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WALD/011: Hambacher Forst - Menschenopfer im Kalkül (SB)


Hambacher Forst - 16. November 2012, 16.00 Uhr

Erster Erdrutsch bei Grabungsarbeiten - Tunnelaktivist unversehrt entkommen


Im Wald aufgehängtes Transparent mit der Aufschrift 'Wald statt Kohle' - Foto: © 2012 by Schattenblick

Die Idee läßt sich nicht räumen...
Foto: © 2012 by Schattenblick

Gegen Mitternacht wurde mit den Grabungsarbeiten zur polizeilichen Räumung des letzten Waldbesetzers, der sich in einem ein mal zwei Meter großen Erdloch in sechs Metern Tiefe aufhalten soll, begonnen. Zu der Frage, ob und wenn ja inwiefern er sich in Lebensgefahr befindet, gibt es höchst widersprüchliche Angaben und Einschätzungen. Nach Polizeiangaben sei aus der Räumung inzwischen eine Retttungsaktion geworden, da das gesamte Tunnelsystem einsturzgefährdet sei. Einer der Unterstützer erklärte dazu [1]:

Das Irre an dieser Aktion ist ja nicht, wie die Polizei behauptet, dass sich der Aktivist in Lebensgefahr begeben würde, sondern der Aufwand, den der Staat betreibt, um ja nicht die Rodung des Waldes zu verzögern. Würde die Polizei die Räumung abbrechen, könnte der Aktivist sicher aus dem Tunnel kommen.

Aus Sicht der Braunkohlegegner und -gegnerinnen, die wie der tief in der Erde Eingeschlossene mit ihren Aktionen die bevorstehende Abholzung einer weiteren Fläche des Hambacher Forstes ver- oder zumindest behindern wollen, stellt die Polizei die Behauptung, der Aktivist befände sich in Lebensgefahr, nur auf, um damit eine schnelle und riskante Bergung rechtfertigen zu können. Wenn es zutrifft, daß es, wie der Notarzt erklärt haben soll [2], Pläne gäbe, wie mit einem Einsturz des Tunnels umzugehen sei, scheint die Polizei selbst nicht hundertprozentig davon überzeugt zu sein, bei der Art dieses Vorgehens den Mann nicht zu gefährden.

Gegen Mitternacht wurde offenbar mit den Grabungsarbeiten für einen zweiten Schacht begonnen, wobei ein Spezial-Erdsauger eingesetzt worden sein soll. Gegen 2 Uhr in der Nacht hat der anwesende Leitende Notarzt in einer Pressekonferenz erklärt, daß es dem "Patienten" im Tunnel gut gehe. Er habe es warm und weich, sei mit allem versorgt, was er brauche und sei, nach den vorgenommenen Untersuchungen zu urteilen, physisch sehr stabil und auch psychisch guter Dinge. Offenbar konnte er auch wieder Kontakt zu Personen seines Vertrauens aufnehmen, da diese dem Notarzt davon berichteten und erzählten, daß es "einen sehr unaufgeregten Eindruck" mache und "der Dinge [harre], die da kommen werden". Aus medizinischer Sicht bestünde die einzige Gefahr in einem Tunneleinsturz. Wie eine Unterstützerin des Tunnelaktivisten erklärte, sähe er sich nicht in der Not, gerettet zu werden, sondern fordere als Bedingung für den Abbruch seiner Aktion die Beendigung der Waldrodung im Hambacher Forst. [1]

Wald mit Laubbäumen im Hintergrund, Farn im Vordergrund - Foto: © 2012 by Schattenblick

Der Hambacher Forst - ein Wald, wie ein Mensch ihn sich nur wünschen kann
Foto: © 2012 by Schattenblick

Wie ein Polizeisprecher am Freitagmorgen gegenüber dem WDR erklärte, seien die Helfer, die einen schräg angelegten Rettungstunnel anlegen, um an den Aktivisten heranzukommen, rund dreieinhalb Meter tief ins Erdreich vorgedrungen. Laut Polizei soll der Mann im Laufe des Tages erreicht werden, so daß ein direkter Kontakt zu ihm hergestellt werden könne. Die Herner Grubenwehr sowie Geologen seien zugegen und überwachten das Vorgehen. Gegen Mittag allerdings spitzten sich die Ereignisse recht dramatisch zu, kam es doch im Zuge der Arbeiten zu einem unbeabsichtigten Erdrutsch. Der Mann im Tunnel hatte dabei Glück im Unglück, er kam nicht zu Schaden. Gleichwohl sehen die Unterstützer ihre Befürchtungen und Warnungen durch diesen Vorfall bestätigt. Einer von ihnen erklärte [1]:

Von oben her zu baggern ist extrem gefährlich! Das hat die Polizei aber ignoriert und die Profitinteressen von RWE ernster genommen als die Unversehrtheit des Aktivisten. Wir sind froh, dass nichts Schlimmes passiert ist, aber besorgt über das Vorgehen der Polizei.

Der Aktivist beschrieb die Situation so, daß es "eher ein Brökeln" war, das er nicht als so dramatisch eingeschätzt habe. Unterdessen hat das Räumungsteam seinen Standort erreicht und Sichtkontakt zu ihm herstellen können. Wie eine Unterstützerin bekräftigte, wolle der Mann nach wie vor seine Blockadeaktion fortsetzen zu dem Zweck, die Waldrodung zu verzögern. Dies hat ihn offenbar auch dazu veranlaßt, seine bisherige Position zu verlassen und sich weiter in das Tunnellabyrinth zurückzuziehen. Der Braunkohlegegner ist vor der Polizei geflohen; deutlicher könnte ein Mensch kaum signalisieren, was er zuvor bereits mehrfach erklärt hatte, nämlich daß er nicht "gerettet" werden möchte und daß es dafür auch keinen Grund gäbe. Demnach hatte er sich entweder nicht festgekettet oder konnte sich doch selbst befreien.

Für die Polizei stellt sich die Situation jetzt abermals als schwierig dar, zumal sie, wie verlautbart wurde, gar nicht wisse, was dem Betroffenen in rechtlicher Hinsicht eigentlich vorzuwerfen sei. "Höchstens Hausfriedensbruch", habe ein Pressesprecher der Polizei erklärt [1]. Ungeachtet dessen soll ihm seitens der Polizei schon damit gedroht worden sein, daß er diesen Einsatz würde bezahlen müssen - einen vermeintlichen Rettungseinsatz, den er zu keinem Zeitpunkt gewollt hat? Oder ist in diesem Großeinsatz von Polizei, Technischem Hilfsdienst, weiteren Beteiligten und hinzugezogenen Experten doch eher eine Strafverfolgungsmaßnahme zu sehen oder, wie von den Waldbesetzern vermutet, eine Räumungsaktion im Interesse des Energiekonzerns RWE, der den Braunkohletagebau Hambach auf dieses Waldgebiet ausdehnen will?

Blick auf durch den Braunkohletageabbau verödete Landschaft - Foto: © 2012 by Schattenblick

Die Zukunft, die sie meinen
Foto: © 2012 by Schattenblick

Fußnoten:
[1] Quelle: Meldungen vom 16.11.2012, 00.20-16.00 Uhr
Hambacher Forst
E-Mail: hambacherforst@riseup.net
Internet: http://hambacherforst.blogsport.de/kontakt/

[2] Polizei scheint Baggern von Oben vorzubereiten, Meldung vom 15. November 2012, 23.41 Uhr
https://stopptrwe.crowdmap.com/reports/view/111

16. November 2012