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SCHADSTOFFE/101: "Algentoxin" schlägt bis ins Trinkwasser durch (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1024, vom 17. Nov. 2013, 33. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Trinkwassertalsperre bei Solingen mit Cyanobakterien-Toxinen belastet



Für Schlagzeilen hat in den letzten Monaten in Solingen die Belastung einer Trinkwassertalsperre mit Burgunderblutalgen gesorgt. Um eine Belastung des Trinkwassers mit dem "Algengiftstoff" Mikrocystin zu vermeiden, haben die Stadtwerke Solingen im Aug. 2013 einen Aktivkohlefilter in Betrieb genommen. Erstmalig war die rötliche Algenblüte in der Sengbachtalsperre im Januar 2013 aufgefallen. Die Stadtwerke Solingen hatten daraufhin vorsorglich das Wasserwerk Glüder an der Talsperre außer Betrieb genommen. Ersatzweise wurden Solingen und Haan mit Trinkwasser aus der Großen Dhünntalsperre versorgt. Nachfolgend die Chronologie des "Algentoxin"-Problems in der Wasserversorgung von Solingen - einem in Deutschland bislang nur sehr selten aufgetretenen Phänomen.


"Vertrauen ist ein ähnlich kostbares Gut wie Wasser"

Die Westdeutsche Zeitung (WZ) konstatierte am 29. Jan. 2013 nach der erstmaligen Blüte der Burgunderblutalge:
"Groß ist die Verunsicherung der Solinger Bevölkerung nach der Entdeckung von vermutlich giftigen Burgunderblutalgen in der Sengbachtalsperre."

Die Stadtwerke Solingen (SWS) versuchten der von der WZ behauptete "Verunsicherung" mit dem Hinweis zu begegnen, dass die im Talsperrenwasser festgestellte Konzentration des "Algengiftes" weit unterhalb des von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Richtwertes von einem Mikrogramm pro Liter liegen würde. Und im aufbereiteten Trinkwasser seien ohnehin keine Spuren von Microcystin nachweisbar. Unterstützung bekamen die Stadtwerke vom Hygieneexperten Dr. Georg-J. Tuschewitzki vom Hygiene-Institut des Ruhrgebietes in Gelsenkirchen:
"Es hat für keinen Zeitpunkt eine Gefahr für das Trinkwasser bestanden. Die Stadtwerke Solingen haben sehr vorsorglich und im Sinne des Kunden reagiert."

Und das Solinger Tageblatt kommentierte am 26.01.13:
"So viel Vorsicht wie möglich, so wenig Panik wie möglich. Nach diesem Prinzip handelt der Energieversorger. Das wirkt angemessen - aus Sicht der Verbraucher wie aus Sicht des Unternehmens. Die SWS vermeiden so Beunruhigung. Denn Vertrauen ist ein ähnlich kostbares Gut wie Wasser."

Die Stadtwerke hatten mitgeteilt, dass die Umstellung des Trinkwasserbezuges aus der Großen Dhünntalsperre rein vorsorglich erfolgt wäre. So sei der Trinkwasserbezug aus der Sengbachtalsperre auch nicht vom Gesundheitsamt, sondern von den Stadtwerken selbst gesperrt worden.

Nachdem Ende Jan. 2013 "auch mit hochempfindlichen Verfahren" keine "Algengifte" mehr in der Talsperre nachgewiesen werden konnten, wurde der Trinkwasserbezug aus der Talsperre am 30. Jan. wieder aktiviert. Allerdings wurde in Absprache mit dem Stadtdienst Gesundheit in Solingen und dem Hygiene-Institut des Ruhrgebietes ein regelmäßiges "Monitoring" beschlossen, um das Algenwachstum zu beobachten und um das Rohwasser regelmäßig auf mögliche "Algentoxine" zu überprüfen.


Solingen: Wechselnde Toxinkonzentrationen irritieren

Bei den seit Jan. 2013 durchgeführten Kontrollen waren bereits mehrfach »Giftspuren« festgestellt worden - bislang allerdings nur im Rohwasser. Das Wasserwerk Glüder war aber aufgrund der neuerlichen Toxinbefunde von bis zu 0,2 µg/l im Rohwasser im Mai 2013 erneut für drei Wochen geschlossen worden. Die Wasserversorgung wurde wiederum auf andere Wasserwerke umgestellt. Die Stadtwerke informierten hierüber auf ihrer Homepage und richteten zudem eine kostenlose hotline für telefonische Auskünfte ein. In der Rheinischen Post war am 4. Mai 2013 der Eindruck der Stadtwerke wiedergegeben worden, dass die Solinger "erstaunlich ruhig" auf die geänderte Wasserversorgung reagiert hätten. Das war auch insofern bemerkenswert, weil das "Ersatzwasser" für zwei Stadtteile einen deutlich höheren Härtegrad aufwies als das weiche Talsperrenwasser aus dem Wasserwerk Glüder.

In einer vierwöchigen Testreihe verfolgte das DVGW-Technologiezentrum Wasser in Dresden im Mai und Juni 2013 die Entwicklung der Toxinkonzentrationen im Rohwasser aus der Talsperre. Aufgrund der letztlich analysierten Negativbefunde konnte das Wasserwerk Glüder am 6. Juni 2013 wieder ans Netz angeschlossen werden. Damit bekamen die Kunden auch wieder ihr gewohnt weiches Talsperrenwasser.

Angenommen wurde, dass die abgestorbenen Algen in der Vorsperre der Senkbachtalsperre in die Sedimente abgesunken waren - und dass von dort die "Algentoxine" ins Talsperrenwasser abgegeben worden waren. Deshalb wurden auch Überlegungen angestellt, die mikrocystinbelasteten Sedimente aus der Vorsperre zu entfernen. Andere Zeitungen berichteten demgegenüber , dass "jüngste Untersuchungen" den Verdacht nicht bestätigen konnten, dass Ablagerungen in der Vorsperre die Algenblüte ausgelöst hätten.


Solingen: "Algentoxin" schlägt bis ins Trinkwasser durch

Ein halbes Jahr nach dem erstmaligen Auftauchen der Burgunderblutalge kamen die Stadtwerke mit der Meldung auf den Medienmarkt, dass im Rahmen des Monitorings "Algentoxine" aktuell nicht nur im Rohwasser aus der Talsperre, sondern seit dem 13. Aug. 2013 auch im aufbereiteten Trinkwasser nachweisbar wären. Überschrift der Westdeutschen Zeitung am 16. Aug. 2013: "Giftalge in der Sengbachtalsperre wird zum Dauerfall." Und weiter: "Die Burgunderblutalge, die seit dem Winter die Sengbachtalsperre befallen hat und Gift freisetzt, entwickelt sich zum Dauerproblem."

Die Rheinische Post berichtete am 15. Aug. 2013:
"Die Verantwortlichen reagierten prompt. Obwohl die Giftkonzentration sehr gering war, nahmen die Stadtwerke noch am Dienstag eine erst vor kurzem angeschaffte Reinigungsanlage in Betrieb. Sie soll mit Hilfe von Pulveraktivkohle jetzt dafür sorgen, dass die Gifte in Glüder aus dem Wasser herausgefiltert werden."
Der Toxinwert im Trinkwasser habe bei 0,06 µg/l gelegen. Damit liege man weit unter dem WHO-Leitwert: Die WHO empfehle bei lebenslangem Konsum einen Leitwert von maximal einem Mikrogramm pro Liter Wasser.
Der zwischenzeitlich eingebaute Aktivkohlefilter hole jetzt die Toxine zuverlässig aus dem Rohwasser heraus. Die Pulveraktivkohleanlage soll immer dann aktiviert werden, wenn die Gefahr besteht, dass Toxine bis ins Trinkwasser durchbrechen.

Zudem haben die die Stadtwerke Solingen erstmalig ein spezielles Messgerät installiert, das permanent die Konzentration der Burgunderblutalge im Rohwasser misst. Bei den Stadtwerken nimmt man an, dass eine Änderung der Algenpopulation ein früher Hinweis auf mögliche steigende oder sinkende Toxinwerte sein könnte. Mit dem Online-Messgerät habe man jetzt die Entwicklung der Algenkonzentrationen "ununterbrochen im Blick". Die Pressemitteilungen der Stadtwerke Solingen (SWS) zum Auftreten der Burgunderblutalge in der Sengbachtalsperre und die getroffenen Abhilfemaßnahmen können unter http://www.stadtwerke-solingen.de/6386.html abgerufen werden.


Was treibt die Burgunderblutalge in der Sengbachtalsperre?

Am 16. Aug. 2013 hieß es in der Westdeutschen Zeitung, dass die Stadtwerke Solingen bei der Ursachenforschung weiterhin im Dunkeln tappen würden. Denn in der Sengbachtalsperre sei die Blüte der Burgunderblutalge (Planktothrix rubescens) eher untypisch. Normalerweise wachse dieses Cyanobakterium in nährstoffbelasteten Seen, was bei einer Trinkwassertalsperre gerade nicht der Fall ist. Die Stadtwerke würden mit den Landwirten im Einzugsbereich der Talsperre dahingehend kooperieren, dass die Bauern vergleichsweise wenig Agrochemikalien und Düngemittel einsetzen. Dadurch habe die Talsperre einen sehr niedrigen Eutrophierungsgrad. Auch auf die Jahreszeit könnten die sommerlichen Toxinwerte nicht zurückgeführt werden. Eigentlich war zum Sommer mit einem Rückgang gerechnet worden, weil die Alge bevorzugt bei kalten Temperaturen im Winterhalbjahr wachse. Dann müsse die Alge nicht mit Fressfeinde rechnen.

Die Sengbachtalsperre hat bei Vollfüllung ein Volumen von 2,8 Mio. Kubikmeter. Die SWS beziehen aus der Talsperre jährlich etwa 6 Mio. Kubikmeter, weitere 6 Mio. Kubikmeter werden aus der Große Dhünn-Talsperre bezogen. Die Sengbachtalsperre zählt mit 110 Jahren zu den ältesten deutschen Trinkwasserspeichern. Die Stauanlage besteht aus einem Hauptbecken und einer Vorsperre.

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1024
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Dezember 2013