kommen, präsentierte sich die Veranstaltung doch auch in ihrem fünften Jahr als ausgesprochen kapital- und wohlstandsorientiert, also näher am Deutschen Bauernverband als an der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, näher an marktwirtschaftlich arbeitenden Agrochemiekonzernen als an Subsistenzwirtschaft betreibenden Ökolandbauhöfen, näher am hippen Lifestyle propagierenden Konsummodell metropolitaner Wohlstandsschichten als an Ernährungssouveränität einfordernden Erzeugern der Länder des globalen Südens.

Als eine der wenigen Vertreterinnen zivilgesellschaftlicher Umweltorganisationen bei den insgesamt vier Podiumsdiskussionen war die diplomierte Agraringenieurin Silvia Bender, Leiterin der Abteilung Biodiversität beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) e.V., eingeladen worden.

Sie forderte, daß aus Klimaschutzgründen bis zum Jahr 2050 der Tierbestand in Deutschland halbiert wird und daß wir, um dieses Ziel zu erreichen, unseren Konsum ändern. Es sei wichtig, sich von der Vorstellung zu lösen, daß Deutschland sein Konsummuster auf den Rest der Welt übertragen könnte. Statt dessen müßten wir ein Stück weit bei uns anfangen und beispielsweise mehr Ökolandbau betreiben. Es sei wichtig, gute Ackerbaustrategien anzuwenden, die auf Humus aufbauen. Darüber hinaus sieht Bender in der Renaturierung von Moorstandorten eine schnell wirksame Methode, um die Emissionen aus der Landwirtschaft zu reduzieren. Auf all diese Maßnahmen sollte die Agrarförderung umgestellt werden.

Im Anschluß an die Podiumsdiskussion stellte sich Frau Bender dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.


Schattenblick (SB): Vorhin auf dem Podium haben Sie Ihre Unzufriedenheit über die Diskussion zum Ausdruck gebracht. Was hat Sie geärgert?

Silvia Bender: Ich bin nicht damit einverstanden, daß der Ökolandbau immer als eine veraltete Anbauform dargestellt wird. Dabei trifft doch das genaue Gegenteil zu. Ich erlebe den Ökolandbau als eine extrem moderne, innovationsfreudige Anbauidee, bei der unglaublich viel entwickelt wird. Ich würde mir wünschen, daß auch konventionelle Betriebe mehr und mehr das aufgreifen, was Ökobetriebe bereits praktizieren. Zum Beispiel daß sie beim Pflanzenschutz auf Pestizide verzichten. Zudem ist Ökolandbau nicht nur als Vermeider von Klimaemissionen unglaublich wichtig, sondern auch weil er den Betrieben ermöglicht, sich besser an den Klimawandel anzupassen. Zum Beispiel ist die Dürreresistenz bei ökologisch bewirtschafteten Flächen viel besser als bei konventionellen Flächen. Auch deswegen ist meiner Meinung nach der Ökolandbau eine richtige und wichtige Antwort auf den Klimawandel. Das kam bei der Diskussion nicht rüber.

SB: Halten Sie den Ökolandbau für vereinbar mit modernen Technologien, wie sie unter dem Stichwort "Smart Farming" subsumiert werden?

Bender: Das kommt auf die Technologie an. Schon heute arbeiten viele Biohöfe mit Digitalisierungsansätzen. So setzen große Ökobetriebe hier in Brandenburg auch auf "digital farming". Nicht vereinbar ist für mich der Ökolandbau hingegen mit den neuen Gentechniken. Ich will gar nicht bewerten, welche Chancen darin liegen, ich sehe vor allem die Risiken. Deshalb fordern wir, daß neue Gentechniken auch als Gentechniken reguliert werden. Man darf nicht einfach sagen, Gentechnik ist keine Gentechnik, nur weil es sich vielleicht um eine neue Züchtungsmethode handelt.


Aus dem Erdreich gelöste Pflanze, deren Wurzeln Knöllchen ausgebildet haben - Foto: Terraprima, CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de]

Bakterien (Rhizobien) regen die Wurzeln von Leguminosen an, Knöllchen zu bilden, in denen Stickstoff fixiert wird.
Foto: Terraprima, CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de]

SB: Wie wir vorhin gehört haben, entwickelt BASF Granulate, die in die Erde eingebracht werden, um dort den Stickstoff verfügbar zu machen. Soll da nicht das Rad neu erfunden werden? Gibt es nicht schon längst im ökologischen Anbau natürliche Konzepte, die das gleiche bewirken, beispielsweise Symbiosen zwischen Pflanzen und Bodenpilzen - die Mykorrhiza [2] -, sowie Pflanzen und Bakterien?

Bender: Ja, da gibt es beispielsweise Bakterien, die in Symbiose mit Leguminosen leben und nur zusammen mit diesen vorkommen. Das heißt, man baut Leguminosen als Zwischenfrucht an, um den Stickstoff im Boden anzureichern, und davon profitiert dann die Nachfolgefrucht. Ich kann nicht beurteilen, ob BASF da etwas Neues entwickelt oder nicht. Wichtig ist doch, daß man beobachtet, welche anderen Wirkungen so etwas im Boden noch hätte. Denn wenn da Bakterien blockiert werden, muß man sich anschauen, wofür diese gut sind. Boden ist ja ein komplexes Lebenssystem. Ich würde aber jetzt gar nicht sagen, daß ich das ablehne - ich kann das im Moment einfach nicht beurteilen.

Wichtig ist mir, daß wir uns beim Klimaschutz nicht nur auf technologische Lösungen versteifen, von denen wir im Grunde nicht wissen, ob sie dann so wirksam sind, daß wir unsere Ziele erreichen können.

SB: Sie sprachen von einer Halbierung des Tierbestands in Deutschland bis zum Jahr 2050. Gibt es dazu schon konkrete Ideen, wie das umgesetzt werden kann?

Bender: Da haben wir natürlich ein dickes Brett zu bohren. Ein Ansatz wäre, bei Neubauten von Ställen nur noch flächengebundene Tierhaltung zu billigen. Ein zweiter Ansatz lautet, im Rahmen des notwendigen Umbaus der Tierhaltung - nicht nur aus Klimaschutzgründen, sondern auch aufgrund der Erwartungen der Verbraucher beispielsweise hinsichtlich des Tierwohls - darauf zu achten, daß die Zahlen insgesamt runtergehen. Es sollte nur noch gefördert werden, wer besser, aber weniger Tiere hält. Das sind kleine Ansätze, um Schritt für Schritt näher ans Ziel zu kommen.

SB: Der BUND setzt sich unter anderem für die Wiedernässung von Mooren ein. So zweifelhaft die spontane Abstimmung vorhin bei der Podiumsdiskussion [3] auch gewesen sein mag, es hatten sich nur zwei Prozent aus dem Publikum für die Wiedervernässung der Moore ausgesprochen. Laut dem Moorexperten Prof. Joosten von der Universität Greifswald geht jedoch ein wesentlicher Klimaeffekt von den Mooren aus. Besteht da eine Diskrepanz zwischen der öffentlichen Wahrnehmung der Bedeutung, was die Moore leisten, und anderen Maßnahmen des Klimaschutzes?

Bender: Ich glaube, einerseits ist es der Öffentlichkeit tatsächlich nicht bewußt, welche Bedeutung die Moore als CO2-Speicher haben. Das Abstimmungsverhalten hier im Raum hat aber wohl auch damit zu tun, daß Moorböden attraktiv sind und von der Landwirtschaft gerne, in manchen Regionen sogar zu einem großen Anteil, genutzt werden. Daß die Landwirte Angst haben, wir könnten wieder an die Moorvernässung gehen, und sie unter Umständen einen Großteil ihrer Flächen verlieren, ist nachvollziehbar.

Wir wollen jedoch gar nicht sämtliche Moore wiedervernässen, sondern es geht uns zunächst einmal um die Größenordnung von einer Million Hektar. Dabei muß man sehr genau darauf achten, wie man Landwirte unterstützen kann, zum Beispiel durch Ausgleichsflächen. Auch stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten bestehen, Moorstandorte zu erhalten und trotzdem landwirtschaftlich zu nutzen. Das Stichwort hierzu lautet Paludikultur. Das alles muß sorgsam geprüft werden, aber wir müssen uns auf den Weg machen.

SB: Mit Blick auf den Klimawandel wurde am Ende der Diskussion über die Landwirtschaft Deutschlands als Exportmodell fabuliert. Wenn man an die Herstellung von "terra preta" in Amazonien, genossenschaftlich orientierte Bauerorganisationen wie La Via Campesina oder das philippinische Wissenschaftler-Bauern-Netzwerk MASIPAG [4] denkt, sollte man sich da nicht eher die Frage stellen, was könnte oder sollte Deutschland an Agrarmodellen importieren anstatt diese exportieren zu wollen?

Bender: Definitiv. Via Campesina hat ja hier mit der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft einen kooperierenden Verband. Selbstverständlich müssen wir uns anschauen, was in anderen Ländern unternommen wird, um die bäuerliche, ökologische Landwirtschaft zu fördern. Da kann man bereits in der Schweiz anfangen, in der dazu ganz gute Konzepte entwickelt wurden. Sicherlich wurden auch in vielen anderen Ländern Ideen entwickelt, von denen wir eine Menge lernen könnten.

SB: Trifft es zu, daß der Ökolandbau weniger produktiv ist als der konventionelle Landbau, wie das heute hier behauptet wurde?

Bender: Nein, das würde ich nicht so einfach bestätigen. Sicherlich wirft der Ökolandbau gegenüber unserer hochintensivierten Landwirtschaft geringere Erträge ab. Aber es geht ja auch darum, ökologische Anbaumethoden zum Beispiel bei Kleinst- und Kleinbauern zu verankern. Diese produzieren nach wie vor 60 Prozent der Nahrung weltweit. Ökolandbau könnte dort zu deutlichen Effizienzsteigerungen beitragen.

SB: Meine Abschlußfrage lautet: Fehlte Ihnen etwas bei der heutigen Diskussion?

Bender: Ja, ich hätte mir gewünscht, daß wir ein bißchen mehr über die politischen Ansätze diskutiert hätten. Ich glaube, das ist der entscheidende Dreh- und Angelpunkt, an dem sich etwas bewegen muß.

SB: Vielen Dank, Frau Bender, für das Gespräch.


Abschnitt des Demonstrationszugs mit Plakaten und Bannern der beiden Organisationen - Foto: © 2018 by Schattenblick

La Via Campesina und die Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft demonstrierten gemeinsam mit fast 25.000 Menschen am 4. November 2017 in Bonn für mehr Klimaschutz durch den Ausstieg aus der Kohleverstromung, aber auch durch einen Umbau des agroindustriellen Anbausystems
Foto: © 2018 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] https://convent.de/de/archiv/zeit-events/zukunftsdialog-agrar-ernaehrung-2018/

[2] Der Schweizer Mykhorriza-Experte Prof. em. Andres Wiemken von der Universität Basel erklärte in einem Interview mit dem Schattenblick, daß im Boden noch komplexere symbiotische Gemeinschaften existieren, beispielsweise bestehend aus drei Partnern - eine Grünalge, eine Blaualge und ein Pilz -, die zusammen in einer Flechte vergesellschaftet sind.
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0095.html

[3] Bei der Abstimmung standen zur Auswahl: "Effizienzsteigerung des gesamten Systems", "Fleischverzicht", "Ausbau des Ökolandbaus", "Renaturierung von Mooren, Aufforstung und ähnliches".

[4] Näheres zum Wissenschaftler-Bauern-Netzwerk der Philippinen im Schattenblick unter:
BERICHT/086: Treffen der Wege - Zorn und Fleiß wird eigener Reis (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0086.html


Bisher sind zum "5. Zukunftsdialog Agrar und Ernährung 2018" im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/138: Landwirtschaft 4.0 - die Stickstoffalle ... (SB)
BERICHT/139: Landwirtschaft 4.0 - Besserungen verlangen und geloben ... (SB)
INTERVIEW/274: Landwirtschaft 4.0 - Ökolandbau, warum nicht ...    Silvia Bender im Gespräch (SB)
INTERVIEW/275: Landwirtschaft 4.0 - Tierhaltungs- und Gebrauchsalternativen ...    Dr. Martina Stephany im Gespräch (SB)
INTERVIEW/276: Landwirtschaft 4.0 - Akutantworten ...    Prof. Dr. Matin Qaim im Gespräch (SB)


18. Juni 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang