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WALD/063: Hambacher Forst - Wer bricht den Frieden des Hauses und des Heims? (Lea Suhr)


Hausfriedensbruch - von wem?

Lea Suhr, 9. Juni 2013


Aktivisten mit großem Transparent 'Raus aus Kohle und Atom' auf dem Dach im Hintergrund Türme des Braunkohlekraftwerks - Foto: © 2012 by r-mediabase / Hubert Perschke

Gegenstand der Verhandlung: Protest-Aktion auf dem Dach eines Nebengebäudes des RWE-Braunkohlekraftwerks Niederaußem im Jahr 2012
Foto: © 2012 by r-mediabase / Hubert Perschke

Fast 20 Personen, Kohlegegner_innen und Pressevertreter_innen, hatten sich bereits eine halbe Stunde vor dem Verhandlungstermin vor dem Amtsgericht in Bergheim positioniert. Zwei hielten ein Transparent mit der Aufschrift: "Geht's noch? Erst Dörfer abbaggern und dann andere verklagen auf Hausfriedensbruch?". Einem Kohlegegner sollte der Prozess gemacht werden. Er soll an einer Banner-Aktion auf dem Dach des Informationszentrums am Kohlekraftwerk Niederaußem beteiligt gewesen sein. Mit dem Transparent "Raus aus Kohle und Atom - Klimacamps in Rheinland und Lausitz stellen sich quer" forderten sie damals den Kohleausstieg und machten auf die Klimacamps 2012 aufmerksam.

Der Beginn des Prozesses, der auf 12 Uhr angesetzt war, verzögerte sich um einige Minuten, da die Kontrollen am Eingang etwas Zeit brauchten. Richter Hierting stellt die Personalien des Angeklagten fest und ehe er die Anklage verliest, trägt der Angeklagte eine Einlassung vor. Er berichtete von einem Traum, in dem er ein Mitarbeiter des RWE ist und tagtäglich ein Haus nach dem anderen zerstören muss. Dieser Traum habe ihn veranlasst, an der Aktion teilzunehmen. Nach dieser Einlassung verkündete der Richter, die Strafe laut dem Strafbefehl läge bei 10 Tagessätzen à 10 Euro. Jedoch sei ihm eher an einer Einstellung gelegen. Als Begründung trägt er vor, dass die Aktivist_innen mit dem Security-Chef eine Absprache darüber getroffen hätten, dass sie zu einer gewissen Uhrzeit das Dach des Gebäudes wieder verlassen würden und diese Vereinbarung eingehalten hätten. Und bei der Aktion habe es sich um eine öffentliche Vermittlung gehandelt. Mit der Begründung der Geringfügigkeit schlug er vor, das Verfahren daher einzustellen. Die Staatsanwaltschaft teilt diese Einschätzung. Dennoch betonte Herting, dass diese Entscheidung nur für dieses Verfahren gelte, die Verfahren der anderen beiden teilhabenden Aktivisten würden von einem anderen Richter geführt. Diese Verhandlungen werden nach derzeitigem Stand am 15. August stattfinden.

UnterstützerInnen mit Transparent 'Geht's noch? Erst Dörfer abbaggern und dann andere verklagen auf Hausfriedensbruch?' - Foto: © 2013 by r-mediabase / Hubert Perschke

Unterstützung für den Angeklagten vor dem Gerichtsgebäude
Foto: © 2013 by r-mediabase / Hubert Perschke

Ob der Richter Herting nun auch nicht allzu gut auf das RWE und ihre Machenschaften zu sprechen ist oder nur verhindern will, mehr Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass es nicht die Aktivist_innen sind, die den Frieden fremder Häuser brechen, indem sie Transparente auf dem Dach halten, sondern eher diejenigen, die ein 450 m tiefes Loch seit über 40 Jahren durch das Rheinland wandern lassen, ohne Rücksicht zu nehmen auf Verluste von Menschen, die ihr Zuhause und ihre Lebensgrundlage verlieren, ohne Rücksicht darauf, einen der ältesten Mischwälder ganz Europas zu zerstören, und ohne Rücksicht auf die Gesundheit aller Lebenden im und um das Rheinland durch erhöhte Feinstaubwerte und Radioaktivität, lässt sich schwer einschätzen.

Der Angeklagte äußert sich nach dem Prozess: "Ich bin mit der Einstellung des Verfahrens auf Staatskosten zufrieden, die "Milde" des Gerichts in diesem Falle sollte aber nicht beitragen zu einer Wahrnehmung der "Gerechtigkeit" der Justiz. Es gibt nämlich keine objektive Gerechtigkeit, weil Gerechtigkeitsempfinden immer aus subjektiver Wahrnehmung resultiert. Der Gedanke, ein Richter oder Richterin könne objektiv, oder gar im Namen eines Volkes - wer auch immer das sein soll - Gerechtigkeit sprechen ist absurd."

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Quelle:
© 2013 by Lea Suhr (Text)
Fotos von Hubert Perschke
mit freundlicher Genehmigung der Autorin und des Fotografen


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juni 2013